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Traum in Alt und Neu Mercedes 300 SL trifft AMG GT Black Series

70 Jahre liegen zwischen der Entwicklung zweier extrem faszinierender Supersportwagen, dem Mercedes 300 SL und dem AMG GT Black Series.

70 Jahre liegen zwischen der Entwicklung zweier extrem faszinierender Supersportwagen, dem Mercedes 300 SL und dem AMG GT Black Series.

(Foto: Patrick Broich)

Mit dem Mercedes 300 SL und dem AMG GT Black Series treffen zwei sportliche Speerspitzen aufeinander, deren Entwicklungsstand rund 70 Jahre auseinanderliegt. Doch welcher der beiden Ausnahme-Sportwagen kann mehr faszinieren? Ein direkter Vergleich soll die Frage klären.

Den Mercedes 300 SL aus den Fünfzigerjahren und den aktuellen AMG GT Black Series, dem bisher stärksten Serien-Mercedes mit 730 PS, eint, trotz aller Unterschiede, eins: Sie sind die schnellsten Modelle, die man zum entsprechenden Zeitpunkt bei Mercedes kaufen konnte und kann. Die Mercedes Black Series-Varianten krönen immer ihre jeweiligen Modellreihen, so war es bereits bei C-Klasse, SL und SLS. Jetzt also der AMG GT, der nicht nur die höchste Motorleistung aufweist, sondern die Nordschleife in notariell beglaubigten sechs Minuten und 43 Sekunden umrundet. Es gibt zwar noch ein paar schnellere Fahrzeuge (beispielsweise Rennwagen ohne Straßenzulassung), aber der AMG GT Black Series ist hier der schnellste Serienwagen. Um eine solche Performance zu erreichen, haben sich die AMG-Techniker richtig ins Zeug gelegt. Und so hat er weniger mit dem Basis-Modell zu tun als mit den Kunden-Rennsportwagen der GT3- und GT4-Serie.

Der Mercedes 300 SL wirkt elegant und formvollendet, während der AMG GT Black Series keine Hehl aus seinem Hang zum Rundkurs macht.

Der Mercedes 300 SL wirkt elegant und formvollendet, während der AMG GT Black Series keine Hehl aus seinem Hang zum Rundkurs macht.

(Foto: Patrick Broich)

Selbst automobile Laien erkennen schnell das ganz schön zerklüftete Blechkleid des Black Series, der Rennsport-Gene in sich tragen muss. Augenfällig sind die großen Kanäle in der Carbon-Motorhaube für Abluft. Markante Anbauteile wie die Schweller und der Frontsplitter in Sichtcarbon sehen martialisch aus, sind jedoch weniger Show als funktional. Alles ist auf Kühlung und Abtrieb getrimmt - so auch der zweistöckige Heckflügel mit mechanischer Verstellung für optimalen Anpressdruck auf jeder Strecke. Dem wird auch das obligatorische Gewindefahrwerk gerecht. Doch bevor es ans Steuer des stärksten Serien-Mercedes geht, gilt es, sich das historische Vorbild zu Gemüte zu führen.

Vorbild kann nur der 300 SL sein

Wenn es überhaupt ein Vorbild sein kann, denn genaugenommen würde diese Ansicht der Mercedes-Entwicklung vorgreifen. Denn erst die nächste Sportwagen-Baureihe, also der Nachfolger des GT, wird auch ein SL-Derivat enthalten. Aber dafür ist der erste 300 SL immerhin ein geschlossenes Coupé, was auch eine Abweichung der Modelltradition darstellt, und insofern passt dieser Vergleich wieder.

Das Markenzeichen des Mercedes 300 SL waren neben den Flügeltüren die Kiemen.

Das Markenzeichen des Mercedes 300 SL waren neben den Flügeltüren die Kiemen.

(Foto: Patrick Broich)

Der werksintern W198 genannte Flügeltürer, wie er im Volksmund heißt, ist deutlich schlichter gezeichnet als der mächtige GT Black Series. Stahlfelgen mit Zentralverschluss und prägnante Kiemen in den Flanken verströmen Rennflair - und natürlich die Powerdomes auf der Motorhaube. Eigentlich wäre das SLR Uhlenhaut-Coupé mit Achtzylinder der legitime Vorgänger des AMG GT Black Series, aber der ging nie in Serie. Also muss zum Vergleich der Dreiliter-Sechszylinder genügen, der für die Fünfziger schier unglaubliche 215 PS auf die Hinterräder loslässt und über eine damals unglaublich innovative Benzin-Direkteinspritzung verfügt.

Es ist schwierig, die damalige Situation mit der heutigen zu vergleichen, aber viel spricht dafür, dass ein 300 SL in den frühen Nachkriegsjahren, inmitten der ganzen spartanischen Volkswagen Käfer und Motorräder, noch viel spektakulärer wirkte als ein AMG GT Black Series heute. Fahrzeuge im Leistungskorridor zwischen 500 und 800 PS sind unterdessen keine Seltenheit mehr auf den Flaniermeilen deutscher Städte.

Mercedes-Flair der 50er Jahre

Schöne analoge Rundinstrumente prägen das Cockpit des Mercedes 300 SL.

Schöne analoge Rundinstrumente prägen das Cockpit des Mercedes 300 SL.

