Wirtschaft

Ökonom über "Bidenomics" "Biden bricht mit den Grundlagen der US-Wirtschaftspolitik"

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Biden selbst kokettiert mit dem Schlagwort "Bidenomics", weiß aber angeblich nicht, was genau damit gemeint ist.

Biden selbst kokettiert mit dem Schlagwort "Bidenomics", weiß aber angeblich nicht, was genau damit gemeint ist.

(Foto: picture alliance / abaca)

US-Präsident Joe Biden hat mehrere große Konjunktur- und Investitionsprogramme aufgelegt. Bemerkenswert daran sind nicht allein die Billionensummen, die die USA ausgeben. Ökonom Max Krahé vom Dezernat Zukunft sieht einen Paradigmenwechsel, der eine jahrzehntelange wirtschaftspolitische Ära beendet.

ntv.de: Als US-Präsident Joe Biden kürzlich über seine Finanz- und Wirtschaftspolitik sprach, kokettierte er damit, dass er gar nicht wisse, was dieses "Bidenomics", von dem alle sprechen, überhaupt sein soll. Können Sie uns erklären, was hinter diesem Schlagwort steckt?

Max Krahé ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen sowie Forschungsdirektor des Thinktanks Dezernat Zukunft.

Max Krahé ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozioökonomie der Universität Duisburg-Essen sowie Forschungsdirektor des Thinktanks Dezernat Zukunft.

(Foto: Fräulein Fotograf, Berlin)

Max Krahé: Eine abschließende Definition in einem Satz kann ich Ihnen auch nicht liefern. Aber es gibt drei Merkmale, die sich meines Erachtens herauskristallisieren, die 'Bidenomics' ausmachen, und die zeigen, dass es sich wirklich um eine wirtschaftspolitische Zäsur, eine ökonomische Zeitenwende handelt. Dass Biden mit den jahrzehntealten Grundlagen der US-Wirtschaftspolitik bricht.

Welches sind diese Merkmale?

Erstens ist das die schonungslose Abrechnung mit dem, was oft unter dem Begriff Neoliberalismus subsumiert wird. Mit dem alten Paradigma, das die vergangenen vier Jahrzehnte der Wirtschaftspolitik in den USA und darüber hinaus geprägt hat. 'It failed America', ['Sie hat Amerika hängen lassen'] hat Biden gesagt. Diese Politik, die ja auch Bidens eigene Partei zu verantworten hat, für gescheitert zu erklären, das ist schon eine erstaunliche Aussage für einen US-Präsidenten. Biden bricht mit der Grundlage der bisherigen US-Wirtschaftspolitik.

Zweitens ist das der Anspruch, politisch zu gestalten. Gemäß dem alten Paradigma war es der Markt, der die besten Ergebnisse erzielt. Der Staat sollte sich am besten heraushalten, etwa aus dem Welthandel, der möglichst frei sein sollte, um für alle das effizienteste Ergebnis zu bringen. Das lässt Biden nicht mehr gelten und versucht etwa mit dem Inflation Reduction Act (IRA), gezielt Industrieproduktion in die USA zurückzuholen.

Und drittens gibt es eine Umkehrung des Verhältnisses von Finanz- und Wirtschaftspolitik. Es gilt nicht mehr, dass zunächst geschaut wird, wie viel Geld im Haushalt ist, und dann entschieden, wie viel man etwa für Bildung, Gesundheit und so weiter ausgeben kann. Biden und die Demokraten gehen jetzt umgekehrt vor. Sie haben Ziele formuliert und anschließend die Finanzplanung daran angepasst, wie viel Geld dafür nötig ist.

Das ist die Theorie. Wie schlägt sich "Bidenomics" in der Praxis nieder?

Es sind hauptsächlich vier Gesetze, in denen sich dieses neue Paradigma niederschlägt: Der American Rescue Plan Act - Bidens großes Corona-Konjunkturpaket -, das Investitionspaket Infrastructure Investment and Jobs Act, der CHIPS Act, mit dem vor allem aus sicherheitspolitischen Erwägungen die Produktion moderner Mikrochips in die USA geholt werden soll, und der erwähnte Inflation Reduction Act, der vor allem klimapolitische Ziele verfolgt. Im Rahmen dieser Gesetze stellt die US-Regierung für ihre sozial-, klima-, sicherheits- und verteilungspolitischen Ziele mehrere Billionen US-Dollar bereit. Wobei es im IRA etwa für einige Subventionen keine Obergrenze gibt. Die Gesamtkosten sind also noch nicht absehbar.

