Algerierin kämpft um Gold Boxerin Khelif weint und gibt emotionales Interview
04.08.2024, 07:22 Uhr
Imane Khelif wurde nach ihrem Halbfinalsieg gegen Anna Luca Hamori sehr emotional.
(Foto: REUTERS)
Der Druck ist enorm, doch Imane Khelif hält ihm stand. Die algerische Boxerin hat nach ihrem Viertelfinalsieg eine Medaille sicher. In der Halle gibt es intensive Reaktionen darauf. Gegnerin Anna Luca Hamori gibt sich als gute Verliererin, dabei hatte sie zuvor die Debatte um Khelif angeheizt.
Das Scheinwerferlicht und unzählige Kameras waren auf sie gerichtet, und Imane Khelif sog die Aufmerksamkeit auf. Mit der Faust schlug sie auf die Matte des Boxrings, dann verließ die Algerierin unter Tränen mit langsamen Schritten den Ort ihres Triumphs. "Das ist eine Sache der Würde und der Ehre für jede Frau. Es ist ein Sieg für alle Frauen", sagte sie kurz nach ihrem Olympia-Halbfinaleinzug bei BeIn Sports. "Alle arabischen Menschen kennen mich seit Jahren. Seit Jahren boxe ich in internationalen Wettkämpfen." Der Weltverband IBA sei "unfair" mit ihr umgegangen, betonte sie. "Aber ich habe Gott."
Eine olympische Medaille hat Imane Khelif jetzt auch. Die algerische Boxerin gewann ihr Viertelfinale am Samstag gegen die Ungarin Anna Luca Hamori in der Klasse bis 66 Kilogramm deutlich mit 5:0. "Ich versuchte mich die ganze Zeit sportsmäßig zu verhalten, und auch über meine Gegnerin kann ich kein schlechtes Wort sagen", sagte die Ungarin. Anders als bei ihrem Auftaktsieg gab es diesmal nach der Urteilsverkündung einen Handschlag mit der Gegnerin. Khelif wurde zudem von zahlreichen algerischen Fans in der Box-Halle im Norden von Paris lautstark angefeuert und bejubelt.
Hamori hatte sich vor dem Kampf, der von zahlreichen internationalen Medienvertretern begleitet wurde, provokant zur hochemotional geführten Diskussion geäußert: "Wenn sie oder er ein Mann ist, wäre es für mich ein noch größerer Sieg, wenn ich gewinne." Hinterher erklärte sie: "Ich denke, die letzten paar Tage waren für alle schwierig, für mich und für sie auch, und deshalb wollte ich zeigen, dass ich sie respektiere und keinen schlechten Gedanken gegen sie hege, denn sie kann nichts dafür. Es kam nun wie es kam, wir stiegen beide in den Ring, um zu kämpfen, und sie hat jetzt gewonnen, und in der Zukunft kann das womöglich anders sein."
Der Staatspräsident gratuliert
"Sie haben Algerien, die algerische Frau und das algerische Boxen würdig vertreten", schrieb Staatspräsident Abdelmadjid Tebboune bei X: "Wir werden an Ihrer Seite sein, unabhängig von Ergebnissen." Am Dienstagabend kämpft Khelif um 22.34 Uhr in Roland Garros nun gegen Janjaem Suwannapheng (Thailand) um den Einzug ins Finale. Edelmetall ist ihr nicht mehr zu nehmen, denn auch die Verliererinnen der Halbfinals erhalten Bronze.
Dass sich in der North Paris Arena eine für Box-Verhältnisse absurd hohe Zahl an Journalisten für die Worte Khelifs interessierte, hatte freilich noch einen anderen Grund. Denn seit Tagen steht Khelif im Mittelpunkt eines Debattensturms um ihr Geschlecht. Im vergangenen Jahr war sie vom Weltverband IBA nach einem Geschlechtertest bei der WM disqualifiziert worden. Am Donnerstag war die Debatte erneut aufgeflammt. Nach einem Kampf, der gerade einmal 46 Sekunden gedauert hatte.
Populisten, Trump, Meloni
Zwei harte Treffer hatte die Italienerin Angela Carini in ihrem Achtelfinale gegen Khelif eingesteckt, schließlich gab sie unter Tränen auf. Sofort zeterten die Populisten um Ex-US-Präsident Donald Trump und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni los. Einhelliger Tenor: In Paris prügeln Männer auf Frauen ein. Klare Sache! Wie die "Bild" unter Berufung auf englische Medien berichtet, rief Khelfi einem Journalisten nach dem Kampf zu: "Ich bin eine Frau!" Auf dem Weg in die Kabine sollen die Trainer Richtung Journalisten geschimpft haben.
Klar ist in dieser hochkomplexen Gemengelage gar nichts. Stattdessen gibt es unzählige Fragen. Etwa die nach dem nicht näher beschriebenen Geschlechtertest, auf dessen Grundlage der umstrittene Weltverband IBA Khelif und Lin Yuting (Taiwan) von der WM 2023 ausgeschlossen hatte. Lin ist die zweite betroffene Athletin der Gender-Debatte bei den Olympischen Spielen, sie kämpft am Sonntagvormittag in der Klasse bis 57 Kilogramm um eine Olympia-Medaille.
Auch der Vater mischt sich ein
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) sieht in dem Ausschluss von Khelif und Lin durch die IBA eine "willkürliche Entscheidung." Das überrascht nicht unbedingt - die IBA wird vom IOC wegen Korruption nicht mehr anerkannt und ist deshalb in Paris auch nicht für die Organisation der Boxwettkämpfe zuständig. IOC-Präsident Thomas Bach stellte sich am Samstag vor die betroffenen Athletinnen: "Es bestand nie ein Zweifel daran, dass sie Frauen sind", sagte er. Mit Blick auf die heftige Kritik vor allem aus dem rechtskonservativen Lager betonte Bach, das IOC werde sich "nicht an einem politisch motivierten Kulturkampf beteiligen".
Beide Athletinnen wurden in sozialen Netzwerken angefeindet. "Das entsetzliche Ausmaß an Online-Missbrauch" gegen die Boxerinnen sei "ein weiteres tief verstörendes Beispiel des toxischen, sexistischen und rassistischen Diskurses, der Frauen Schaden im Sport und in der Gesellschaft zugefügt hat", sagte Stephen Cockburn von Amnesty International in der Mitteilung der Sports & Rights Alliance. "Diese Frauen haben nichts falsch gemacht und werden trotzdem mit Hass gejagt." Auch Vertreter weiterer Organisationen wie Human Rights Watch und ILGA World unterstützten die beiden Athletinnen.
Zweifel an dem Geschlecht seines Kindes hat auch der Vater von Imane Khelif nicht. "Imane ist ein Beispiel algerischer Weiblichkeit", sagte Omar Khelif der Nachrichtenagentur AFP. Beim französischen Sender BFMTV zeigte er die Geburtsurkunde seiner Tochter und erklärte: "Mein Kind ist ein Mädchen. Sie wurde als Mädchen aufgezogen. Sie ist ein starkes Mädchen. Ich habe sie dazu erzogen, hart zu arbeiten und mutig zu sein. Sie hat einen starken Willen zu arbeiten und zu trainieren." So Gott wolle, sagte er, "wird sie uns mit einer Goldmedaille ehren und die Nationalflagge in Paris hochhalten." Sollte es soweit kommen, dürften die Diskussionen um Khelif einen neuen Höhepunkt erreichen.
Quelle: ntv.de, tno/sid/dpa