Kampf um Glaubwürdigkeit EZB bereitet den Zins-Hammer vor
03.09.2022, 06:10 Uhr
Sie sei sicher, dass die EZB ihr Inflationsziel von zwei Prozent wieder erreichen werde, sagt Chefin Christine Lagarde.
(Foto: IMAGO/Rainer Unkel)
Die Inflation schießt nach oben. Die Europäische Zentralbank hat die Preissteigerung bisher nicht in den Griff bekommen. Sie könnte deshalb mit einer in ihrer Geschichte noch nie dagewesenen Zinserhöhung nachlegen.
Die Europäische Zentralbank muss sich zwischen Pest und Cholera entscheiden: In der Eurozone droht die Inflation, völlig aus dem Ruder zu laufen. Zugleich schwächelt die Wirtschaft. Hebt die EZB also die Zinsen kräftig an, um die allgemeine Preissteigerung unter Kontrolle zu bringen, könnte sie die Konjunktur abwürgen.
Doch die hochschießende Inflation lässt den Zentralbanken keine andere Wahl. Sie werden die Leitzinsen auf ihrer nächsten Sitzung am kommenden Donnerstag in die Höhe schrauben. Die Frage ist lediglich, wie groß der Zinsschritt sein wird. Im August hatte die Inflation in der Eurozone noch einmal an Fahrt gewonnen und liegt mittlerweile bei 9,1 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit Einführung der Gemeinschaftswährung.
Lange war die EZB unter Führung von Christine Lagarde vor Zinserhöhungen zurückgeschreckt. Sie hatte angenommen, dass die hohen Inflationsraten von alleine verschwinden, weil die zwei wesentlichen Ursachen vorübergehend seien: Die gestörten Lieferketten würden sich bald einrenken, und am Ende der Heizsaison würden die Energiepreise mit abnehmender Nachfrage sinken. Die Logik dahinter: Höhere Zinsen reparieren weder Lieferketten, noch machen sie Öl billiger. Stattdessen bremsen sie die Konjunktur aus.
Doch es kam anders. Die Energiepreise gehen wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine durch die Decke, während die nächste Heizperiode naht. Durch Chinas strikte Null-Covid-Strategie werden globale Lieferketten immer wieder gestört. Schlimmer noch: In der Eurozone wächst die Furcht, dass die hohe Inflation von Dauer ist. Sollte sich diese Erwartung auf breiter Front festsetzen, hat die EZB ein großes Problem. Denn dann kann eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen.
Arbeitnehmer geben dann branchenübergreifend ihre Zurückhaltung auf und setzen höhere Löhne durch, da sie davon ausgehen, dass die Inflation auf absehbare Zeit nicht zurückkommt. Unternehmen erhöhen als Ausgleich die Preise. Daraufhin steigt das allgemeine Preisniveau weiter, es entsteht eine Kettenreaktion.
"Kräftige Zinsanhebung"
Vor diesem Hintergrund hatte die EZB im Juli die Notbremse gezogen und die Null-Zins-Politik beendet. Trotz der überraschend hohen Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte nimmt der Preisdruck aber nicht ab. Eine am heutigen Freitag veröffentlichte Umfrage der EZB dürfte die Zentralbanker beunruhigen: Die langfristige Inflationserwartung der Konsumenten ist gestiegen und liegt deutlich über dem EZB-Inflationsziel von zwei Prozent.
Die Zentralbanker sehen sich deshalb gezwungen, Entschlossenheit zu demonstrieren. "In diesem Umfeld müssen die Zentralbanken kraftvoll handeln", sagte Notenbank-Direktorin Isabel Schnabel am vergangenen Wochenende auf einem Symposium der US-Notenbank in Jackson Hole. "Je länger die Inflation hoch bleibt, desto größer ist das Risiko, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in unsere Entschlossenheit und Fähigkeit verliert, Kaufkraft zu bewahren", so die Ökonomin. Wenn eine Zentralbank die Hartnäckigkeit der Inflation unterschätze - dies haben Schnabel zufolge die meisten Notenbanken in den vergangenen anderthalb Jahren getan - und ihre Geldpolitik nur langsam verändere, seien die Folgekosten womöglich beträchtlich.
Sollte die EZB um ihre Glaubwürdigkeit fürchten, dürfte sie am Donnerstag einen Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten machen - er wäre damit so groß wie noch nie in ihrer Geschichte. Lange waren die Finanzmärkte von 0,5 Prozentpunkten ausgegangen. Doch nachdem mehrere Notenbanker im Vorfeld der Sitzung eine "kräftige Zinsanhebung" forderten, rechnen immer mehr Analysten und Marktakteure mit einer deutlicheren Erhöhung. Das Risiko, der Konjunktur damit einen schweren Schlag zu versetzen und die Eurozone in eine Rezession zu stürzen, nimmt die EZB in Kauf. Das Kalkül: Wenn sie die Inflation in den Griff bekommt, bleiben ihr weitere Zinserhöhungen erspart.
Quelle: ntv.de, mit rts