Wirtschaft

Angst vor der Dunkelflaute Stromversorgung: Geht's nicht ohne Gas?

Kohle- und Gaskraftwerk Staudinger am Main in der Nähe von Hanau: Deutschland möchte weg vom Gas- und Kohlestrom - schafft es aber noch nicht.

Kohle- und Gaskraftwerk Staudinger am Main in der Nähe von Hanau: Deutschland möchte weg vom Gas- und Kohlestrom - schafft es aber noch nicht.

(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)

Deutschland will weg von fossilen Energieträgern und setzt auf Windkraft und Solar. Doch ausgerechnet im Winter 2022 können die Anlagen zeitweise nicht genug Strom liefern. Das Ergebnis: Deutsche Gaskraftwerke verbrennen deutlich mehr teures Erdgas, um ins Stromnetz einzuspeisen. Wie lässt sich das vermeiden?

Es ist Dezember. Es ist kalt. Es ist dunkel. Und wie immer um diese Jahreszeit zieht der Gasverbrauch deutlich an, weil in Deutschland wieder mehr geheizt wird. So weit, so normal. Eher ungewöhnlich ist aber die Menge an Erdgas, die Deutschland seit einigen Wochen zur Stromgewinnung einsetzt. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der Gas knapp und teuer ist. Muss das sein?

Die Bundesnetzagentur sieht es gelassen. Sie geht von einem vorübergehenden Phänomen aus. "Dass die Stromerzeugung mittels Gas zwischenzeitlich höher ausfällt, ist durchaus nicht ungewöhnlich und hängt von einer ganzen Reihe Faktoren wie dem Wärmebedarf, einem hohen Strombedarf, hohen Exporten und dem niedrigen Windaufkommen ab", teilte eine Sprecherin auf Nachfrage von ntv.de mit.

In den Windparks herrscht vorübergehend Flaute

Anfang Dezember kam einfach alles irgendwie zusammen: Eisige Kälte, wenig Wind und eine hohe Stromnachfrage, insbesondere aus dem Nachbarland Frankreich. Von einer Energiekrise ist Deutschland zwar immer noch weit entfernt; der Strombedarf kann problemlos gedeckt werden. Doch die besonderen Umstände in diesem Winter zeigen beispielhaft, womit Planer der Energiewende auch in Zukunft rechnen müssen.

Denn seit Ende November fällt die Stromernte der Solar- und Windkraftanlagen in Deutschland mager aus. Über drei Wochen hinweg lag der Tagesanteil der beiden erneuerbaren Energieträger am Stromverbrauch durchgängig unter 30 Prozent. An 8 von 21 Tagen fiel ihr Ertrag im Vergleich zum Bedarf sogar in den einstelligen Bereich - ein Ereignis, das in den letzten Jahren zwar immer wieder, aber nie so konzentriert aufgetreten ist, wie die ntv.de-Datenauswertung zeigt.

Um Heizbedarf und Stromnachfrage zu decken, werden die Kohle- und Gaskraftwerke hochgefahren. "Solche Phasen sind nichts Ungewöhnliches", sagt Dierk Bauknecht, leitender Forscher am Öko-Institut mit Blick auf die Stromdaten im Dezember. "Rein technisch passiert jetzt genau das, was wir auch erwarten würden - nämlich, dass die konventionellen Kraftwerke einspringen."

Solange russisches Gas billig zu beschaffen war, habe sich bisher kaum jemand Gedanken gemacht, wie viel davon ins Stromnetz fließt, merkt Bauknecht an. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wird Deutschlands Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen jedoch zunehmend als Problem erkannt. Zugleich gibt es Vorbehalte gegenüber der Energie aus Wind und Sonne. Denn was bringt der Windkraftausbau, wenn die Anlagen im entscheidenden Moment nicht liefern können?

Bauknecht will das nicht gelten lassen: "In der jetzigen Situation ist das natürlich ungünstig", sagt er über die Flaute in den Windparks. "Aber es ist kein Argument gegen die erneuerbaren Energien. Denn wenn wir die nicht hätten, müssten wir ja noch mehr Gas verbrennen."

Gasverbrennung läuft auf Hochtouren

Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, hatte der Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck in diesem Winter sogar in Kauf genommen, dass Kohlekraftwerke wieder mehr Strom produzieren. Im Dezember hat das aber nur bedingt geholfen.

