Fridays for Future am Montag Aktivisten protestieren gegen Siemens
13.01.2020, 18:48 Uhr
In Hamburg protestieren Aktivisten gegen die Siemens-Entscheidung.
(Foto: dpa)
Nach der Siemens-Entscheidung, an einem Kohleprojekt in Australien festzuhalten, gehen zahlreiche Klimaaktivisten gegen das Unternehmen auf die Straße. Ein Aufsichtsrats-Mitglied fordert von dem Konzern, verantwortungsvoll in gesellschaftlichen Fragen zu handeln.
Mit bundesweiten Demonstrationen erstmals auch am Montag protestiert die Klimaschutzbewegung Fridays for Future gegen die Entscheidung von Siemens, an seiner Beteiligung an einem gigantischen Kohleförderprojekt in Australien festzuhalten. Ortsgruppen in 19 Städten hatten zu Kundgebungen aufgerufen, wie die Bewegung mitteilte. Zudem kündigten sie Proteste für die Siemens-Hauptversammlung am 5. Februar an.
Siemens-Chef Joe Kaeser hatte am Sonntagabend mitgeteilt, der Konzern müsse sich in Australien an seine vertraglichen Verpflichtungen halten. Dagegen demonstrierten Klimaaktivisten nicht nur vor der Konzernzentrale in München, sondern beispielsweise auch in Dortmund und Freiburg. Vor der Münchner Siemens-Zentrale trafen sich rund 100 Demonstranten - unter anderem zu einem sogenannten "Die-in", bei dem sich die Protestierenden wie tot auf den Boden legten. Im Hamburg beteiligten sich laut Polizei etwa 300 Menschen, in Frankfurt gut 160 und in Mainz rund 200. Die Aktionen waren laut Fridays for Future nach der Siemens-Entscheidung kurzfristig organisiert worden.
"Siemens steckt in einem Konflikt, der nur schwer aufzulösen ist", sagte Hagen Reimer, IG-Metall-Vertreter im Siemens-Aufsichtsrat. "Neben der Verantwortung gegenüber den Beschäftigten muss der Konzern auch verantwortungsvoll in gesellschaftlichen Fragen handeln." Hier müsse die richtige Balance gefunden werden. "Wir begrüßen deshalb den Vorschlag von Siemens-Chef Kaeser, ein eigenes Gremium zur Abwägung von Nachhaltigkeitsfragen zu schaffen."
Das Bundesumweltministerium wollte den konkreten Fall nicht kommentieren. Die Unternehmenswelt könne und müsse aber daraus lernen, dass es ein Frühwarnsystem brauche, sagte ein Sprecher. "Wer mit dem Wissen von heute in fossile Infrastruktur investiert, riskiert, morgen zu den Verlierern zu gehören."
"Rufschaden wesentlich größer"
Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, sie habe sich ein anderes Signal erhofft - auch, weil das Auftragsvolumen für Siemens relativ gering sei. Der Konzern hätte sich "rausverhandeln" oder Vertragsstrafen in Kauf nehmen können, "weil der Rufschaden, der jetzt mit dieser Entscheidung einhergeht, wesentlich größer ausfallen dürfte".
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) bezeichnete Kaesers Entscheidung als zwingend: "Nachdem der Auftrag unterschrieben wurde, muss sich der Konzern daran halten und vertragstreu bleiben", sagte Vizepräsidentin Daniela Bergdolt der "Rheinischen Post". Der Konzern hätte allerdings bei der Vertragsunterzeichnung "schon eine kritischere Haltung zu den Umweltfragen haben können".
Auch wenn Siemens lediglich Signaltechnik nach Australien liefere, müssten sich alle Betriebe über die Verwendung ihrer Produkte bewusst sein, erklärte sie weiter. Zudem diene der Münchner Konzern den Aktivisten als mahnendes Beispiel: "Die Klimaschutzbewegung hat sich mit Siemens bewusst einen prominenten Namen vorgeknöpft", sagte Bergdolt der Zeitung, "jetzt hat sie die Weltöffentlichkeit."
Die Gesellschaft für bedrohte Völker widersprach der Darstellung von Siemens-Chef Kaeser, dass die indigenen Wangan und Jagalingou, deren Land vom Projekt betroffen ist, zugestimmt hätten. "Da scheint Herr Kaeser schlecht informiert worden zu sein", sagte Yvonne Bangert von der Gesellschaft: "Eine Zustimmung, die der UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker genügt, liegt unseres Wissens nicht vor." Auch aus Australien kam Kritik: Der "schändliche" Beschluss ruiniere das Image von Siemens, kritisierte die Australian Conservation Foundation.
Siemens gründet Nachhaltigkeitsrat
Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer warf Kaeser eine "historische Fehlentscheidung" vor. Er habe sich gegen das Pariser Klimaschutzabkommen, gegen die zukünftigen Generationen und "nicht zuletzt gegen die Klimaschutz-Reputation von Siemens" entschieden. Bereits am Freitag hatte Fridays for Future nach eigenen Angaben in mehr als 30 Städten gegen das Unternehmen demonstriert.
Neubauers Mitstreiter Nick Heubeck erklärte, das Bekenntnis zu dem Auftrag für die Kohlemine "macht die Bestrebungen von Kaeser, den Siemens-Konzern zukunftsgerichtet wirken zu lassen, vollständig zunichte". Fridays for Future werde "hierzu auch auf der Aktionärsversammlung von Siemens Anfang Februar sprechen".
Kaeser schrieb auf Twitter, sein Unternehmen habe im Fall des australischen Projekts alle Optionen geprüft, müsse sich aber an seine vertraglichen Verpflichtungen halten. Es gebe "keinen gesetzlich und ökonomisch verantwortungsvollen Weg", ohne Pflichtverletzung vom Vertrag zurückzutreten. "Wäre es mein eigenes Unternehmen, hätte ich womöglich anders gehandelt", erklärte der Siemens-Chef. Er müsse aber auch an Kunden und Investoren denken. Er kündigte die Gründung eines Nachhaltigkeitsrates an, um Umweltschutzfragen in der Zukunft besser zu berücksichtigen.
Der deutsche Großkonzern hatte im Juli 2019 den Auftrag für die Schienensignalanlage der Adani-Mine im australischen Bundesstaat Queensland unterzeichnet. Umweltschützer warnen vor der australischen Carmichael-Mine, die eine der größten Kohleförderstätten der Welt werden und langfristig bis zu 60 Millionen Tonnen Kohle jährlich produzieren soll. Australien ist der größte Kohle-Exporteur der Welt.
Kaeser kündigte Mitte Dezember an, die Beteiligung an dem Projekt auf den Prüfstand zu stellen. Zuvor war er nach eigenen Angaben nicht über den "sehr kleinen" Auftrag mit einem Volumen von 18 Millionen Euro informiert gewesen. Am Freitag traf sich Kaeser in Berlin mit Neubauer und Heubeck von Fridays for Future. Bei dem Treffen bot er Neubauer überraschend einen Aufsichtsratsposten bei der Unternehmenstochter Siemens Energy an. Sie lehnte das Angebot wenig später ab.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa