Effizient und reichweitenstark Lucid Air Pure im Fahrbericht - mit der Basis unterwegs


Die extrovertiert gestaltete Front des Lucid Air ist zunächst gewöhnungsbedürftig.
(Foto: Lucid)
Der Lucid Air ist nicht ganz günstig, aber effizient und exzellent verarbeitet. Mit dem neu dazugestoßenen Pure könnte es gelingen, Kunden der etablierten Businessklasse abzujagen. ntv.de hat den sparsamen Hecktriebler bereits bewegen dürfen.
Elektrisch angetriebene Fahrzeuge leiden oft unter schnell leer gesogenen Akkus, was nichts anderes bedeutet, als wieder unnötige Zeit an der Ladesäule zu verbringen - dieser Punkt lässt so manchen Kunden zögern beim Umstieg auf die neue Technologie. Daher ist es eine gute Idee, für den Fahrbetrieb möglichst wenig Strom zu verschwenden. Das dachte sich auch Lucid und hat jetzt eine besonders sparsame Version der großen Limousine namens Air nachgeschoben.

Vor allem das Kuppeldach macht den US-Amerikaner spannend. Dank langem Radstand genießt man hinten viel Platz.
Dass man mit dieser asketisch unterwegs wäre, steht jedoch nicht zu befürchten angesichts 442 PS. Aber Allradantrieb muss einfach nicht sein, daher wird nur die Hinterachse mit dem Drehmoment von bis zu 550 Newtonmetern versorgt. Spart auch Gewicht, so wiegt der Businessklässler lediglich 2070 Kilogramm.
Klingt alles gut, und mit diesem Wissen entere ich die neueste Ausbaustufe des US-Amerikaners. Und der kommt ebenfalls adrett ausgestattet daher, bietet zwar in dieser Konfiguration nicht die super super super geschmeidigen Sitze in zweifarbiger Ausführung wie der zuvor gefahrene Grand Touring, aber immer noch sehr anschmiegsame Fauteuils zum fröhlichen Verweilen. Außerdem sieht der fleeceartige Stoff oberhalb der schlichten, aber feinen Holzdekorleiste jetzt auch nicht gerade unedel aus.
Der Lucid ist ein Hingucker
Aber jetzt wird losgefahren und dabei ein kleines Experiment gemacht, sofern das hier auf der kurzen Fahrt überhaupt gelingt. Ich wühle mich durch das Menü, bis ich die sogenannten "Trip"-Daten finde, und nulle das virtuelle Zählwerk. Dann geht es los mit der 4,98 Meter langen Limousine, die eine ausgeprägte Anziehung auf Passantenköpfe zu haben scheint. Wo auch immer das Vehikel mit dem eleganten Kuppeldach auftaucht, die Leute können sich auf keinen Fall verkneifen zu gucken.
Aber ich konzentriere mich auf mein Fahrprofil. Schließlich möchte ich herausbekommen, wie viel Strom ich verballere. Erst einmal führt mich die Landstraße zum deutsch-österreichischen Grenzübergang. Aus Angst vor teuren Knöllchen bleibe ich meist moderat. Okay, ein paar Mal durchladen und den Druck im Kreuz spüren, den das hinten montierte Kraftpaket auslöst (4,7 Sekunden bis 100 km/h), lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Nach der Grenze sind derartige Spielereien aber erst einmal nicht mehr möglich, weil dann limitierte Autobahn folgt. Meist sind nicht mehr als 130 km/h erlaubt, was mich indes gut und flüssig voranbringt.
Effizienter geht es kaum

