Alfa Romeo setzt voll auf Emotion Giulias opernhafte Rückkehr auf die Bühne
26.05.2016, 14:59 Uhr
Da läuft was quer: Dank 510 PS an der Hinterachse beim Modell Quadrifoglio Verde ist die Gleitreibung schnell erreicht.
(Foto: Hersteller)
Karg war die Auswahl, gering die Nachfrage - jetzt will Alfa Romeo durchstarten. Die Ziele könnten kaum höher gesteckt sein. Das neue Modell Giulia soll die Verkaufszahlen in Deutschland verdoppeln. Und das in der umkämpften Mittelklasse.
In einschlägigen Kulturkreisen herrscht kein Zweifel daran, dass die italienische Oper die Beste ist. Entsprechend bombastisch ist die Inszenierung, mit der Alfa Romeo das neue Modell Giulia der Öffentlichkeit vorstellt. Nicht nur visuell. Auch in der Leistung soll die Mittelklasse-Limousine Maßstäbe setzen. Hilfe gibt es dafür von Ferrari und obwohl der Motor aus dem Modell California zwei Zylinder einbüßte, bringt er immer noch 510 PS an die Kardanwelle – und die ist aus Karbon.
Genug Stoff zum Träumen also, aber die Realität des Straßenalltags wird weniger romantisch ausfallen. Hauptsächlich mit Dieselmotoren, die zwischen 136 und 180 PS leisten, soll hierzulande das Geld verdient werden. 2800 Neuzulassungen schaffte Alfa Romeo 2015 in Deutschland, außer den Modellen Mito und Giulietta war noch eine Handvoll 4C-Zweisitzer dabei. Bis zu 4000 Giulias könnten, wenn es nach dem Willen der Vertriebsstrategen geht, in einem vollen Jahr dazukommen. Macht summa summarum 2000 noch in diesem Jahr, wenn das Auto für mindestens 33.100 Euro im Juni in den Markt startet.
Sahnehäubchen und oberes Ende der Preisskala ist das Modell Quadrifoglio Verde, im Alfisti-Jargon kurz "QV"genannt. Seit 1923 identifiziert das Kleeblatt auf weißem Grund Ausnahme-Modelle der Marke. Sechs Zylinder und zwei Turbolader orchestrieren hier ein Fahrerlebnis, das unter günstigsten Umständen den Sprint auf 100 km/h in weniger als vier Sekunden erledigen und die Spitze jenseits von 300 km/h erreichen soll. Erste unabhängige Testfahrten lassen das realistisch erscheinen. Und weil Julia den Romeos vom Schlage eines BMW M3 oder C-Klasse AMG-Mercedes standesgemäß ihre Reize präsentieren soll, wurde auch der Preis angeglichen. 71.800 Euro kostet die QV-Variante, Karbon-Keramik-Bremsscheiben, Kohlefaser-Sitzschalen und Connectivity-Paket nicht mitgerechnet.
Zuerst kommen die Diesel
Quasi aus der Asche der einst stolzen Sportwagen-Marke einen solchen Phoenix entstehen zu lassen, zeugt von solidem Selbstbewusstsein. Doch auch wenn die geschätzten zehn Prozent der Giulia-Kunden in Deutschland sich für das Rennsport-Kleeblatt ("Quadrifoglio") entscheiden, so müssen doch die Brot-und-Butter-Autos den Umsatz bringen. Es sind Viertürer, die bei Audi, BMW und Mercedes, aber auch bei Jaguar und Volvo nicht nur hohe Dieselanteile, sondern auch hohe Quoten an gewerblichen Zulassungen erzielen. Neun von zehn Alfa-Kunden sind bisher private Käufer.
Eher unspektakulär rollt die 4,64 Meter lange Limousine einher, rundlich und weich die Linienführung, optische Anleihen am Design der Wettbewerber dürften nicht zufällig sein. Die Front ist erwartungsgemäß ganz auf den dreieckigen Lufteinlass zu geschnitten, der über Jahrzehnte zu einem Zweit-Markenlogo heranwuchs. Kommod möbliert präsentiert sich der Innenraum, handschmeichelnde Bezüge, geschwungene Verkleidungen, eine harmonische Innenarchitektur, die zu gefallen weiß. Um noch mehr Premium-Atmosphäre zu entfachen, hätte man vielleicht über höhenverstellbare Gurte nachdenken sollen und wer es eilig hat, wird wohl in zügigen Kurven einen stabilen Seitenhalt an den Standardsitzen vermissen. Die ausgezeichneten Sport-Schalensitze sind nur für den QV lieferbar. Dass die Beinfreiheit hinten üppig wäre, lässt sich nicht behaupten und wenn man das Panorama-Dach bestellt, darf man sich über Einschränkung der Kopffreiheit nicht beklagen.
