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Folgen des Kriegs in der Ukraine Die Kabelbaum-Krise in der Autoindustrie

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Der Kabelbaum in einem Auto ist so etwas wie das zentrale Nervensystem. Ohne das geht gar nichts.

(Foto: dpa)

Der Krieg in der Ukraine hat die europäische Autoindustrie kalt erwischt. Eine der wichtigsten Komponenten, der Kabelbaum, ohne den kein Auto vom Band laufen kann, wird eben auch in dem Billiglohnland produziert. Jetzt stockt die Produktion, die Lieferzeiten werden unberechenbar und Lösungen müssen her.

Es ist überraschend, wie intensiv der Angriff Russlands auf die Ukraine auch die europäische Autoindustrie in ihrer Produktion behindert. Vor dem Krieg hat wohl kaum jemand gewusst, dass ausgerechnet die Ukraine einer der wichtigsten Standorte zur Fertigung von Kabelbäumen ist. Wie in vielen anderen Produktionsbereichen wurde die Fertigung in ein Billiglohnland ausgelagert, um die Kosten insgesamt zu senken und natürlich auch die Gewinne zu maximieren. So werden in der Ukraine für eine Arbeitsstunde samt Lohnnebenkosten lediglich 3 Euro bezahlt. Würde die Autoindustrie in Deutschland Kabelbäume fertigen, müssten sie für eine Arbeitsstunde etwa 54 Euro bezahlen, rechnet das Forschungsinstitut Center Automotive Research in Düsseldorf vor.

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Es sind vor allem die Produktionskosten der vorzugsweise in Handarbeit gefertigten Kabelbäume, die dazu führen, dass die Produktion in Billiglohnländer verlegt wird.

(Foto: dpa)

Dieser Kostensprung erklärt sich vor allem daraus, dass Kabelbäume zu mehr als 30 Prozent in Handarbeit hergestellt werden. Manuell werden Kabel, Schläuche, Stecker und Litzen an einer Art Nagelbrett eingefädelt. In der Autoindustrie werden die Kabelbaumbauer auch gerne als die Teppichknüpfer bezeichnet. Einzige Hilfsmittel sind hier Schneidemaschinen, Prüfgeräte oder ein Schweißgerät.

Verlagerung der Produktion geplant

Die Autoindustrie will jetzt versuchen, die Produktion nach Rumänien, Bulgarien, Serbien, Tunesien oder in die Türkei zu verlegen. Allerdings müssen entsprechende Produktionsstrecken erst aufgebaut und Fachkräfte geschult werden. Der Zeitrahmen, der hierfür abgesteckt ist, wird mit mindestens sechs Monaten berechnet. VW-Chef Herbert Diess sprach mit Blick auf die Ausfälle sogar davon, dass man sich "auf einen Totalausfall" einstellen müsse. Um dem zu entgehen, bauen die Wolfsburger inzwischen zusammen mit anderen Zulieferern eine Parallelproduktion in Nordafrika auf. Wenn es zum Äußersten kommt, sollen die Werke in der Ukraine auf diesem Weg komplett ersetzt werden.

Doch bis dahin werden die Bänder nicht nur bei VW langsamer laufen oder gar stillstehen. Auch BMW, Mercedes, Audi, Skoda, Porsche et cetera sind betroffen, denn Kabelbäume werden für jedes Auto speziell angefertigt, sind also explizit an die Bestellkette der einzelnen Fahrzeuge gebunden. Man spricht gemeinhin auch davon, dass die Kabelnetze, die für die einwandfreie Funktion des Bordnetzes unerlässlich sind, nicht lagerfähig sind. Doch nicht nur die Autoindustrie, auch die Firmen, die wie Leoni oder Bosch die Kabelbaumproduktion im Ausland verantworten, rechnen jetzt schon mit gewaltigen Umsatzeinbußen. Vertraglich beruft man sich auf "höhere Gewalt" und rechnet bei Nichterfüllung der Verträge mit einem Einsehen der Autobauer.

Autoproduktion wird selektiert

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Auch die Produktion des sich bestens verkaufenden Porsche Taycan geriet wegen fehlender Kabelbäume ins Stocken.

(Foto: Porsche)

Die sollen bereits ein Einsehen gezeigt haben und werden die Kosten mittragen. Wo die Mehrausgaben am Ende aufgefangen werden, ist natürlich klar: beim Endabnehmer. Es dürfte also ein offenes Geheimnis sein, dass sich die Preise für Neuwagen deutlich verteuern werden. Experten rechnen für die kommenden Wochen wegen fehlender Kabelbäume mit einem Ausfall von 650.000 Fahrzeugen, die nicht gebaut werden können. Sollte es zu einem kompletten Stopp der Produktion in der Ukraine kommen, könnte sich diese Zahl locker verdoppeln.

Welche Modelle im Einzelnen betroffen sind, ist kaum zu benennen. Bei Audi waren es am Anfang des Monats Modelle wie der A4, A5, A6 und A7. Auch der E-Tron GT und die Produktion des Sportwagens R8 waren betroffen. Bei BMW geriet die Produktion des Elektroautos i4 und des iX in Dingolfing ins Stocken. Mercedes schraubt ebenfalls wie die anderen Hersteller an den Schichtplänen in Sindelfingen, wo die E- und S-Klasse sowie der Luxusstromer EQS vom Band laufen. Und Porsche musste für den Moment die Produktion des Elektrosportlers Taycan aussetzen. Ein herber Schlag, denn der Elektriker verkaufte sich in den letzten Monaten besser als ein 911er.

Die stockende Produktion hat natürlich auch für Neuwagenkäufer Folgen. Die schlagen sich momentan noch nicht im Preis für die Fahrzeuge nieder, aber in den Wartezeiten und der Vertragsgestaltung. Da für die Hersteller nicht abzusehen ist, wann der bestellte Wagen ausgeliefert werden kann, sind die abgeschlossenen Verträge zwischen Händler und Käufer nicht verbindlich. Zwar ist, wenn der Interessent denn die unbestimmte Zeit wartet, gewährleistet, dass er das Auto seiner Wahl bekommt, es ist aber nicht garantiert, denn der Hersteller gibt momentan keine verbindliche Bestellbestätigung heraus.

Quelle: ntv.de, hpr

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