Wirtschaft

Es kann nur einen geben "Game of Thrones" in Wolfscastle

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Ein Logo, das eine Stadt prägt, in der sich schon so mancher Wirtschaftskrimi abgespielt hat: VW in Wolfsburg.

(Foto: picture alliance/dpa)

2020 sollte ein Jahr der Feiern und Jubiläen bei VW werden: 75 Jahre Wolfsburg, 75 Jahre Betriebsrat. Doch Ende 2020 eskaliert ein Machtkampf beim weltgrößten Automobilbauer, in dem es nur Verlierer geben kann - oder ein filmreifes Happy End.

In der deutschen Wirtschaft tobte in den letzten Monaten auf oberster Führungsebene ein Machtkampf, wie er durchaus auch als Drehbuch-Episode der populären Fernsehserie "Game of Thrones" hätte durchgehen können. Nur mit dem Unterschied, dass sich das Ganze nicht in fiktiven Königreichen, sondern real in der deutschen Autoindustrie abspielte. Und die Akteure keine Finsterlinge, sondern ehrbare Angestellte zweier Großfamilien waren. Statt an einem Filmset spielte sich die Handlung in der Konzernzentrale der Volkswagen AG ab, in Wolfsburg.

VW Vorzüge
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Die Story ist ein bitterernster Machtkampf zwischen zwei ebenbürtigen Kontrahenten. Der eine heißt Herbert Diess und ist Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns, mit einer Jahresproduktion von mehr als zehn Millionen Autos und 600.000 Beschäftigten der größte Autokonzern der Welt. Gegenspieler ist Bernd Osterloh, Vorsitzender des VW-Gesamtbetriebsrates. Der Kampf dreht sich um die strategische Ausrichtung des Volkswagen-Konzerns. Salopp gesagt geht es darum, wer bei VW das Sagen hat. Die Kampfstatt ist Wolfsburg, das wie der Betriebsrat selbst in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen feiert. Dieser Hintergrund ist wichtig, will man die Handlung verstehen.

Es war einmal ...

VW wurde am 28. Mai 1937 vom Hitler-Regime als "Gesellschaft zur Vorbereitung des Volkswagens" gegründet und 1938 in Volkswagenwerk GmbH umbenannt. Der Ort, an dem der Werksaufbau auf der grünen Wiese stattfand, erhielt damals wegen der Ortschaft Fallersleben in der Nähe den Namen "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben". KdF stand für "Kraft durch Freude". Nach Kriegsende ging die Zuständigkeit für das Volkswagenwerk auf die britische Militärregierung über. Unter Leitung von Anton Piëch, Vater von Ferdinand Piëch. Das Werk selber nahm bereits Mitte Juni 1945 als "Wolfsburg Motor Works" die Arbeit auf. Am 26. Mai 1945 entstand die Stadt Wolfsburg durch Umbenennung. 1949 überführte die britische Militärregierung das Unternehmen in die Treuhandschaft Niedersachsens - verbunden mit der Auflage, die Eigentümerrechte gemeinsam mit dem Bund auszuüben und den anderen Bundesländern sowie den Gewerkschaften großen Einfluss einzuräumen.

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Herbert Diess stellte die Vertrauensfrage, pokerte hoch und kann sich als ein Gewinner des Machtkampfs bei VW fühlen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Und das blieb so über alle folgenden Jahrzehnte hinweg. Das Unternehmen wurde 1960 in eine AG umgewandelt und teilprivatisiert. 1985 wurde es in die Volkswagen AG umfirmiert. 1993 betrat Ferdinand Piëch als Vorstandsvorsitzender die Bühne.

Arbeiter statt Kapital

Das Wesentliche an dieser Historie ist die Erkenntnis, dass die Volkswagen AG seit Gründung Kind der Arbeiterseite war, nicht des Kapitals. Vom Grundsatz her lag die Verantwortlichkeit ungeschrieben immer bei den Arbeitnehmern und dem Betriebsrat, nicht bei den Kapitalgebern. Daran änderte sich auch nichts nach dem Eigentumsübergang an die Familienstämme Piëch und Porsche ab 2009. Immer suchten die jeweiligen Vorstandsvorsitzenden Abstimmung und Konsens mit dem Betriebsrat, im heutigen Fall mit Bernd Osterloh.

Dann kam Herbert Diess - und alles sollte anders werden. Der Österreicher Diess wurde 2015 von Piëch von BMW als Chef der zentralen Marke Volkswagen abgeworben und löste 2018 Matthias Müller als Vorsitzender des Vorstands der Volkswagen AG ab. Zeitgleich wurde Gewerkschaftsmann Gunnar Kilian, der als Assistent von Ferdinand Piëch in Salzburg in der Vermögensverwaltung tätig war, als Personalvorstand nach Wolfsburg zurückbeordert.

Radikale Umbaupläne

Faktisch war damit die Vormachtstellung des Betriebsrates gesichert. Und der Betriebsfrieden auch, wäre da nicht die veröffentlichte Absicht von Diess kurz nach Amtsantritt gewesen, zuerst die Marke, danach den Konzern innerhalb von zwei Autogenerationen, also 14 Jahre, radikal umzubauen. Diess wollte zweierlei:

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Der andere Gewinner im VW-Machtkampf: Bernd Osterloh.