(Foto: Patrick Broich)

Doch jetzt nichts wie hinter das Steuer des sündhaft teuren 300 SL. Auch wenn die Einstiegs-Schwelle hoch ist, der Flügeltürer ermöglicht einen besseren Einstieg als mancher Sportler der Marken Lotus oder McLaren. Und selbst ein BMW i8 mit seinem schwer zugänglichen Carbon-Monocoque erfordert mehr Verrenkungen, um hinter das Lenkrad zu kommen. Zeittypisch dürre Sportsesselchen aus Stoff in traditionellem Karomuster und ein betörend schönes Instrumentarium mit vielen mechanischen Anzeigen, darunter für Öldruck- und Temperatur, schaffen echtes Sportfahrer-Flair.

Viel Metall im Innenraum und Bakelit für Lenkrad wie Schaltknauf verströmen Mercedes-Flair der obersten Kategorie. Obwohl der 300 S (W188) damals teurer war als der leichte SL mit Gitterrohrrahmen, konnte man für die 29.000 D-Mark, die der W198 kostete, fast sieben Käfer kaufen. Damit kommt man heute nicht mehr hin, für den Preis eines AMG GT Black Series (343.600 Euro) bekommt der Kunde wahlweise zwölf Volkswagen Golf in Basisausstattung.

Seinerzeit war der Reihensechszylinder des Mercedes 300 SL das absolute Motoren-Highlight.

Seinerzeit war der Reihensechszylinder des Mercedes 300 SL das absolute Motoren-Highlight.

(Foto: Patrick Broich)

Vielleicht lag es auch am generell höheren Preislevel von Automobilen, aber eine andere Autowelt war der 300 SL damals definitiv im Vergleich zur "bürgerlichen" Klasse. Wie fortschrittlich er vor sieben Jahrzehnten gewesen sein muss, lässt sich nicht zuletzt daran ablesen, dass er selbst für heutige Verhältnisse erstaunlich modern fährt. Seine vier Gänge rasten leichtgängig und geschmeidig, der sonor klingende, direkt einspritzende Reihensechszylinder schiebt so druckvoll an, dass er den 300 SL überaus souverän antreibt. Zudem hängt der Dreiliter gut am Gas, dreht willig hoch und lässt die Mundwinkel des Fahrers ab 4000 Kurbelwellenumdrehungen dauerhaft nach oben zeigen. Allein die Lenkung - Servounterstützung? Fehlanzeige - erfordert ordentlich Muskelkraft. Da hilft es auch nicht, dass das Coupé lediglich 1,3 Tonnen auf die Waage bringt.

Doch zurück zur Fahrleistung. Das Fachmagazin "Auto, Motor und Sport" testete vor etwa sechs Jahren noch einmal einen 300 SL und hat 7,3 Sekunden für den Standardsprint auf 100 km/h ermittelt, während ein zeitgenössischer Test desselben Magazins aus dem Jahr 1955 deutlich langsamere 9,3 Sekunden ergab. Zwar waren für den W198 unterschiedlich übersetzte Hinterachsen lieferbar, aber hier dürften heute bessere Reifen mit mehr Traktion eine Rolle spielen. Je nach Übersetzung erreicht der 300 SL vor knapp siebzig Jahren ungeheure 260 km/h. Schnell ist das selbst heute noch - die Höchstgeschwindigkeit ebenso wie die Beschleunigung.

Schwarz und drastisch sportlich

Drastisch sportlich geht es im Mercedes-AMG GT Black Series zu.

Drastisch sportlich geht es im Mercedes-AMG GT Black Series zu.

(Foto: Patrick Broich)

Und jetzt der Black Series. Hier gelingt das Einsteigen so simpel wie bei der braven Basisversion, aber dann wird es drastisch sportlich. Sein abgewandelter Vierliter-V8 mit sogenannter Flatplane-Kurbelwelle (damit er williger dreht) bollert nicht, aber röhrt dafür umso lauter. Unterhalten in Zimmerlautstärke wird schwierig, spätestens jetzt merkt sogar der unbedarfte Beifahrer, dass das kein gewöhnlicher AMG GT ist. Gaspedal-Stöße quittiert das orange Biest ungestüm und tänzelt selbst im Falle gut angewärmter Semislicks gerne mal ungewollt mit dem Heck.

Mangelnde Traktion dürfte der Grund sein, warum es "nur" für 3,2 Sekunden auf 100 km/h reicht - sonst wäre eine Zwei vor dem Komma. Wer ein bisschen Übung hat, zirkelt den Straßen-Rennsportler mit dem griffigen Alcantara-Lenkrad unglaublich schnell über windungsreiche Landstraßen, ohne auch nur ansatzweise in die Nähe des Grenzbereichs zu kommen. Der Black Series ist das ultimative Spaßgerät für einsame Straßen am Sonntagmorgen.

Das Label des Mercedes-AMG GT Black Series steht für unbändige Sportlichkeit.

Das Label des Mercedes-AMG GT Black Series steht für unbändige Sportlichkeit.

(Foto: Patrick Broich)

Dagegen lädt der alte, 1954 in New York vorgestellte 300 SL zum Genießen ein, der toll klingende Sechszylinder ist ein Traum, die Karosserie eine Augenweide. Und obendrein ist der glamourvolle Zweitürer noch nicht einmal phlegmatisch im Antritt.

Leider erfordert es siebenstellige Preise, um in diesen Genuss zu kommen. Der AMG GT ist günstiger zu haben - aber mehrere hunderttausend Euro sind es auch hier. Auch das also nur ein schwacher Trost. Aber, man wird ja mal träumen dürfen.

Quelle: ntv.de

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