Wirtschaft

Finanzmarkt wartet auf Kurswende Neuer Finanzminister watscht Erdogan ab

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Mehmet Simsek genießt im Gegensatz zu seinem Boss, Präsident Erdogan, das Vertrauen der Finanzmärkte. Ob er sich durchsetzen kann, muss sich noch zeigen.

Mehmet Simsek genießt im Gegensatz zu seinem Boss, Präsident Erdogan, das Vertrauen der Finanzmärkte. Ob er sich durchsetzen kann, muss sich noch zeigen.

(Foto: REUTERS)

Mehmet Simsek soll für Erdogan das Vertrauen der Finanzmärkte in die Türkei und ihre Währung zurückgewinnen. Der neue Minister distanziert sich mit harschen Worten von der bisherigen Politik des Präsidenten. Doch das reicht noch nicht.

Was lokale und internationale Investoren von der nun begonnenen neuen Amtszeit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erwarten, zeigte sich überdeutlich an der Börse am Morgen nach der ersten Wahlrunde. Die Aussicht, der türkische Langzeitherrscher werde seine unorthodoxe Wirtschafts- und Finanzpolitik weitere fünf Jahre fortsetzen, brachte den Aktienmarkt zum Absturz und ließ die Landeswährung Lira in den folgenden Tagen auf neue Rekordtiefs fallen. Hatte Erdogan vor der Wahl seinen umstrittenen Kurs noch unerschütterlich verteidigt und die Verantwortung für die horrende Inflation abgestritten, bereitet er nun aber offenbar eine Kehrtwende vor.

Für diese Rückkehr zu einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik steht der Name Mehmet Simsek. Erdogan ernannte den 56-jährigen ehemaligen Banker am Wochenende zum Finanzminister in seinem Kabinett. Diesen Posten hatte Simsek schon einmal inne, von 2009 bis 2015. Anschließend war er drei Jahre stellvertretender Ministerpräsident. 2018 ersetzte Erdogan Simsek durch seinen eigenen Schwiegersohn und mischte sich selbst immer direkter in die Geldpolitik ein. Die türkische Zentralbank verlor faktisch ihre Unabhängigkeit. Außerdem verteilte Erdogan zudem dauerhaft kaum finanzierbare Wahlgeschenke, etwa in Form von günstigen Krediten für Wohneigentum und Rentenerhöhungen. Außerdem übernahm die Regierung einen Teil der Energierechnungen für Privatleute und Unternehmen.

Simsek kritisierte Erdogans Wirtschaftspolitik in den folgenden Jahren deutlich. Während Erdogan die Idee vertritt, dass Zinssenkungen der Zentralbank zu einer niedrigeren Inflation führten, geht Simsek entsprechend der ökonomischen Lehrmeinung davon aus, dass die Leitzinsen steigen müssen, um die Inflation zu bekämpfen. Die Verantwortung für die Teuerung, die in der Türkei im vergangenen Herbst bis auf über 80 Prozent kletterte, und für den Niedergang der Lira liege bei dieser Politik Erdogans, erklärte Simsek wiederholt.

Erste Berichte in den vergangenen Wochen, Erdogan habe sich mit seinem Ex-Minister und Kritiker getroffen und plane, diesen in sein neues Kabinett zu holen, stießen auf Skepis. Der Präsident brauche lediglich ein Aushängeschild für die Finanzmärkte, seine Politik werde sich kaum ändern, kommentierte etwa die Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Die Ernennung Simseks und anderer neuer Kabinettsmitglieder "sollte als bloße Augenwischerei betrachtet werden", schrieb Kolumnist Bobby Ghosh.

Rückkehr zu rationalen Grundlagen

Diesem Verdacht, er solle Erdogan lediglich seine Reputation zur Verfügung stellen, während die bisherige Wirtschaftspolitik einfach fortgesetzt wurde, trat Simsek bei der Einführung in sein Amt mit einer, wenn auch freundlich formulierten Kampfsage entgegen. Er wolle dafür sorgen, dass das Land zu Haushaltsdisziplin und Preisstabilität zurückkehre, versprach er. Grundlage dafür sei eine "regel-basierte, verlässliche türkische Wirtschaft" und eine "Rückkehr zu rationalen Grundlagen". Deutlicher hätte der neue Minister nicht mit dem bisherigen Kurs seines alten Chefs abrechnen können.

Offen ist damit allerdings immer noch die Frage, ob Erdogan seinen neuen Finanzchef auch gewähren lässt. Selbst hat sich der Präsident zu einem möglichen Kurswechsel nicht geäußert. Eine Rückkehr zu dem, was Simsek "rationale Grundlagen" nennt, ist mit einem hohen politischen Preis verbunden. Sollte die Zentralbank ihre Unabhängigkeit wiedererlangen, die Leitzinsen erhöhen und die Regierung den Haushalt konsolidieren, würde das zwar die Lira stützen und die Inflation bremsen. Das Wirtschaftswachstum, das Erdogan mit den Niedrigzinsen angeheizt hatte, würde dagegen leiden, die Arbeitslosigkeit dürfte zunehmen.

Worauf er sich mit der Ernennung Simseks einlässt, wusste Erdogan genau. Überrascht gewesen sein von dessen Ankündigungen dürfte er wohl kaum. Berichten zufolge haben sich beide in den vergangenen Wochen mehrmals zu ausführlichen Gesprächen getroffen. Simsek habe sich dabei die notwendige Handlungsfreiheit für eine Finanz- und Wirtschaftspolitik nach seinen Vorstellungen zusichern lassen, heißt es.

Sollte Erdogan vorgehabt haben, mit einem bekannten Experten als bloßes Aushängeschild den Finanzmarkt zu beruhigen, ist das bereits fehlgeschlagen. Mit der Ernennung Simseks geben sich sie Marktteilnehmer nicht zufrieden. Am ersten Handelstag nach Vorstellung des neuen Kabinetts fiel die Lira abermals auf ein neues Rekordtief. Umkehren dürfte sich dieser Trend erst, wenn Erdogan und seine neue Regierung den notwendigen Kurswechsel auch einleiten.

Quelle: ntv.de

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