Einfach politische Ziele setzen und dann die Finanzplanung daran anpassen: Das klingt für jemanden aus Deutschland, das mit der Schuldenbremse das umgekehrte Prinzip in der Verfassung verankert hat, geradezu unglaublich. Wie soll das funktionieren? Kann das nicht fürchterlich schiefgehen?

Natürlich gibt es ein Risiko. Es ist nicht auszuschließen, dass man in dem einen oder anderen Bereich übersubventioniert oder überinvestiert und diese Investitionen sich nicht rentieren. Es kann geschehen, dass das Wachstum sich nicht wie erhofft entwickelt und die Schuldenlast steigt. Aber letztlich ist die Frage, wie man zwischen verschiedenen Risiken abwägt. Die Biden-Regierung erkennt etwa ein größeres Risiko darin, von Technologieimporten abhängig zu sein, im Klimawandel und in der sozialen Verelendung durch die Deindustrialisierung ganzer Landstriche in den USA, als im Haushaltsrisiko durch zusätzliche Ausgaben.

Die von Biden für gescheitert erklärte Wirtschaftspolitik wurde jahrzehntelang auch von den Demokraten mitgetragen. Selbst nach der großen Finanzkrise 2008 änderte sich das nicht. Warum kommt diese Zäsur gerade jetzt?

Das kann man in drei Schlagworten zusammenfassen: Trump, China, Bernie Sanders. Seit Donald Trumps Präsidentschaft sind die Demokraten und auch Teile der Republikaner getrieben von einer akuten Sorge um die amerikanische Demokratie. Diese Angst hat diese Politiker offener gemacht für neue Ideen. Das Erstarken Chinas hat den USA Verwundbarkeiten, etwa durch die Abhängigkeit von importierten Hightech-Chips, vor Augen geführt. Russlands Angriff auf die Ukraine hat den Eindruck von geopolitisch härteren Zeiten nochmal verstärkt. Und dann ist da Bernie Sanders. Der vergleichsweise links stehende Politiker wäre, getragen von einer Welle sozialer Proteste, etwa der Black-Lives-Matter-Bewegung, beinahe Präsidentschaftskandidat der Demokraten geworden. Das hat auch die Führung der Demokraten mitbekommen. Die seit Jahren von Sanders und von linken Thinktanks vertretenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind dadurch im Zuge des Wahlkampfs Teil des demokratischen Mainstreams geworden.

Sie sprechen von einer wirtschaftspolitischen Zäsur. Aber ist "Bidenomics" wirklich ein dauerhafter Richtungswechsel? Woran machen Sie fest, dass die USA nicht vielleicht schon nach der nächsten Wahl, beim nächsten Regierungswechsel zum alten Muster zurückkehren?

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Republikaner, falls sie wieder an die Macht kommen, alles zurückdrehen, halte ich für gering. Zum einen waren die Republikaner nur dann um den Staatshaushalt besorgt und gegen Schuldenaufnahme, wenn sie selbst nicht regiert haben. Unter republikanischen Präsidenten ist das Defizit dagegen oft stark angestiegen. Zum anderen ist der IRA keine klassische Klientelpolitik seitens der Demokraten. Das Gesetz sieht sogar besonders hohe Subventionen für Investitionen in strukturschwache Regionen vor, die überwiegend republikanisch wählen. Das werden die entsprechenden Abgeordneten kaum abschaffen. Dadurch ist das Gesetz gewissermaßen bei einem Machtwechsel abgesichert.

Biden behauptet, er wisse zwar nicht, was "Bidenomics" genau sei, aber es funktioniere. Kann man den Erfolg dieser neuen Politik schon bewerten und wie?

Dafür braucht man einen Maßstab. Ich schlage vor, die Entwicklung der Investitionen, insbesondere privater Investitionen, zu nehmen. Um zu beurteilen, ob die Gesetze wirken, müsste man also mindestens einen Investitionszyklus der Unternehmen, das heißt zwei bis vier Jahre, abwarten. Ein anderer Maßstab könnte die Einkommensverteilung sein, insbesondere geografisch. Profitieren strukturschwache Regionen wie erhofft? Und letztlich muss sich zeigen, ob die Investitionen in erneuerbare Energie dazu führen, dass die Emissionen sinken. Auch das wird sich aber erst innerhalb einiger Jahre zeigen.

Mit Max Krahé sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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