Person der Woche: Marine Le Pen Krawalle lassen Stimmung in Frankreich kippen
04.07.2023, 10:41 Uhr Artikel anhören

Le Pens Partei nutzt die Aufstände, um eine härtere Gangart gegen Migranten einzufordern.
(Foto: picture alliance / abaca)
Mit den Straßenschlachten in Frankreich brechen Integrationskonflikte gewaltsam auf. Präsident Macron bekommt die Lage nur mühsam in den Griff. Die Rechtspopulistin Le Pen hingegen nutzt die Krise eiskalt.
"Jedes brennende Auto wirkt wie eine Fackel für Le Pen", klagt ein linksliberaler Diplomat der französischen Regierung. Die Ausschreitungen in Frankreich erschüttern die politische Stimmung im Land. Eine Mehrheit der Franzosen wünscht sich nicht nur ein hartes Durchgreifen der Polizei. Erstaunliche 69 Prozent fordern sogar die Einführung des Ausnahmezustands. Das gesamte politische Klima kippt mit jeder Nacht der Gewalt weiter nach rechts. Die größte Profiteurin der Unruhen heißt Marine Le Pen.
Die Rechtspopulistin nutzt die Krisenstimmung kühl berechnend für eigene Stimmungsmache. Mit einem Facebook-Video vor der Trikolore im Stile einer Regierungserklärung prangert sie die "Anarchie" an und beschimpft die Krawallmacher als "Horden", sie dramatisiert eine unmittelbare Gefahr für jeden Franzosen ("Jede noch so kleine Kommune, jede Stadt und auch das Herz von Paris ist in Gefahr"), auf Twitter geißelt sie die Regierung als "eine Macht, die aus Angst vor Unruhen alle verfassungsmäßigen Prinzipien aufgibt, was zu deren Verschärfung beiträgt", und fügt hinzu: "Unser Land wird immer schlimmer und die Franzosen zahlen den schrecklichen Preis für diese Feigheit und diese Kompromisse." Die Gewaltorgien nutzt Le Pens Partei, um eine härtere Gangart gegen Migranten einzufordern. Die Krawalle seien die unmittelbare Folge einer gescheiterten Integrationspolitik. Dabei droht sie zugleich, dass die politische Linke sich eines Tages einer "Abrechnung mit der Nation und der Geschichte" stellen müsse.
Le Pen versucht nicht nur von den akuten Krawallen zu profitieren, sondern auch von der latenten politischen Krise um Emmanuel Macron. Der französische Präsident befindet sich nach den monatelangen Konflikten um die Rentenreformen im Umfragetief. Zwei Drittel der Franzosen missbilligen derzeit seine Amtsführung. Zudem gelingt es seiner Regierung nur mühsam, die Krawalle in den Griff zu bekommen. Macron sah sich sogar gezwungen, den EU-Gipfel in Brüssel am vergangenen Freitag abzubrechen, um nach Paris zurückzukehren, und den für diese Woche geplanten dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland zu verschieben.
Schon vor Ausbruch der Krawalle zeigten Umfragen, dass er eine Stichwahl gegen Marine Le Pen derzeit klar verlieren würde. Nach einer Erhebung vom Mai würde sie im direkten Vergleich derzeit 55 Prozent der Stimmen erreichen.
Macron warnt bereits vor 2027
Le Pen plant ihre Machtübernahme systematisch. Ihrer Partei verpasste sie einen gemäßigten Außenauftritt, die Europawahlen im kommenden Jahr sollen ihr Triumphzug werden, dann will sie die Präsidentschaft 2027 in den Blick nehmen. Macron wird dabei nicht mehr antreten können und warnt bereits öffentlich vor der Gefahr von rechts. "Marine Le Pen wird an die Macht kommen, wenn wir auf die Herausforderungen des Landes keine Antworten finden und wenn sich Lügen und Realitätsverweigerung etablieren", sagte er im Gespräch mit der Zeitung "Le Parisien". Sollte Le Pen tatsächlich die erste Präsidentin des Landes werden, wäre sie nach Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die zweite rechtsnationalistische Regierungschefin eines großen EU-Landes.
Le Pen versucht ihr Image seit Monaten gezielt zu entgiften. Sie hat den Namen ihrer Partei von Front National in Rassemblement National geändert, und im letztjährigen Präsidentschaftswahlkampf nannten ihre Plakate sie einfach "Marine", womit sie sich von ihrem fremdenfeindlichen Vater, Jean-Marie Le Pen, bewusst distanzierte.
Leitartikel diagnostizieren, dass die gesamte Rechtsbewegung sich dank der "stratégie de la cravate" verbreitert habe. Mit "Krawattenstrategie" ist gemeint, dass sich Le Pen bei vielen Themen gespielt moderat, mittig und seriös präsentiert, um im bürgerlichen Zentrum Akzeptanz zu finden. Die 54-Jährige hat nach Inflation, Rentenreform und nun den Krawallen in den Vorstädten das dritte Mobilisierungsthema gefunden. Unermüdlich kritisiert sie die hohen Kraftstoff- und Lebensmittelpreise als angeblichen Beweis für Macrons Misswirtschaft. Sie wendet sich direkt an die Arbeiterklasse, die mit steigenden Kosten zu kämpfen hat, und entfaltet ihre Propaganda gezielt im ländlichen Frankreich wie in ehemaligen Industriestädten, wo Wohlstandsverluste drohen.
Auch die AfD versucht, mit der Krawallkrise zu punkten
Le Pen stellt ihre Partei als Bewegung für die vergessenen Massen dar, die von der Globalisierung und den Pariser Eliten übergangen werden. Dieses Narrativ verknüpft sie mit scharfer Migrationskritik und bringt den liberalen Macron in Bedrängnis. Je länger die Gewalt anhält, desto mehr kann Le Pen davon profitieren.
Die Verunsicherung infolge der Krawalle versucht auch die AfD in Deutschland für die eigene Propaganda zu nutzen. So schreibt etwa AfD-Parteichefin Alice Weidel auf Twitter, dass diese Gewalt die "Zukunft Deutschlands" sei. Ihr Parteikollege Martin Hess behauptet, "die Frage ist längst nicht mehr ob, sondern nur noch wann" es in Deutschland "französische Zustände" gebe. Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch warnt vor der angeblichen "Gefahr des Übergreifens der Gewalt in Frankreich auf Deutschland" und intoniert: "Wir wollen keinen Bürgerkrieg bei uns, der durch die unkontrollierte Masseneinwanderung auch in deutschen Städten droht." Die AfD eifert der unverhohlenen Krisengewinnlerstrategie Le Pens hinterher.
Quelle: ntv.de