Redelings über ein neues Magazin Die Maskottchen sind los!
28.08.2018, 13:06 Uhr
Olaf und Erwin beim gemeinsamen Pils. Der eine ist auf Schalke eine Legende, der andere das Maskottchen der Königsblauen.
(Foto: Dominik Asbach)
Ennatz, Berni, Hermann, Fritzle, Emma erschrecken chinesische Matrosen, sitzen bei Fußball-Idolen wie Bernard Dietz und Sigi Held und lösen Regelfragen. Eigentlich nix Ungewöhnliches - wären Emma & Co. nicht Maskottchen der Bundesliga.
Ganz Deutschland diskutiert in diesen Tagen über den Videoschiedsrichter. Ganz Deutschland? Nein. In Hamburg sitzt ein Mann in seinem Büro und sagt: "Nicht mit mir!" Oliver Wurm heißt der Mann, der zum Ligastart ein Magazin namens - Obacht! - "Maskottchen. Das etwas andere Fußball-Sonderheft 2018/19" herausgebracht hat. Doch so (fußball-)verrückt der Journalist und Medienunternehmer auch ist - er weiß ziemlich genau, was er da tut: "Quatsch mit Inhalt" nennt er im Editorial seine außergewöhnliche Idee und erzählt, wie es zu diesem Einfall kam.
Im Sommer 2004 habe sich die Redaktion des Magazins "Max" gefragt, was die Maskottchen wohl in der Sommerpause so treiben. Eine Frage, die so absurd ist, dass sie fast zwangsläufig in einem sehr speziellen Fotoshooting enden musste. Man lud die Maskottchen nach Hamburg ein und ließ sie einen Grillabend am Elbstrand verleben. Der Höhepunkt: Als ein Containerschiff aus China die ausgelassene Runde passierte, liefen zehn kunterbunte Stofftiere mit Flaschen und Wurst ans Wasser und winkten den Matrosen freudig zu. Da die Fotos aus Paparazzi-Perspektive geschossen wurden, befand sich ansonsten kein menschliches Wesen am Elbstrand. Man kann sich die Reaktionen der chinesischen Schiffsbesatzung nur zu bildlich vorstellen.
Die Gaga-Aktion nahm Wurm nun 14 Jahre später als Grundlage für eine neue Idee: Er verknüpft die Geschichte und die Geschichten der Maskottchen mit den Fußball-Helden von früher. Dafür hat Wurm die Stofftiere in ihren Vereinstrikots zusammen mit Redakteuren und Fotografen quer durch die Republik geschickt. Und so sitzt das MSV-Maskottchen Ennatz auf einmal wie selbstverständlich beim Meidericher Idol und Namensgeber des Stoff-Zebras, Bernard "Ennatz" Dietz, am Wohnzimmertisch, isst Kuchen und blättert in alten Zeitschriften. Auf einem anderen Foto stehen die beiden fröhlich zusammen am Rande des Pools im Hause Dietz und schauen ins Wasser. Dazu erfährt der Leser: "Den kleinen Swimming-Pool gönnte sich Bernard Dietz - dafür gab er u.a. zusätzliche Autogrammstunden. Jeden Morgen zieht er hier Bahnen. Der Mann ist auch mit 70 Jahren topfit!" Besser kann man den sympathischen Mann aus Walstedde bei Bockum-Hövel nicht in Wort und Bild fassen.
"Für immer unser bester Mann"
Die nächste Geschichte spielt in Dortmund. Dort haben sie ihr Maskottchen ebenfalls nach einer Legende benannt. Lothar Emmerich riefen sie beim BVB eigentlich nur "Emma" - so heißt nun auch die "süße Biene" in Schwarz-Gelb. Doch Emmerichs ehemalige Mitspieler Wolfgang Paul und Sigi Held erinnern sich im Gespräch für Wurms Maskottchen-Magazin im alten Stadion "Rote Erde" nicht nur an eine der typischen Charaktereigenschaften ihres Teamkollegen sondern auch an seinen zweiten Spitznamen - der bei weitem nicht so bekannt ist: "Andererseits folgte aus Emmas Ernsthaftigkeit auch, dass er Zweikämpfe im Training - sagen wir mal - robust führte. Weißt Du noch, sagt Wolfgang Paul und schaut fragend zu Sigi Held herüber, welchen Spitznamen der Emma auch noch hatte? Ärmchen, weil er immer am Trikotarm gezupft hat. Held nickt. Und die einzige Platzwunde, die ich je davongetragen habe, rührte aus einem Kopfball-Duell mit Emma, berichtet Paul."

