Wirtschaft

Handelskammerchef in China "30 Prozent von Chinas Wirtschaft stehen still"

Einzelne Wohnblöcke in Shanghai sind teilweise mit Barrieren abgeriegelt.

Einzelne Wohnblöcke in Shanghai sind teilweise mit Barrieren abgeriegelt.

(Foto: REUTERS)

Shanghai gilt als Chinas am besten organisierte Stadt. Doch seit Wochen schon ist die Metropole in einem harten Lockdown, der nicht nur die Wirtschaft lahmlegt. Die Folgen dieser Krise werden auch in Deutschland zu spüren sein, berichtet der Chef der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, im Interview mit ntv.

ntv: Chinas Finanz- und Wirtschaftszentrum Shanghai ist seit Tagen, seit Wochen abgesperrt. 26 Millionen Menschen dürfen nicht mehr raus. Es gibt Probleme bei der medizinischen Versorgung, bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln. Was hören Sie aus Shanghai, vor allem von den Deutschen dort?

Jörg Wuttke: Momentan versammeln sich die Expats online und versuchen krampfhaft, unter anderem Charterflüge zu organisieren. Man versucht sich gegenseitig zu helfen: Wo bekommst du deine Windeln her? Wo kriegst du Gemüse her? Das ist alles extrem schwierig zu organisieren. Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Shanghai als die urbanste, die am besten organisierte Stadt Chinas hat in Rekordtempo ihren Glanz verloren.

Sie leben in Peking. Wie ist die Situation dort?

Ich bin hier auf der Insel der Glückseligen. Wir haben zwei, drei Fälle. Das ist nichts Großes. Aber wir leben natürlich alle in der Vorahnung, dass das jetzt nicht auf Shanghai begrenzt bleibt. Man muss ja wissen, dass es in Jilin in Nordchina noch viel schlimmer ist. Da haben ja unter anderem Volkswagen und Audi ihre große Fabrik. Dort sind die Leute schon seit vier Wochen im Lockdown. Firmen haben schon seit Wochen Leute in der Fabrik, die zwar weiter produzieren, aber die nicht nach Hause können. Auch Shenyang, eine Millionenstadt und Standort der deutschen Automobilindustrie, ist schon seit zwei, drei Wochen im Lockdown. Momentan sind etwa 30 Prozent des chinesischen Bruttosozialprodukts, der chinesischen Wirtschaft in irgendeiner Form im Lockdown und 26 Prozent der Bevölkerung. Das ist also nicht auf Shanghai begrenzt.

Sie sprechen die Autobauer an. Gibt es da Erwartungen, dass sich die Situation für die betroffenen Unternehmen bald wieder entspannt?

Ich glaube, derzeit steht etwa 30 Prozent der Automobilproduktion in China still und man weiß nicht, wie das weitergeht. Das ist eine schwierige Kiste, weil natürlich riesige Lieferketten dahinter stehen. Diese Lieferketten wieder zu synchronisieren und zurückzubringen, ist nicht einfach. Das wird man garantiert an den schlechten Wirtschaftszahlen in den nächsten Monaten sehen.

Wie werden das die deutsche und die Weltwirtschaft zu spüren bekommen?

Das zeigt sich noch nicht so direkt. Das wird sich sicherlich unter anderem in der Pharmabranche niederschlagen. Viele der Pharmavorprodukte kommen aus China. Irgendwo zwischen 20 und 30 Prozent aller Güter, die irgendwo in der Welt verkauft werden, haben ein bisschen China drin. Das umzuschichten, und etwa zu sagen, ich kaufe nicht mehr in China, sondern in Japan zum Beispiel oder Korea ist nicht so einfach. Zudem sind Chinas Häfen noch offen, aber das kann sich auch ändern. Und dann wird es teuer. Dann wird jeder Container doppelt so teuer. Wir haben das ja schon ab und zu erlebt letztes Jahr. Die Situation in China wird die Lieferketten definitiv belasten. Ausgerechnet China, das die Weltwirtschaft in der Pandemie zwei Jahre lang am Laufen gehalten und uns aus dem Schlamassel geholfen hat, kommt nun am Ende selbst in diese Situation.

Glauben Sie, dass diese strikte Null-Covid-Strategie dauerhaft durchgesetzt werden kann?

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Ja, ich glaube, dass die offizielle Politik bleibt: Die Null-Covid-Strategie wird durchgeführt. Das hat auch mit dem Präsidenten zu tun, der in den letzten zwei Jahren durch die Welt gelaufen ist und überall gesagt hat: 'Guckt, wie toll wir das machen und wie schlecht ihr das macht.' Ich weiß ich nicht, ob die Politik das propagandamäßig hinbekommt, das Narrativ zu ändern, auch mehr Corona-Fälle zuzulassen. Das ist ein großer ideologischer Sprung.

Mit Jörg Wuttke sprach Ulrich Reitz.

Quelle: ntv.de

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