Wirtschaft

IT-Branche erstes Sanktionsopfer Putin verspielt seinen Tech-Trumpf für immer

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Gerade an dem russischen Google-Pendant Yandex zeigt sich: Der Krieg und die westlichen Sanktionen schaden dem russischen Technologiesektor extrem.

(Foto: IMAGO/Russian Look)

Die russische IT-Branche wusste den Tech-Riesen aus dem Silicon Valley lange etwas entgegenzusetzen. Während die Wirtschaft stagnierte, wuchs der Sektor beachtlich. Doch die internationale Ächtung für den Krieg in der Ukraine hat den einstigen Wachstumstreiber unwiderruflich abgehängt.

Yandex, Ozon, VKontakte: Vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine galt die Digitalbranche Russlands als Hoffnungsträgerin, die es durchaus mit den großen Playern aus dem Silicon Valley aufnehmen konnte. In den vergangenen Jahren ist der IT-Sektor in Russland stark gewachsen. Im Jahr 2021 zuletzt sogar um satte 15 Prozent. Doch mit dem beachtlichen Wachstum ist spätestens seit dem 24. Februar 2022 Schluss. Putin hat seinen einstigen Trumpf verspielt - wahrscheinlich für immer.

"Russland ist neben China eines der einzigen Länder in der Welt gewesen, das mit eigenen Konzernen der Marktmacht der amerikanischen IT-Unternehmen etwas entgegensetzen konnte", sagt Michael Rochlitz, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Bremen mit Forschungsschwerpunkt Russland, ntv.de.

Die russische IT-Industrie profitierte noch lange nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion davon, dass uneingeschränktes Forschen in vielen Bereichen nicht möglich war. Naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Astronomie, Biologie, Chemie oder Physik verzeichneten deswegen einen starken Zulauf. "Selbst regionale russische Universitäten gewinnen bis heute immer wieder internationale Mathematikwettbewerbe gegen führende Hochschulen in den USA", sagt Rochlitz. Das spiegele auch die große Anzahl gut ausgebildeter Programmierer und Softwareentwickler wider.

Sanktionen machen Wettbewerb praktisch unmöglich

Die internationale Ächtung für den Angriff auf die Ukraine bringt die Zeitenwende in diesem Boom. Er brockt dem IT-Sektor zuletzt massive Verluste ein. Gerade an dem russischen Google-Pendant Yandex zeigt sich: Der Krieg und die westlichen Sanktionen schaden dem russischen Technologiesektor extrem. Während der Kurs der ersten kyrillischen Suchmaschine im November 2021 an der Nasdaq noch bei 60 US-Dollar notierte, brach die Aktie nach dem 24. Februar 2022 auf 19 Dollar ein. Bis heute ist der Internetkonzern vom Handel an der US-Technologiebörse ausgeschlossen.

"Der russische Technologiesektor war das erste Opfer der Sanktionen und Exportkontrollen", sagt Alena Epifanova, die bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu Russlands Internet- und Technologiepolitik forscht, ntv.de. Gerade Fintechs und Unternehmen im Online-Handel verließen sich auf Technologie aus dem Westen. Viele Unternehmen könnten ihren Bedarf ausschließlich aus Russland gar nicht decken. Hoch entwickelte Zukunftstechnologien wie Cloud Computing, KI und Fintech würden die Einfuhrstopps deswegen besonders stark treffen. "Die Sanktionen auf Importe auf Hochtechnologiegüter machen es der russischen IT-Industrie praktisch unmöglich, weiter international zu konkurrieren", sagt Rochlitz.

Das bekommt Yandex gerade zu spüren. Der Konzern musste die Entwicklung von sogenannten Supercomputern auf Eis legen. Zuvor war ein Deal mit der amerikanischen Firma Nvidia geplatzt. Das Unternehmen, das eigentlich wichtige Grafikprozessoren liefert, hatte den russischen Markt im März 2022 verlassen. Auf diese Prozessoren ist das Unternehmen aber angewiesen, um etliche Funktionen wie die Suche, die Arbeit des Sprachassistenten "Alice", die Cloud-Plattform Yandex.Cloud und Übersetzungen von fremdsprachigen Videos zu verbessern. Ein anderes Beispiel aus der Digitalbranche ist das Unternehmen Baikal Electronics, das auf Halbleiter aus Taiwan angewiesen ist.

In den Jahren 2012 bis 2020 ist der russische Tech-Sektor jährlich um vier Prozent gewachsen. Im selben Zeitraum stagnierte die russische Wirtschaft bei einem Prozent pro Jahr. Die Hoffnung vieler Wirtschaftswissenschaftler: Die Technologiebranche könnte zum Treiber für das russische Wachstum werden. Es kam anders. Die Umsätze der IT- und Telekommunikationsfirmen sanken nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom zuletzt um ein Viertel. "Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat Russland seine IT- und Telekommunikationsbranche auf Talfahrt geschickt", sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Russland habe sich auch in der digitalen Welt zum Paria gemacht und von den globalen Innovationen abgeschnitten. "Der Trend zur digitalen Verzwergung Russlands wird sich fortsetzen. Allein Hacker haben in Russland noch Konjunktur."

Düstere Aussichten

Auch durch den Exodus von zig Tausend IT-Expertinnen und Experten gelangt Russland immer weiter ins digitale Hintertreffen. Das ist unter einem Aspekt besonders gefährlich: Schon vor Kriegsbeginn haben der Branche nach Angaben des russischen Wirtschaftsministeriums 500.000 Spezialisten gefehlt. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass seit dem Angriff auf die Ukraine rund 100.000 IT-Spezialisten das Land verlassen haben. Epifanova geht sogar eher von 500.000 aus. "Das ist ein Riesenverlust für die Branche, denn viele dieser gut ausgebildeten Fachkräfte werden nicht wieder zurückkehren", ist sie sich sicher.

Die Prognosen für das laufende Jahr sind düster. Der Digitalverband Bitkom rechnet für 2023 mit einem weiteren Rückgang. Der Tech-Sektor des Landes werde demnach voraussichtlich um 5,6 Prozent schrumpfen. Der russische Technologiesektor hatte es trotz einiger erfolgreicher Unternehmen schon vor Beginn des Krieges nicht geschafft, China oder die USA einzuholen. "Dafür hat es der Branche massiv an Investitionen in Hightech gefehlt", sagt Epifanova. In der Konsequenz muss sich das Land immer mehr auf China verlassen. Für russische Technologie-Konzerne wird in Zukunft vor allem eines wichtig: Inwiefern gelingt es den Unternehmen, sich von der russischen Politik abzukoppeln?

Der russischen Digitalbranche spielt der Krieg in der Ukraine übel mit. Den aktuellen Rückschlag wird das Land so schnell nicht wieder einholen können. Der Wiederaufbau einer wettbewerbsfähigen IT-Industrie wird laut Epifanova mindestens 15 Jahre dauern, angenommen Russland beendet den Krieg und die politische Lage im Land verbessert sich.

Und auch Rochlitz prophezeit: "Es ist unwahrscheinlich, dass sich die russische IT-Industrie wieder von diesem Schlag erholen wird." Dafür entwickle sich der IT-Sektor zu schnell weiter. "Mit der Möglichkeit, den Zukunftstechnologien Künstliche Intelligenz oder Quanten-Computing international eine Rolle spielen zu können, ist es vorbei."

Quelle: ntv.de

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