Zunächst sind die verschiedenen Giulia-Ausführungen allesamt Hecktriebler. Das wird vor allem jene freuen, die gern mit den Rücklichtern winken, wenn wie beim QV 600 Newtonmeter Drehmoment auf die Achse wirken. Beim stärksten 180-PS-Diesel sind es 450 Newtonmeter, wenn man vorher 2250 Euro Aufpreis entrichtet und sich für die Achtgang-Automatik von ZF entschieden hat. Die Fahrer und Fahrerinnen von Handschaltungen können lediglich auf 380 Newtonmeter Durchzugkraft vertrauen. Obwohl die sportliche Auslegung es vermuten lässt, kommt beim QV kein Doppelkupplungsgetriebe zum Einsatz, sondern wahlweise eine Achtgang-Automatik oder eine 6-Gang-Handschaltung. Selbst vollkommen spaßbefreiter Einsatz des QV wird wohl kaum dazu führen, dass die offiziellen 8,5 Liter Durchschnittsverbrauch erreicht werden. Zweistellige Ergebnisse sind der Realität näher. Der 180 PS-Diesel, im Datenblatt mit 4,2 l über 100 Kilometer angegeben, ist in der Praxis für etwa sechs Liter gut.
Zuverlässige Adrenalinquelle
Bis die Allradvarianten anrollen, wird nach traditioneller Art die Kraft vorne zubereitet und hinten verfrühstückt. Diesseits von Grenzsituationen fällt die verbindliche und zutrauliche Art der Giulia auf, nicht zickig, überraschungsfrei und vorbildlich ausgewogen. Es menschelt kräftig. Aber es gibt akustisch zurückhaltendere Dieselmotoren, ihre Stimme erhebt sie gern, wenn unter Zuhilfenahme von höheren Drehzahlen der Schub fürs Überholen bereit gestellt werden muss. Die feinfühlige und präzise Lenkung hilft mit, einen stimmigen Radius zu finden und der Segelmodus entspannt die Lage bei Autobahntempo, wenn die Drehzahl auf Leerlaufniveau abgesenkt wird. Das Fahrwerk steckt ein ohne zu Murren und teilt Komfort aus. Eine vorbildliche Balance ist das Rückgrat einer mehr als konkurrenzfähigen Vorstellung.
Dass die giftige QV-Version auch ohne Rennlizenz dynamisch und sicher bewegt werden kann, liegt unter anderem an zwei Faktoren. Das Dach der Hochleistungslimousine ist aus Karbon und senkt damit den Schwerpunkt, was wiederum dem Handling zugute kommt. Darüber hinaus ist die Bugschürze mit einem beweglichen Spoiler ausgestattet, der bei Bedarf mehr Abtrieb auf die Vorderachse bringt und so das Lenkverhalten beeinflusst. Ihre hohe Rückmeldungsfähigkeit und die sehr direkte Übersetzung (zwölf Grad Lenkradeinschlag bewirken ein Grad Lenkwinkel an den Rädern) machen die schnelle Kurvenfahrt zur Adrenalinquelle. Es braucht nicht viel Eingewöhnung, dann darf man getrost in den "Race"-Modus wechseln und versuchen, mit den Seitenscheiben Fliegen zu erlegen. Wem das Temperament durchzugehen droht, kann sich auf den festen Biss der gut dosierbaren Brembo-Bremsen verlassen.
Auf öffentlichen Straßen ist das natürlich nicht angeraten, dort sollte die Giulia mit Bedacht, aber nicht unbedingt unterhalb von 180 PS bewegt werden. Der zugkräftige Diesel passt gut zu dem knapp 1500 Kilogramm schweren Fahrzeug und auch die Verarbeitungsqualität scheint die traurigen Jahre hinter sich gelassen zu haben. 480 Liter Kofferraum öffnen sich über einer 68 Zentimeter hohen Ladekante. In der Basisausstattung liefert Alfa Romeo Alufelgen, Fahrdynamik-Regelung, Licht- und Regensensor, Klimaautomatik, Start-Stopp-System, Spurhalte-Assistent und Kollisionswarner mit.
Quelle: ntv.de