Schwärme gegen TitanenDie USA und China stecken mitten im Kalten KI-Krieg
Von Hannes Vogel
Washington und Peking ringen um die globale Vormacht bei Künstlicher Intelligenz. Dem Gewinner winkt die technologische Weltherrschaft. Noch liegen die USA vorn. Doch China hat einen Schlachtplan - und das Silicon Valley in einigen Bereichen schon überholt.
Als Donald Trump am 20. Januar 2025 unter der Kuppel des Kapitols in Washington seine Amtsantrittsrede hielt, zeichnete er ein Bild von grenzenloser Macht der USA. Eine "neue Ära des nationalen Erfolgs" sei angebrochen, Amerikas Abstieg vorbei, verkündete Trump, und erklärte seine Amtseinführung zum "Tag der Befreiung" für alle Amerikaner. Vor epischen Gemälden der Kapitulation britischer Generäle im Unabhängigkeitskrieg versprach er: "Das goldene Zeitalter Amerikas beginnt genau jetzt".
Doch auf der anderen Seite der Welt passierte am gleichen Tag etwas, das Trumps Versprechen Lügen strafte. Ohne viele Worte geschah dort im Stillen eine Revolution, die für mindestens ebenso viel Furore sorgte wie Trumps Rede. Eine bis dahin kaum bekannte chinesische KI-Firma veröffentlichte einen Chatbot, der nahezu ebenbürtig war mit ChatGPT von OpenAI - aber nur einen Bruchteil in der Entwicklung gekostet hatte.
Der Deepseek-Schock war eine Art Sputnik-Moment der KI-Revolution und ließ die Börsen weltweit abstürzen. Denn nicht die Internet-Riesen der Rechenpower- und Tech-Supermacht USA, sondern ein Billig-Konkurrent aus China schien plötzlich im KI-Wettrennen vorn zu liegen. Amerikas strategischer Rivale hatte Trump die Show gestohlen. Und erschütterte die astronomischen Bewertungen von Nvidia, Amazon, Alphabet und Co., die mit Billionen-Investments in Superchips Amerikas Vormacht zementieren wollen.
Es war der Startschuss zum globalen Ringen zwischen den USA und China um die vielleicht wichtigste Zukunftstechnologie. Es steht dem Wettlauf ins All zwischen den USA und der Sowjetunion in nichts nach. Washington und Peking stecken mitten in einem Kalten KI-Krieg. Für beide Supermächte geht es um alles: Die USA sehen in Chinas Aufholjagd einen Frontalangriff auf ihre technologische Überlegenheit und nationale Sicherheit. Und China wittert hinter Washingtons Versuchen, seine KI-Wirtschaft zu untergraben, ein Komplott, um den Aufstieg des Landes zur Weltmacht zu sabotieren. Noch haben die USA einen Vorsprung. Aber China mobilisiert alle Ressourcen, um Amerikas KI-Dominanz zu brechen.
Pekings Botschaft ist unmissverständlich
Dass Chinas größte KI-Hoffnung ausgerechnet am Tag von Trumps Amtsantritt ihr bahnbrechendes Modell veröffentlichte, dürfte kaum Zufall gewesen sein. Die Machtübergabe in den USA lieferte die perfekte Bühne, um eine Botschaft nach Washington und ins Silicon Valley zu senden. Die Tech-Milliardäre saßen bei Trumps Rede in der ersten Reihe. Schon etwa neun Monate zuvor, berichtet das "Wall Street Journal", habe Peking die Order ausgegeben, der Dominanz von OpenAI, Google und Microsoft etwas entgegenzusetzen und massiv Geld und Rechenpower in die KI-Entwicklung gepumpt. Das Ergebnis entzückte Chinas Premier Li Qiang offenbar: "China hat endlich ein Modell, auf das es stolz sein kann", soll er laut dem Blatt beim Deepseek-Schock gesagt haben.
Auch wenn die USA mit ChatGPT, Claude und Gemini weiterhin die leistungsfähigsten Modelle haben: die Konkurrenz aus China ist längst nur noch marginal schwächer. "Unser Vorsprung beträgt wahrscheinlich Monate, aber keine Jahre", zitiert die Zeitung Chris McGuire vom US-Thinktank Council on Foreign Relations, der die Technologieblockaden der Biden-Regierung gegenüber China mitentworfen hat.
Amerikas Elite ist alarmiert. Denn KI hat nicht nur das Potential, die Wirtschaft und Arbeitswelt umzukrempeln. Sondern auch die globalen Machtverhältnisse: Die Nation, die als erste eine übermenschliche Superintelligenz erschafft, kann sie nicht nur einsetzen, um ihre wirtschaftliche Produktivität ins Unermessliche zu steigern oder Krebs zu heilen. Sondern um Biowaffen, Raketen und Drohnen zu entwickeln, gegen die Rivalen keine Chance mehr haben.