"Und dennoch entwickelte er sich zu einer der größten Persönlichkeiten, die der Verein hervorgebracht hat": Hermann Rieger.
(Foto: Lars Krüger)
Beim HSV haben sie vor einigen Jahren einen anderen, einen ungewöhnlichen Weg bestritten, als sie einen Namen für ihr Maskottchen suchten. Sie benannten die Figur im Dino-Kostüm schließlich nach Hermann Rieger. Und warum das eine ganz und gar nicht alltägliche Entscheidung war, erklärt im Magazin Autor Dieter Matz: "Er hat nie für den HSV in roter Hose Fußball gespielt, er hat deshalb auch niemals ein Tor für die Hanseaten erzielt: Und dennoch entwickelte er sich zu einer der größten Persönlichkeiten, die der Verein hervorgebracht hat." Rieger war der langjährige Masseur und noch viel mehr die gute Seele des Klubs: "Nach seinem Tod breiteten die HSV-Fans über die gesamte Nordtribüne ein Plakat mit seinem Konterfei aus. Darüber stand in großen Lettern: Für immer unser bester Mann, den niemand je ersetzen kann!"
Zwischendurch gibt es im Magazin die schöne Rubrik "Nur für Experten", für die sich die Fachmänner von "Collinas Erben" 27 knifflige und spannende Regelfragen ausgedacht haben. Warum ausgerechnet 27? Wurm: "Weil VfB-Fritzle bereits in seine 27. Saison geht - und wir für die Fotos zu dieser Strecke einfach das pfiffigste Maskottchen der Bundesliga haben wollten."
Auf Schalke gibt es seit Mitte der neunziger Jahre Erwin. Zum Fototermin fürs Magazin nimmt die Knollennase wie selbstverständlich neben Vereinsidol Olaf Thon in der legendären Kneipe "Bosch" Platz. Doch beinahe hätte es Erwin gar nicht gegeben, wie sich Wurm gemeinsam mit Thon erinnert. Denn nach dem letzten Spieltag der Aufstiegssaison 1990/1991 war gerade erst Wühli als neues Maskottchen vorgestellt worden - doch seine Präsentation verlief alles andere als reibungslos. Der ganze Nachmittag war ein einziges großes Missverständnis - und dabei stand jemand im Mittelpunkt, der an diesem Tag gar nicht vor Ort war: Olaf Thon.
Wurm erzählt: "Günter Eichberg höchst selbst, der damalige Präsident, greift nun zum Mikrofon und macht sich über den Rasen auf den Weg zur Nordkurve. In die ausgelassene Stimmung hinein kündigt der ein Ereignis mit großer Bedeutung für die weitere Vereinsgeschichte an. Nun steht auch für den letzten noch zweifelnden Schalker endgültig fest: Das kann nur der Olaf sein! Die Rufe werden zum Orkan." Als schließlich statt dem Rückkehrer Olaf Thon nur das neue Maskottchen Wühli präsentiert wurde, war die Enttäuschung groß - und der Weg frei für Erwin.
Eine herrlich bekloppte Geschichte - so bekloppt und verrückt wie das ganze Magazin. Doch gerade die nicht unerhebliche Fallhöhe zwischen Einfall und Umsetzung lässt den Zauber dieser ungewöhnlichen Idee voll entfalten. Am Ende seines Editorials rät Wurm den Lesern: "... und machen Sie auch mal wieder Quatsch!" Machen wir. Es muss ja nicht unbedingt das nächste Maskottchen-Magazin sein.
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Quelle: ntv.de