(Foto: picture alliance/dpa)

Er wollte als "kreativer Zerstörer" zum einen die auf internen Machtkämpfen und Personalquerelen basierenden VW-Unternehmenskultur grundlegend verändern. Zum anderen wollte Diess die althergebrachte und erfolgreiche Verbrenner-Antriebstechnik im VW-Konzern, vor allem der Kernmarke Volkswagen, komplett durch Elektroantriebe ablösen. Diess verkündete, VW werde ab 2026 keine Verbrennermotoren mehr entwickeln, ab 2040 keine Verbrennerautos mehr produzieren. Also: Schicht im Verbrennerschacht an der Aller.

Diese Vorhaben mussten zwangsläufig zu einem heftigen Konflikt mit Betriebsrat und Belegschaft führen, denn sie hätten gravierende Verluste von Arbeitsplätzen nach sich gezogen.

Ein "Rechtsbruch" und die Vertrauensfrage

Zum ersten Eklat zwischen Diess und Betriebsratschef Osterloh kam es im Frühjahr 2020, als Diess sich öffentlich beklagte und er seinen Aufsichtsräten "Rechtsbruch" vorwarf - ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Nur durch eine öffentliche Entschuldigung vermochte er Kopf und Konzernvorsitz zu retten. Die Führung der elektrogefährdeten Kernmarke Volkswagen musste er allerdings abgeben, ebenso seinen Stammplatz in den Talkshows öffentlich-rechtlicher Fernsehsender.

Zum nächsten Eklat kam es, als Diess nicht an der Feierstunde zum 75-jährigen Bestehen des VW-Betriebsrates teilnahm, zu der selbst der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder anreiste. Schließlich brach der Konflikt zwischen Konzernführung und Betriebsrat offen aus, als es um notwendige Neu-Besetzungen im Vorstand ging. Diess hatte für zwei vakante Vorstandsposten Kandidaten nach seinen Vorstellungen nominiert, die aber von der Betriebsratsseite im Aufsichtsrat abgelehnt wurden. Was nun folgte, ist beste "Game of Thrones"-Manier: Diess wollte es nun wissen und stellte beim Aufsichtsrat die Vertrauensfrage. Zudem beantragte er kurzerhand neben der Bestellung seiner Wunschvorstände auch die vorzeitige Verlängerung seines Dienstvertrages, der erst Mitte 2023 auslaufen würde und regulär nicht vor 2022 auf die Tagesordnung käme.

Showdown mit ungewissem Ausgang

Damit war die Machtfrage zwischen VW-Konzernchef Diess und Betriebsratsboss Osterloh mit aller Schärfe entbrannt - und beim Aufsichtsrat gelandet. Ein Showdown mit ungewissem Ausgang bahnte sich an. Hat sich Diess verpokert? Will er gehen? Muss er gehen? Und wie kann wer von beiden Kontrahenten sein Gesicht wahren und retten? Es klingt nach der Quadratur des Kreises. Doch Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wäre kein Österreicher, wenn ihm nach Wochenend- und Nachtsitzungen nicht doch eine Kompromisslösung eingefallen wäre. Eine, die beiden Kontrahenten Gesichtsverluste ersparte:

Herbert Diess bleibt im Amt. Er verzichtet auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung und erhält dafür im Gegenzug eine Ehrenerklärung des gesamten Aufsichtsrates zur uneingeschränkten Fortsetzung seines Kostensenkungs- und Transformationskurses sowie die Bestallung seiner Vorstands-Wunschkandidaten. "Herbert Diess prägt Volkswagen seit 2015 maßgeblich. Ohne seinen Einsatz wäre die Transformation des Unternehmens nicht so konsequent und erfolgreich verlaufen", hieß es dazu. Der Aufsichtsrat schätze Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit, mit denen Diess seine Ziele vorantreibe. - Das ist eindeutig.

Bernd Osterloh wiederum setzt für die Arbeitnehmerseite Diess Grenzen. So darf es einen notwendigen Personalabbau nur im Rahmen bestehender Programme geben - über den demografischen Wandel mit Altersteilzeit und Vorruhestand. Gleichzeitig wurde Diess verpflichtet, auch im Stammwerk Wolfsburg, nicht nur in Emden oder Zwickau, Elektroautos zu bauen - vor allem wohl die von Osterloh präferierten Plug-In-Hybride mit Verbrennermotor. Ein veritables Sicherheitsnetz gegen ungewisse Marktentwicklungen und Beschäftigungsrisiken. Osterloh darf sich bestätigt sehen.

Lassen die beiden Kontrahenten nun Vernunft walten? Wenn sie es tun, geht Volkswagen mit diesem Kompromiss gestärkt in die kommenden schwierigen automobilen Zeiten. Tun sie es nicht, gibt es wohl bald eine weitere Episode von "Game of Thrones in Wolfscastle".

Quelle: ntv.de

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