Mobilisation wie beim Großen Sprung nach vorn
Peking macht Ernst: Schon 2017 hatte Chinas Staatsführung das Ziel ausgegeben, bis 2030 zur führenden KI-Macht der Welt aufzusteigen. Diese Ambition erhielt mit dem Launch von ChatGPT einen Dämpfer. Doch nun legt Präsident Xi Jinping nach: Etwa einen Monat nach Trumps Amtsantritt soll er laut dem Blatt den DeepSeek-Gründer und andere chinesische Tech-Bosse instruiert haben, sich voll auf KI zu konzentrieren. Im Sommer stellte China dann seine "KI Plus"-Strategie vor. Die Technologie soll künftig alle Bereiche der chinesischen Gesellschaft durchdringen und bis 2027 in 70 Prozent, bis 2030 in 90 Prozent der Wirtschaft zum Einsatz kommen.
Den Umbau zur KI-Gesellschaft verfolgt China ähnlich radikal wie einst den Großen Sprung nach vorn. Präsident Xi mobilisiert für die nächste industrielle Revolution das gesamte chinesische Volk wie einst Mao. In einigen Bereichen haben sich die Kräfteverhältnisse bereits umgekehrt: Laut "Bloomberg" meldet Chinas führende Tsinghua-Universität inzwischen mehr KI-Patente an als das MIT, Princeton, Harvard und Stanford zusammen - fast 5000 in den vergangenen 20 Jahren.
Und wenn es um Tech-Personal geht, kämpft China gar nicht mit den USA, sondern mit sich selbst: Ein Großteil der Entwickler bei den Top-KI-Schmieden der USA sind Chinesen oder haben chinesische Wurzeln, wie etwa ScaleAI-Gründer Alexandr Wang, dessen Firma von Meta übernommen wurde und der nun Mark Zuckerbergs KI-Superintelligenz-Labor leitet. Laut einer Studie des Paulson-Instituts von 2020 stammten schon damals rund ein Drittel der hundert wichtigsten KI-Forscher der Welt aus China. Denn China produziert Ingenieure wie am Fließband: Mehr als 3,5 Millionen Absolventen naturwissenschaftlich-technischer Fächer verlassen jährlich Chinas Universitäten - mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Zudem hat China noch ein weiteres strategisches Ass im Ärmel: billige Energie. Laut "Wall Street Journal" produzierte die Volksrepublik im vergangenen Jahr mehr als doppelt soviel Strom wie die USA. In den letzten 15 Jahren hat China massiv in sein Netz investiert. Die Erzeugungsleistung hat dadurch mehr zugelegt als im gesamten Rest der Welt zusammen. Goldman Sachs schätzt, dass China bis 2030 Überkapazitäten von 400 Gigawatt aufgebaut haben wird - etwa dreimal so viel wie der bis dahin prognostizierte Stromverbrauch aller Rechenzentren weltweit. Selbst OpenAI warnt längst vor der "Elektronen-Lücke" in den USA.
Chinas Schwärme sollen Amerikas Titanen besiegen
Doch die USA kontrollieren dafür bislang noch den wichtigsten Rohstoff des Kalten KI-Kriegs: Hochleistungschips. Hier liegt China laut Brancheninsidern, die das Blatt zitiert, noch etwa zehn Jahre zurück - vor allem wegen der jahrelangen Exportverbote für US-Technologie. Doch das Reich der Mitte formiert sich für den Gegenschlag. Statt auf wenige Chip-Giganten wie Nvidia, AMD oder Broadcom setzt China dabei auf die Netzwerk-Taktik: Chinas nationaler Tech-Gigant Huawei kooperiert in der Entwicklung mit tausenden kleinen Firmen.
Huawei ist Chinas Speerspitze für technologische Unabhängigkeit von den USA. Mit einem ambitionierten Drei-Jahres-Plan will der Konzern aus Shenzen Nvidias Dominanz bei KI-Chips brechen. Statt auf immer leistungsfähigere Prozessoren setzt Huawei dabei auf zahlenmäßige Überlegenheit: Ab 2027 will der Tech-Riese mehr als eine Million seiner eigentlich viel schwächeren Ascend-Chips zu einem KI-Supercluster zusammenschalten, um eine vergleichbare Rechenpower wie Nvidia-GPUs zu erreichen. Angeblich werden die Daten dabei 62-mal schneller übertragen. Chinas Chip-Schwärme sollen so den Titanen besiegen.
Wohl auch weil China sowieso immer stärker auf einheimische Huawei-Technik setzt, hat Donald Trump nun Nvidia erlaubt, seinen zweitbesten H200-Chip im Reich der Mitte zu verkaufen. Das Weiße Haus will Pekings KI-Wirtschaft nun auf den letzten Drücker plötzlich abhängig von US-Technologie machen, statt sie wie bisher von der Versorgung abzuschneiden. Denn sobald Huawei einmal konkurrenzfähig geworden ist, können die Tech-Riesen aus dem Silicon Valley China als Markt vergessen.
Doch bislang schlucken die Chinesen den Köder nicht. Im Gegenteil: Obwohl Trump mit dem Ende des Exportverbots jahrelange Sanktionen aufhebt, gegen die Peking immer gekämpft hat, will China seinen Tech-Firmen den Kauf der lange heimlich ins Land geschmuggelten Nvidia-Chips verbieten. Knapp ein Jahr nach dem Deepseek-Schock sendet das Reich der Mitte damit eine weitere Botschaft nach Washington: Im Kalten KI-Krieg wird Peking so schnell nicht klein beigeben.