Wirtschaft

Wer gewinnt den Ölpreiskrieg? Moskau droht sich zu verzocken

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Goldman Sachs hält Tiefstpreise von 20 Dollar je Barrel Öl im zweiten und dritten Quartal für möglich.

(Foto: imago images/ITAR-TASS)

Der Kreml verfolgt eine gefährliche Strategie: Er will US-Fracker mit Billigöl aus dem Markt drängen. Beim Opec-Treffen erteilt Präsident Putin einer Drosselung der Fördermenge deshalb eine Absage. Dass er sich so Saudi-Arabien zum Feind macht, könnte fatal für die russische Wirtschaft werden.

Kremlchef Wladimir Putin hat einen gefährlichen Ölpreiskrieg mit Saudi-Arabien angezettelt. Mit der ablehnenden Haltung beim Opec-Treffen vergangenen Freitag, auf dem eigentlich eine Drosselung der Ölfördermengen erreicht werden sollte, hat Russland das saudische Königreich gehörig gegen sich aufgebracht. Aus Rache und um Druck zu machen, wird Ölproduzent Saudi Aramco nun auf Weisung des saudi-arabischen Energieministeriums die Fördermengen hochfahren - und das noch schneller und stärker als zunächst angekündigt.

Rohöl (WTI)
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Saudi Aramco werde seine Kapazität schnellstmöglich von 12 auf 13 Millionen Barrel pro Tag erhöhen, sagte der Chef des Staatskonzerns Amin Nasser. Der Ölpreis, der am Montag mangels einer Einigung der Opec-Staaten um 30 Prozent abgesackt war, gab nach dieser Ankündigung weiter nach. Ein Fass der Nordseesorte Brent fiel auf 36,81 Dollar, US-Leichtöl WTI auf 33,94 Dollar.

Wenn die Opec-Plus-Allianz vergangene Woche beschlossen hätte, den Ölpreis durch Förderkürzungen zu stabilisieren, wäre das nur logisch gewesen. Der Ausbruch des Coronavirus drückt auf die Ölnachfrage, weil zum Beispiel Flüge gestrichen und Reisen abgesagt werden, um eine weitere Verbreitung des Erregers zu verhindern. Zudem wird ein Einbruch der Weltkonjunktur befürchtet. Aber die Gemengelage auf dem Ölmarkt ist kompliziert und Putin verfolgt seine eigenen Pläne.

Der neue russische "Superpräsident" qua jüngster Verfassungsänderung ist ausgeschert, weil er mit den USA und der dortigen Fracking-Industrie eine Rechnung begleichen wollte. Durch einen Preisschock wollte Putin die hoch verschuldeten US-Förderer, die maßgeblich die Verursacher des Überangebots auf dem Ölmarkt sind, endlich aus dem Markt drängen.

Rohöl (Brent)
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Hätte Russland den Förderkürzungen zugestimmt, hätten auch die Fracker von höheren Ölpreisen profitiert - allerdings ohne den Preis dafür zu zahlen, selbst weniger fördern zu müssen. Das wollte Moskau verhindern. Der Boom der US-Schieferölindustrie ist zwar für alle konventionellen Ölförderer eine Bedrohung. Zwischen 2012 und 2019 hat sich die US-Ölproduktion durch die neue Technologie von durchschnittlich 5,5 Millionen Barrel pro Tag auf knapp zwölf Millionen Barrel verdoppelt. Angriffslustig zeigt sich im Moment aber nur Moskau. Das Augenmerk der meisten anderen Staaten liegt darauf, Schaden von der gesamten Ölindustrie durch die aktuelle Nachfragedelle fernzuhalten.

Muskelspiele zwischen Moskau und Riad

Dass Saudi-Arabien auf die Provokation knallhart reagiert und den Ölhahn statt zu drosseln, weit aufdrehen würde, hat Putin zu dem Zeitpunkt offenbar nicht kommen sehen. Die russische Ölwirtschaft reagierte bereits auf die saudische Ölschwemme. Der Ölkonzern Rosneft kündigte am Montag an, ebenfalls seine Produktion deutlich auszuweiten. Reihenweise passen Analysehäuser ihre Preisprognosen an: Goldman Sachs erwartet, dass der Ölpreis im zweiten und dritten Quartal auf durchschnittlich 30 Dollar pro Barrel fallen wird. Auch Tiefs nahe der Marke von 20 Dollar pro Fass seien möglich. Aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Wirtschaft, signalisierte Putin zwar am Dienstag überraschend Bereitschaft zu neuen Preisverhandlungen mit der Opec. Aber die Einsicht kommt offenbar zu spät, denn Riad stellt sich seitdem taub.

