"Pioneers of Pagonia" im TestDas Comeback des Siedler-Erfinders überzeugt nicht nur Wusel-Fans

Das neue Spiel des "Die Siedler"-Erfinders Volker Wertich ist erschienen und möchte Aufbau-Fans mit Liebe zum Detail, kreativen Spielmechaniken und ganz viel Wuselromantik unterhalten. Sogar eine riesige Story-Kampagne ist mit dabei.
Wir hatten die Gelegenheit, "Pioneers of Pagonia" schon vor dem offiziellen Start gründlich zu spielen, und sind im Test den gleichen Qualitäten begegnet, mit denen das Spiel bereits zum Early-Access-Start vor knapp zwei Jahren die Herzen der Aufbau-Fans erobert hat. Das neue Spiel von Entwicklerlegende und "Die Siedler"-Erfinder Volker Wertich ist ein extrem detailverliebter City-Builder, in dem Tausende kleine Figuren (die namensgebenden Pioniere) eifrig Waren schleppen, Felder bestellen, Gebäude errichten und Monster vertreiben.
Wir könnten dem wuseligen Treiben stundenlang zusehen und darüber staunen, wie viele kleine und große Details wir in der bildhübschen Spielwelt entdecken können - hätten wir nicht sooo viel zu tun! Denn mit über 40 Gebäudetypen, mehr als 70 Waren, die in teils komplexen Produktionsketten hergestellt werden wollen, und fiesen Monstern, die unsere knuffigen Einwohner bedrohen, haben wir in "Pioneers of Pagonia" immer eine prall gefüllte To-do-Liste.
Statt auf eine historische Vorlage setzt das Spiel auf eine fast schon märchenhafte Fantasy-Welt mit dichten Nebelschwaden, spannenden Ruinen und magischen Adern im Boden. Feen, Geister und andere mehr oder weniger freundliche Wesen gibt es inklusive. Die sind dann nicht nur Deko, sondern stören Transportrouten, verfluchen Felder oder greifen unsere Erkundungstrupps an, wenn wir nach wertvollen Ressourcen suchen oder unsere Stadtgrenzen erweitern möchten.
Mit etwas Planungsgeschick können wir von unseren unfreiwilligen Mitbewohnern aber auch profitieren. Einige halten beispielsweise besonders wertvolle Güter für uns parat. Haben wir entsprechende Gebäude und Einheiten freigeschaltet, können wir sie vielleicht davon überzeugen, sie uns zu überlassen. In den vielen Spielstunden, die wir, ohne es zu merken, in der als Inseln angelegten Spielwelt verbracht haben, sind wir immer wieder über solche kreativen Ideen gestolpert, die das Grundprinzip des Ressourcen-Abbaus und des Siedlungs-Aufbaus angenehm auflockern. Man merkt an jeder Ecke, wie viel in den letzten zwei Jahren an "Pioneers of Pagonia" geschraubt wurde: Laut Wertich stecken inzwischen über 250 Änderungen, neue Features und Verbesserungen im Spiel.
Die Kampagne: Ein echtes Aufbau-Abenteuer
Wer nicht so gerne im Endlosspiel drauflos baut, darf sich über eine der unterhaltsamsten und umfangreichsten Story-Kampagnen der letzten Jahre freuen. In über 30 Stunden erklärt uns das Spiel darin nach und nach die wichtigsten Kniffe und unterhält mit witzigen Ideen, kreativen Schauplätzen und einer seichten, aber durchweg nett erzählten Fantasy-Geschichte.
Dabei beginnt alles zunächst mit schlechten Nachrichten: Nach einem schweren Sturm läuft unser Schiff auf Grund. Die komplette Ladung geht verloren, unser Kapitän und ein magischer Kompass sind spurlos verschwunden. Wir stranden also mit nicht viel mehr als einer Handvoll Pioniere auf einer unbekannten Insel und müssen zunächst ein paar einfache Hütten aus dem buchstäblichen Boden stampfen.
Haben unsere Pioniere erst einmal ein Dach über dem Kopf, geht es ans Sammeln von Nahrung und Rohstoffen, mit denen wir nach und nach immer komplexere Gebäude und Warenketten errichten. Beim Anspielen fühlte sich dieser Start angenehm geerdet an und hat wunderbar als Einführung in die wichtigsten Spielmechaniken und Gebäudetypen funktioniert: Wege optimieren, Engpässe auflösen, die Gegend erkunden und Grenzen erweitern, erste Einheiten ausbilden und Produktionsketten errichten. Aufstrebende Bauherren haben den Dreh schnell raus, doch auch für erfahrene Statthalter bietet das Spiel hinten raus immer genug zu tun.
Über sieben Inseln musst du gehen
Seine Geschichte erzählt "Pioneers of Pagonia" in hübsch geschriebenen, wenn auch leider nicht voll vertonten Text-Häppchen und Dialogen mit unseren Verbündeten. Wir haben uns aber trotzdem direkt in die Welt und seine Charaktere verliebt und waren immer gespannt, herauszufinden, welche Überraschung das Spiel in den insgesamt sieben sehr unterschiedlichen Kapiteln, die jeweils auf einer eigenen Insel spielen, als Nächstes bereithält.
