Wirtschaft

Vorläufiges Nord-Stream-2-Aus Wie geht es mit der deutschen Gasversorgung weiter?

Eigentlich sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland fließen.

Eigentlich sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland fließen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Trotz einer ungewissen Zukunft der Gaspipeline Nord Stream 2 soll es nicht zu Lieferengpässen kommen - selbst im Falle eines Stopps von russischen Gaslieferungen. Am Ende könnte die deutsche Wirtschaftsleistung bei einem Verzicht auf russisches Gas sogar leicht zunehmen.

Die umstrittene Erdgaspipeline Nord Stream 2 wird vorerst nicht in Betrieb gehen. Als Reaktion auf die russische Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine, hat Bundeskanzler Olaf Scholz das Genehmigungsverfahren für die Pipeline Nord Stream 2, die russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland und in andere Länder befördern soll, vorerst gestoppt. Scholz hält es sogar für möglich, dass die Pipeline nie in Betrieb gehen könnte. "Jetzt jedenfalls ist das eine Situation, in der niemand darauf wetten sollte", sagte er am Dienstag in der ARD. "Da sind wir jetzt erst mal weit von entfernt."

Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, sieht keine unmittelbare Krise in der deutschen Gasversorgung. Ob Deutschland seinen Gasverbrauch drosseln müsste, hänge davon ab, "ob und wann es zu Lieferunterbrechungen oder gar Ausfällen kommt", sagte Kemfert der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ohne Frage sind wir in einer ernsten Situation, inmitten eines fossilen Krieges." Deutschland könne aber einen Teil seines Gases aus anderen Quellen beziehen. "Zudem sind wir am Ende des Winters." Es sei deshalb unwahrscheinlich, dass es kalt werden könnte in deutschen Wohnungen.

Eigentlich sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland fließen. Doch unter anderem Sanktionen und Sanktionsdrohungen aus den USA hatten das Projekt verzögert. Der 1230 Kilometer lange Doppelstrang von Nord Stream 2 führt vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). Seit Ende Dezember sind beide Stränge vollständig mit technischem Gas befüllt. Die Leitung, deren Bau 2018 begann, soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland liefern, die Baukosten wurden bislang mit mehr als zehn Milliarden Euro angegeben.

Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rechnet nicht mit Engpässen bei der Gasversorgung. Die Bundesregierung habe Vorsorge dafür getroffen, dass es genug Gas gebe, sagte Habeck im Deutschlandfunk. Angesichts der Krisensituation könne es aber in den kommenden Tagen an den Märkten "unruhig werden" und zu einem weiteren Anstieg der Preise kommen. Er rechne damit, dass der Gaspreis zwar "auf einem höheren Niveau als vor dem Winter" bleiben werde, "aber auf einem Niveau, das verkraftbar ist".

Antwort auf fossile Energiekriege

Ähnlich optimistisch ist auch die Gasbranche in Deutschland, die noch keine Anzeichen für Lieferengpässe aus Russland ausgemacht hat. "Vonseiten unserer Mitglieder hören wir aktuell keine Meldungen, dass Russland seine Verpflichtungen gegenüber den Vertragspartnern nicht erfüllt", sagte Timm Kehler, Geschäftsführer des Verbandes "Zukunft Gas", der Nachrichtenagentur Reuters. Russland sei in den vergangenen 50 Jahren - auch im Kalten Krieg - stets ein zuverlässiger Energielieferant gewesen.

Deutschland importiert mehr als die Hälfte seines Gases per Pipeline aus Russland. Im Falle eines Stopps von russischen Gaslieferungen haben sowohl Habeck als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt betont, dass Europa vorbereitet und in Gesprächen mit den Exporteuren USA, Katar und Ägypten sei. Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist laut Kemfert allerdings die Energiewende mit mehr erneuerbaren Energien und Energiesparen. "Wenn es in Deutschland gelingt, den Anteil der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung bis 2030 auf 80 Prozent zu erhöhen, kann die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen deutlich vermindert werden", sagte Kemfert der Nachrichtenagentur Reuters. "Dies ist machbar, erfordert aber ein noch schnelleres Vorgehen." Zum einen müsse die Industrie nun schnellstmöglich dekarbonisiert werden - über eine Verbesserung der Energieeffizienz und den Einsatz von alternativen Energien anstelle Öl und Gas.

Zudem müssten Gebäude noch viel schneller energetisch saniert werden. "Die Regierung sollte hier gezielte Wirtschaftshilfen voranbringen, um Gebäude schneller zu sanieren und die Industrie zu dekarbonisieren", sagte Kemfert. Steigende Öl- und Gaspreise stellten eine erhebliche wirtschaftliche Belastung dar, könnten aber auch ein Treiber für die Energiewende sein. Nur durch den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien, Sparen und forcierte Effizienzmaßnahmen im Industriebereich werde es gelingen, die Kosten zu dämmen. "Erneuerbare Energien wirken preissenkend", sagte Kemfert. "Investitionen in die Energiewende mit mehr erneuerbaren Energien, mehr Elektromobilität auf Straße und Schiene, bessere Gebäudesanierung und eine dekarbonisierte Industrie schaffen enorme wirtschaftliche Chancen, Wertschöpfung und Arbeitsplätze."

Wirtschaftliche Schäden für Deutschland gering

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Am Ende kann der Westen die russische Wirtschaft mit einem Stopp von Gasimporten dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge am härtesten treffen. Demnach hätte ein Handelsstopp mit Gas einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um 2,9 Prozent zur Folge, wie aus der veröffentlichten Simulationsrechnung der Kieler Forscher hervorgeht. Ein vollständiger Verzicht auf Öl würde einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,2 Prozent zur Folge haben.

"Für Deutschland und die EU wären die wirtschaftlichen Schäden in beiden Fällen äußerst gering", fassen die Handelsexperten ihre Studie zusammen. Demnach könnte die deutsche Wirtschaftsleistung bei einem Verzicht auf russisches Gas sogar leicht um 0,1 Prozent zunehmen, ebenso das der EU insgesamt. "Grund für das Plus ist, dass die westlichen Verbündeten die fehlenden Importe Russlands durch Produkte der Bündnispartner ersetzen würden und hier Deutschland besonders wettbewerbsfähig ist", so das IfW.

Quelle: ntv.de, jki/rts/dpa

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