Wirtschaft

Japaner machen es vorImmer mehr Rentner gehen auf Jobsuche

23.11.2025, 10:15 Uhr IMG_4708Juliane Kipper
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Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zufolge werden mit der Aktivrente voraussichtlich 25.000 bis 33.000 zusätzliche Vollzeitstellen entstehen. (Foto: IMAGO/YAY Images)

Die Aktivrente soll Arbeit im Ruhestand attraktiver machen. Auch wenn die Koalition sich noch nicht auf Details geeinigt hat, planen viele Senioren ihre Rückkehr in den Arbeitsmarkt - Plattformen wie Silvertalent verzeichnen Rekordzuwächse.

Während die Bundesregierung noch über das Rentenpaket streitet und Ökonomen die Effekte diskutieren, verzeichnet die Jobplattform Silvertalent von Gründer und Geschäftsführer Christian Ahrendt eigenen Angaben zufolge bereits beachtliche Zuwächse. "In den vergangenen zwölf Monaten haben sich unsere Nutzerzahlen verdreifacht – die Nachfrage ist enorm", sagt Ahrendt ntv.de.

Das Portal richtet sich explizit an Rentnerinnen und Rentner, die sich im Ruhestand etwas dazuverdienen wollen. Seit der Gründung im Jahr 2022 haben sich inzwischen rund 52.500 Ruheständler und 1500 Unternehmen registriert. Silvertalent finanziert sich über Provisionen von Arbeitgebern. Ein Inserat kostet 79 Euro. Für Jobsuchende ist die Vermittlung kostenlos.

Ahrendt geht davon aus, dass sich die Zahl der registrierten Nutzer in den kommenden zwölf Monaten noch einmal verdoppeln wird. Ein derartiger Optimismus ist in der Koalition derzeit noch nicht zu beobachten. Seit Tagen wird mangels sicherer Koalitionsmehrheit über eine mögliche Verschiebung der eigentlich für Dezember geplanten Bundestagsabstimmung diskutiert. Die Junge Gruppe der Unionsfraktion will die Rentenpläne nicht ohne Änderungen mittragen, weil sie Milliardenkosten auch für die Zeit ab 2031 fürchtet. Die Aktivrente wird den Staat vermutlich 890 Millionen Euro pro Jahr an Steuerausfällen kosten.

Das Paket sieht vor, dass Beschäftigte im Rentenalter ab dem kommenden Jahr bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen können. Ziel ist es, einen Anreiz zu schaffen, damit das Erwerbspotenzial älterer Menschen besser genutzt wird und die erworbene Expertise länger in den Betrieben gehalten werden kann. Für Selbstständige und Beamtinnen und Beamte ist die Aktivrente nicht vorgesehen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des zunehmenden Arbeitskräftemangels gewinnt die Bindung älterer Beschäftigter an den Arbeitsmarkt immer mehr an Bedeutung.

Laut Startup-Gründer Ahrendt erlebt der Arbeitsmarkt derzeit einen Paradigmenwechsel. Während ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor einigen Jahren oft mit teuren Abfindungen in den Vorruhestand geschickt wurden, hat sich der Fachkräftemangel inzwischen zu einem generellen Arbeitskräftemangel ausgeweitet. "Das führt dazu, dass viele Unternehmen zunehmend auf die Erfahrung, Motivation und Zuverlässigkeit älterer Mitarbeiter setzen", sagt Ahrendt. Kurzfristig orientiere sich das Arbeitsangebot zwar an der wirtschaftlichen Lage, mittel- und langfristig aber mache sich der demografische Wandel bemerkbar.

Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zufolge werden mit der Aktivrente voraussichtlich 25.000 bis 33.000 zusätzliche Vollzeitstellen entstehen. Das Institut attestiert der Aktivrente damit einen "moderaten Beschäftigungseffekt".

Gründer Ahrendt rechnet damit, dass Aktivrentner künftig mehr Stunden arbeiten werden als bisher. "Der klassische Minijob wird durch längere Teilzeitarbeit abgelöst." Schon heute sei die Hälfte der Nutzer offen für ganz neue Tätigkeiten, die mit ihrem früheren Beruf nichts zu tun haben. "Am häufigsten werden Jobs in den Bereichen Büro, Empfang, Fahrdienst, Kundendienst, Kinder- und Seniorenbetreuung sowie Verkauf/Einzelhandel nachgefragt", sagt Ahrendt.

Die DIW-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Aktivrente auch für den Staat erst dann rechnet, wenn die Schwelle von 40.000 zusätzlichen Vollzeitstellen erreicht wird. Genauer gesagt: Erst dann werden die für den Fiskus entstehenden Einkommensteuerverluste kompensiert.

Ein Blick nach Japan zeigt laut Ahrendt, welche Chance die Aktivrente birgt. Dort arbeitet bereits mehr als jeder vierte Über-65-Jährige. "In Deutschland sind es aktuell rund acht Prozent. Das verdeutlicht, wie viel Potenzial noch reaktiviert werden kann", sagt der 38-Jährige. Im Zuge der Einführung der Aktivrente plant Silvertalent, es den Nutzern noch einfacher zu machen, den passenden Job zu finden. Mit Silver+ hat das Startup bereits eine KI-Funktion eingeführt, mit der sich Motivationsschreiben verbessern oder Bewerbungsgespräche trainieren lassen.

In seinem Gesetzentwurf geht das Finanzministerium von rund 168.000 Interessenten pro Jahr für die Aktivrente aus. Damit würde etwa jeder vierte Anspruchsberechtigte bei Erreichen des Renteneintrittsalters das Angebot der Aktivrente auch tatsächlich annehmen. Der Deutschen Rentenversicherung zufolge gingen Ende 2023 bereits 1,46 Millionen Rentner einer Beschäftigung nach - Tendenz steigend.

Eine Umfrage unter 1125 registrierten Silvertalent-Nutzern unterstreicht diese Entwicklung. Demnach plant jeder zweite Rentner, durch die Aktivrente künftig zu arbeiten. "Wenn Arbeit im Alter attraktiver wird, wächst nicht nur die Bereitschaft, aktiv am Arbeitsleben teilzunehmen, sondern dabei auch mehr Stunden zu arbeiten." Die Zahlen würden zeigen: Viele ältere Menschen stehen bereit, sie bräuchten nur die richtigen Rahmenbedingungen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bezweifelt jedoch, dass die Aktivrente tatsächlich dafür geeignet ist, mehr ältere Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt zu halten.  "IW-Befragungen zeigen, dass für die meisten Beschäftigten, die über ihre Regelaltersgrenze hinaus arbeiten wollen, Motive wie Spaß an der Arbeit und soziale Kontakte überwiegen", erklärte IW-Rentenexpertin Ruth Schüler. "Finanzielle Motive spielen eine untergeordnete Rolle." Zudem zeige sich in Studien, dass Menschen, die einmal im Ruhestand sind, eher selten wieder anfangen wieder zu arbeiten.

Quelle: ntv.de

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