Denn jede dieser Inseln wartet mit einem besonderen Kniff auf, der uns beim Spielen vor neue Herausforderungen stellt: Mal zwingen uns Schluchten und Höhenzüge zu kreativer Wegplanung, mal blockieren aggressive Kreaturen die besten Ackerflächen, mal sitzt der eigentliche Konflikt bei den benachbarten Stämmen, deren Misstrauen wir erst mit kluger Diplomatie und Warenlieferungen abbauen müssen. Sogar auf eine gruselige Geisterinsel verschlägt es uns zwischenzeitlich.
Mysteriöse Artefakte im Nebel, seltsame Vorkommnisse im Wald und ganze Geister-Städte - das Spiel steckt voller kreativer Ideen, die uns angenehm von den wiederkehrenden Spielmechaniken ablenken und dafür sorgen, dass sich das Aufbauspiel fast wie eine abenteuerliche Expedition ins Unbekannte anfühlt. Kampagnenziele sind zudem oft geschickt mit unseren gewöhnlichen To-dos verwoben, sodass ganz oft mit bereits bekannten Produktionsketten oder Einheitstypen gespielt wird. Dadurch fühlen sich Aufträge angenehm organisch an und wir hatten nie das Gefühl, lästige Aufgaben zur Beschäftigungstherapie abzuarbeiten. Übrigens: Die Kampagne lässt sich mit bis zu vier Spielern vollständig im Koop spielen.
Anspruch, Zugänglichkeit und ein paar offene Baustellen
Das Aufbau-Idyll kommt aber mit einem Haken. Trotz überarbeiteter Tutorials und hilfreicher Tooltips wird es in "Pioneers of Pagonia" zuweilen ein wenig unübersichtlich. Das liegt einerseits an den teils etwas kleinteiligen Menüs, aus denen sich nicht immer direkt erschließt, weshalb ein Betrieb plötzlich seine Arbeit einstellt oder welches Problem unserer Insel wir denn nun am ehesten priorisieren sollten.
Rohstoffe, die wir auf der Insel entdecken, sehen obendrein auf den ersten Blick oft recht ähnlich aus; vor allem bei den verschiedenen Gesteinsarten werfen wir immer sicherheitshalber nochmal einen Blick in den Tooltip, den wir zugunsten des Spielflusses gerne vermeiden würden. Als Spieler muss man Spaß am Experimentieren und Optimieren haben. Fehler werden auch den erfahrensten Siedlern passieren und die Abriss-Funktion gibt es aus gutem Grund.
Deshalb gilt: Keine Angst vor dem Umbau, denn genau darum geht es in "Pioneers of Pagonia". Darum, sich in die Effizienz einzelner Produktionsketten hineinzudenken und genau zu beobachten, wo in der Siedlung Versorgungslücken und Transportengpässe auftreten. Gebäude optimal in der Landschaft zu platzieren, damit man möglichst wenig Bauplatz verschwendet. Dabei ist wichtig, die eigene Siedlung immer wieder mit neuen Gebäuden zu erweitern und Altes zu ersetzen.
Schon auf den Standard-Einstellungen kann eine falsch platziere Straße nämlich die gesamte Lieferkette ausbremsen, Rohstoffengpässe ziehen sich gern wie Dominoeffekte durch die Siedlung. Wer nur entspannt klicken will, könnte sich anfangs etwas überfordert fühlen, auch wenn Hilfefenster und Overlay-Anzeigen dabei helfen, zu verstehen, wo es hakt. Das Schöne ist: Weil das Spiel die Einwohner einzeln animiert, kann man prima beobachten, wie Waren von A nach B getragen und weiterverarbeitet werden, ohne dass man sich mühsam durch triste Statistiken wühlen muss.
Hat das Zeug zum neuen Aufbau-Dauerbrenner
Das fertige "Pioneers of Pagonia" ist ein Musterbeispiel dafür, wie zwei Jahre im Early Access eine grundsolide Aufbausimulation zu einem runden Gesamterlebnis reifen lassen können. Der Wuselfaktor und die niedliche, detailverliebte Optik sind hier kein Mittel zum Zweck, sondern der Grundstein, um Spielern die Übersicht und Kontrolle über die überraschend komplexen Spielmechaniken und Wirtschaftskreisläufe zu geben.
Die Reise in der gelungenen und stets motivierenden Story-Kampagne über mehrere Inseln, der Mix aus charmant-gemütlichem Realismus und eingestreuter Fantasy sieht nicht nur hübsch aus, sondern funktioniert auch atmosphärisch prima. Dass es den Entwicklern gelungen ist, die Story-Ziele geschickt mit der Spielmechanik zu verzahnen, sorgt obendrein dafür, dass man seine Siedlung nicht als sperriges Produktionsdiagramm, sondern als lebendiges Zuhause der kleinen, wuselnden Pioniere empfindet.
Wie in jeder Siedlung gibt es gleichwohl auch in Pagonia noch Baustellen. Das Balancing, die Benutzeroberfläche und die Performance (wir hatten teils mit kleinen Frame-Drops zu kämpfen) können noch Feinschliff vertragen. Doch wenn Envision Entertainment das bisherige Tempo bei Updates beibehält, hat das Spiel alle Chancen, sich langfristig als gemütlich-anspruchsvoller Dauerbrenner im Aufbau-Genre zu etablieren.