"Der Kreml hat sich entschieden, Opec-Plus zu opfern, um die US-Fracking-Unternehmen zu stoppen und die USA für die Einmischung bei Nord Stream 2 zu bestrafen", sagte Alexander Dynkin, ein russischer Volkswirt und Chef des Thinktanks Institute of World Economy and International Relations in Moskau. Möglicherweise pokert Putin dabei aber zu hoch, denn selbst die von Moskau viel gepriesenen Devisenreserven, um einen Preiskrieg zu überdauern, sind endlich. Russland hat bei seiner Haushaltsplanung mit einem Ölpreis von 42 Dollar kalkuliert. Aktuell notieren Brent und WTI fünf beziehungsweise acht Dollar niedriger.

Erschwerend hinzu kommt für Moskau, dass parallel zum Ölpreisabsturz der Rubel kollabiert ist. Die Ölpreispolitik sei bereits einen Tag nach ihrer Implementierung gescheitert, stellt Devisenexperte Ulrich Leichtmann von der Commerzbank fest. Russlands Regierung verfolge eine sehr gefährliche Strategie. Der Einbruch der Rohölpreise erinnere an die Episode von 2015, als eine ähnliche Entwicklung Russland in eine lange und schmerzhafte Rezession gestürzt habe. Auf welchem Niveau der derzeitige Zusammenbruch des Rubel enden werde, sei kaum vorhersehbar. Ähnliche Episoden dramatischer Rubel-Schwäche habe man 2009, Ende 2014 und Anfang 2016 erlebt.

Wer hält länger durch?

Die Frage ist, wer den längsten Atem in diesem Ölpreiskrieg haben wird. Die USA werden es kaum sein. Laut dem Ölausrüster Baker Hughes gibt es in den USA derzeit 793 Bohrtürme in den USA, das sind bereits 25 Prozent weniger als vor einem Jahr. Saudi-Arabien kalkuliert für 2020 mit 58 Dollar je Barrel. Putin rühmt sich, dass Russland mit den in den vergangenen Jahren angehäuften Devisenreserven in Höhe von 550 Milliarden US-Dollar zehn Jahre lang einen Ölpreis von lediglich 25 Euro je Barrel verkraften könnte. Experten melden daran jedoch Zweifel an.

Rubel / US-Dollar
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Russland ist zwar finanziell besser aufgestellt als Saudi-Arabien. Doch mehr als ein Jahr Ölpreiskrieg wird Russland wohl auch nicht aushalten können, sind sich Experten einig. Die russische Zentralbank selbst hat im vergangenen Jahr ausgerechnet, dass ein Preis von 25 Dollar je Barrel die Wirtschaft in diesem Jahr in eine Rezession stürzen würde. Außerdem könnten die Reserven sehr schnell schrumpfen. Am Dienstag musste die Zentralbank bereits einen Teil der Rücklagen ausgeben, um den Rubel zu stützen.

Sollte sich der Ölpreis bei 30 Dollar je Barrel einpendeln, müssten Ausgaben gesenkt oder Steuern erhöht werden, zitiert die US-Finanzagentur Bloomberg die Chefökonomin der russischen Alfa Bank, Natalia Orrlova. Bei 35 Dollar würde das Budget laut S&P Global Ratings drei Jahre lang ausreichen. BCS-Ökonom Wladimir Tikhomirov prognostiziert bei diesem Preis, dass die russische Wirtschaft dieses Jahr 0,5 Prozent schrumpfen wird.

Putins Rechnung ist also gewagt. Nicht nur weil er sich mit einem mächtigen Gegner anlegt, sondern auch, weil er der russischen Bevölkerung versprochen hat, mit zusätzlichen Ausgaben für einen besseren Lebensstandard zu sorgen. Während die Regierung am Dienstag betonte, auf den Preisschock vorbereitet gewesen zu sein, kritisierten russische Medien das "Chaos" in Russland. Niemand habe die Menschen darauf vorbereitet, schrieb etwa die Zeitung "Kommersant". Moskaus Mittel sind endlich. Und Putin muss Zuversicht ausstrahlen. Denn nach der Verfassungsänderung will er noch lange im Amt bleiben.

Quelle: ntv.de

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