Nicht nur auf dem Bild strahlt der Air eine wirklich ausgeprägte Gediegenheit aus. Das Finish und die Verarbeitung sind über alle Zweifel erhaben.
(Foto: Lucid)
Der auf dem großen Display in der Mittelkonsole ablesbare Monitor zeigt die US-amerikanische Zählweise. Dort steht, dass ich auf 86 Kilometern Fahrt 11 kWh verbraucht hätte. Dann aber endet das Tempolimit, ich lasse den Air laufen, halte mich deutlich oberhalb von Richtgeschwindigkeit auf und erreiche auch mal kurzzeitig 200 km/h (Topspeed). Am Ende waren es 19 kWh auf 123 Kilometern mit etwa 30 Kilometern forcierter Fahrweise. Macht 15 kWh auf 100 Kilometern. Das ist wirklich bemerkenswert. Kein Wunder, dass der Basis-Air mehr als 700 Kilometer weit kommt mit einer einzigen Batterieladung.
Allerdings zahlt der Kunde einen gewissen Preis für dieses Maximum an Effizienz. So verzichten die Techniker selbst auf eine Luftfederung und begründen diesen Schritt mit dem Energieverbrauch. Schließlich müssten dafür Pumpen angetrieben werden (Druckerzeugung). Und womit werden diese gespeist? Klar, mit Strom. An dieser Stelle muss vielleicht einmal mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, nur ein luftgefedertes Fahrwerk garantiere hohen Fahrkomfort. Stimmt nicht, auch eine ordentlich abgestimmte Stahlfeder liefert gute Ergebnisse. Bloß erhöht sich die Diskrepanz beim Fahrverhalten zwischen beladenem sowie unbeladenem Zustand. Da der Lucid aber mutmaßlich selten als Schwertransporter herhalten muss, geht das schon in Ordnung. Und seine Dämpfer arbeiten effektiv, schlucken selbst kurzwellige Verwerfungen recht gekonnt weg.
Platzangebot im Fond fällt fürstlich aus

Im Fond darf der Passagier nicht nur viel Beinfreiheit erleben, sondern auch seinem Spieltrieb frönen mit einem schicken Touchscreen.
(Foto: Lucid)
Bevor es aber wieder aus dem Air geht, soll noch eine Sitzprobe in der zweiten Reihe stattfinden. So viel Beinfreiheit muss man erst einmal finden. Die gibt es sonst nur in der Oberklasse bei deutlich größeren Außenabmessungen. Gut, hier macht sich das schlanke Motorendesign bemerkbar neben dem ausladenden Radstand von 2,96 Metern. Die Ingenieure erklären, dass das Lucid-Aggregat satte neun PS je Kilogramm Eigengewicht liefert, während viele Wettbewerber bei etwas über drei PS je Kilogramm rangieren.

Nicht alles im Air wird über den Touchscreen gesteuert. Für die Temperaturverstellung kommen ganz klassische Drucktasten zum Einsatz.
(Foto: Lucid)
Doch natürlich hat auch ein Air Schwächen. Ja, das Qualitätslevel rangiert auf hohem Niveau, das Finish und die Materialien sind top. Schön anzusehen ist das Interieur ebenso, das fein geschwungene Riesendisplay präsentiert sich architektonisch hübsch inszeniert. Aber Außenspiegelverstellung auf dem Touchscreen? Muss nicht sein. Auch die Scheibenwischerbedienung ist fummelig. Hier bitte nachbessern. Zumal sich die Innenraumtemperatur ja auch per physischer Taste justieren lässt - es geht doch! Und wie performant der 88 kWh große Akku in der Praxis geladen werden kann, bedarf eines weiteren Tests. Immerhin arbeitet das System der Basisversion mit einer Bordspannung von 650 Volt und der Hersteller nennt 20 Minuten für einen Hub, der für 400 Kilometer Fahrt reichen soll bei einer maximalen Ladeleistung von 210 kW.
Zum Schluss zur Preisfrage. Mit 85.000 Euro Einstiegskurs ist selbst der Basis-Lucid kein günstiges Vergnügen. Allerdings hat der Hersteller ein respektables Leasingangebot in petto. Bei rund 15.000 Euro Sonderzahlung und 36 Monaten Laufzeit werden 799 Euro monatlich aufgerufen. Das ist jetzt kein Pappenstiel, für eine kritische Masse von Freiberuflern und Selbstständigen aber zu stemmen. Das Kundenpotenzial ist durchaus vorhanden, bloß bei der Markenbekanntheit von Lucid ist noch Luft nach oben.
Quelle: ntv.de