Seit Monatsbeginn kam Strom aus Gas, gemessen am täglichen Strombedarf, durchgehend auf Anteile jenseits der 20-Prozent-Marke. Sonst sind es meist nur etwa 9 bis 10 Prozent. Auch in absoluten Zahlen überstieg die aus Gas gewonnene Strommenge in den Kalenderwochen 48 und 49 den Vorjahresdurchschnitt bei weitem. Sogar die Spitzenwerte von 2020 wurden übertroffen.

Die Bundesnetzagentur beschwichtigt: Der vergleichsweise hohe Gas-Anteil am Strommix sei nur eine Momentaufnahme. "Auf Basis der aktuellen Wetterprognosen ist davon auszugehen, dass sich dies kommende Woche ändert, wenn die Windenergie wieder einen höheren Anteil an der Stromerzeugung leistet", hieß es am Freitag. Tatsächlich lässt sich pünktlich zum Wochenstart am tagesaktuellen Strommix ablesen, dass die Windparks deutlich zulegten. Die teuren Gaskraftwerke fahren runter.

Begünstigend kommt hinzu, dass in der zweiten Dezemberhälfte durch Weihnachtsfeiertage und Urlaubszeit eine traditionell eher verbrauchsarme Zeit ansteht. In der Monatsbetrachtung könnte der Gesamtverbrauch dadurch immer noch auf einen durchschnittlichen Dezember hinauslaufen.

Die Bundesnetzagentur beharrt trotzdem auf ihrem Spar-Mantra: Die aktuelle Entwicklung habe nochmals deutlich gezeigt, "dass es nach wie vor sehr wichtig ist, in den Einsparanstrengungen nicht nachzulassen", betont die Sprecherin gegenüber ntv.de. Was anderes bleibt den Deutschen auch kaum übrig. Denn auch wenn der Ausbau der Erneuerbaren stetig voranschreitet: Noch fehlt es an Alternativen zum Gas.

Der Experte vom Öko-Institut zeigt sich dennoch optimistisch, was die Zukunft der Erneuerbaren angeht. "Die Rechnung ist relativ einfach: Jedes Windrad, das aufgebaut wird, ersetzt unmittelbar die entsprechenden Kilowattstunden aus der Erdgas-Stromerzeugung", sagt Bauknecht.

Tatsächlich fällt die Bilanz der Erneuerbaren über das gesamte Jahr 2022 betrachtet durchaus positiv aus. Der Beitrag aus nicht-fossilen Kraftwerken zum deutschen Strommarkt hat gegenüber dem Vorjahr erneut zugelegt. Ein Sommer mit außergewöhnlich vielen Sonnenstunden hat günstigen Solarstrom im Überfluss beschert. An manchen Tagen konnten rund drei Viertel des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland allein durch Solar- und Windkraft gedeckt werden. Aber - zugegeben - auch das sind Ausnahmeerscheinungen. Im Normalfall ist es immerhin ein gutes Drittel.

Nach Ansicht des Experten wäre auch noch mehr drin. "Es ist durchaus möglich, so viel erneuerbaren Strom zu erzeugen, dass es unseren Strombedarf über das Jahr gerechnet abdeckt", erklärt Bauknecht.

Klar ist aber auch: Je höher der Anteil der wetterabhängigen Energieträger ausfällt, desto mehr wird Deutschland auch auf Speichertechnologien angewiesen sein. Bauknecht geht davon aus, dass grüner Wasserstoff dabei eine zentrale Rolle spielen wird. In dieser Vision soll überschüssige Kraft aus erneuerbaren Energiequellen an wind- und sonnenreichen Tagen in die Herstellung von Wasserstoff fließen, der eingespeichert und in Flautezeiten verstromt werden kann.

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"Dieser Plan ist nicht neu und durch die aktuelle Krisensituation gibt es sozusagen nur noch einen Grund mehr, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vorzuziehen, um das Erdgas noch früher zu ersetzen", sagt Bauknecht. "Aber das geht eben nicht von heute auf morgen."

Bei allem Verständnis für die politischen und wirtschaftlichen Prozesse, hofft der Forscher dennoch auf größere Fortschritte in der Energiewende. Denn: "Wenn es in dem aktuellen Tempo weitergeht, haben wir bis 2030 immer noch einen hohen Anteil an konventioneller Energie, zumindest verfehlen wir unsere selbst gesteckten Ziele", meint Bauknecht. "Und das bedeutet eben auch, dass wir länger als erhofft mit den entsprechenden Emissionen und teuren Kraftwerken zu tun haben werden."

Quelle: ntv.de

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