So geht Auto politisch inkorrekt Unterwegs mit dem Bentley Bentayga EWB - ein bisschen extrem


Die schiere Größe eines Bentley Bentayga beeindruckt in jedem Fall. Nur nicht zwingend positiv. Über Feinde kann sich der Brite sicher nicht beklagen. Er wird aber auch für cool befunden.
(Foto: Patrick Broich)
Extreme SUV finden Anklang, man denke an Exemplare wie Ferrari Purosangue oder Rolls-Royce Cullinan mit Zwölfzylinder-Motoren. Bentley dagegen muss mit einem V8 vorliebnehmen, aber bietet auf Wunsch eine Langversion. ntv.de war mit ihr unterwegs.
Was ist eigentlich der Gradmesser für ein politisch inkorrektes SUV (das wir Autofans, also manche zumindest, ja schon irgendwie auch ein bisschen lieben)? Ein martialischer Auftritt? Möglichst viele Töpfe unter der Haube? Oder schlicht die Höhe der Wahrscheinlichkeit, dass Aktivisten einem die Luft aus den Reifen lassen während des Parkens in den Großstädten, was wiederum hauptsächlich aus dem Auftritt resultieren dürfte?

Anhand der langen Fondtüren (länger als die vorderen) identifiziert der Experte die EWB-Variante des Bentley Bentayga.
(Foto: Patrick Broich)
Der Bentley Bentayga ist vor allem für Letzteres schon ein guter Kandidat, falls man es darauf anlegen sollte, fällt im Vergleich beispielsweise zu einem Rolls-Royce Cullinan allerdings eher zurückhaltend aus in der Erscheinung. Und auch der Treibsatz unter der Haube ist mit dem sogenannten EA825, also dem Vierliter-Doppelturbo-Achtzylinder eher Stangenware des Volkswagen-Konzerns. Schließlich ist der exklusivere W12 seit längerer Zeit Geschichte. Doof für Bentley, könnte man meinen, da der Hersteller doch gerade die Kunden mit den extremen Wünschen bedienen möchte - eben jene Klientel, die in automobiler Hinsicht gerne ein bisschen anecken möchte.

Wer ganz genau schaut, erblickt inmitten der Chrom-Elemente auch eine Kamera. Assistenz kann der Bentayga also ebenfalls.
(Foto: Patrick Broich)
Aber Bentley ist natürlich etwas eingefallen, wie man das mit der automobilen Rebellion schon noch hinbekommen kann. Man nehme die verlängerte Bentayga-Variante namens "EWB", was für extended Wheelbase steht, und wähle eine möglichst auffällige Farbgebung. Beim Testwagen ist das der violette Ton "Damson" in der Kombination mit dem Dach in "Silver Storm" (Silver Storm over Damson) plus polierte Riesen-Felgen im 22-Zoll-Format und Mulliner-Design. Das knallt definitiv rein. Zumal da ja auch noch die wuchtige Front mit dem auffälligen Chrom-Grill wäre.
Am Ende sind diese Details optisch sogar schwerer wiegend als die Verlängerung des Radstands von 3 auf 3,18 Meter und die damit einhergehende Länge von 5,31 Metern. Wer sich auskennt, entdeckt natürlich rasch die langen Fondtüren (länger als die Vordertüren), die diesem speziellen Bentayga übrigens noch einen Hauch mehr Eleganz verleihen, wenn auch nicht die Extravaganz der gegenläufig öffnenden Portale bei Ferrari Purosangue oder eben Rolls-Royce Cullinan.
Unter den Extrem-SUV ist der Bentayga kein Aufreger
Unter den extravaganten SUV bildet der lange Bentayga quasi nur die Basis. Aber um Außenstehende zu beeindrucken, reicht es. Vor allem nach dem Einstieg. Da warten in der zweiten Reihe üppige Einzelsitze mit elektrischer Verstellung. Und es gibt Beinfreiheit ohne Ende - so weit, so üblich.

Getränke an Bord kühl halten - ein alter Hut. Aber im Bentley Bentayga werden sogar die Kristallgläser gekühlt.
(Foto: Patrick Broich)
Doch die emotionale Komponente bildet eher noch das Kristallglas-Set nebst Kühlfach zwischen den beiden Fauteuils. Champagner im Bentayga trinken? Kann man machen. Aber ich als Antialkoholiker habe den Platz vorn links lieber als das zweifellos verrückte Fondabteil mit jedem erdenklichen Komfort. Hier gibt es nicht nur eigene Bildschirme zur Befriedigung des Spieltriebs, sondern auch noch Klapptische. Aber warum? Essen während der Fahrt? Nicht wirklich cool mit den Krümeln und so. Arbeiten? Wäre eine Option.
Allerdings kommt dann doch wieder der EA825 ins Spiel, der das zu verhindern weiß. Denn leider verlockt der 550 PS starke Brocken zur einen oder anderen Volllast-Einlage. Weil es doch immer wieder fasziniert, wie der Doppelturbo den 2,5-Tonner mit seinen 770 Newtonmetern nach vorn hämmert. Dabei ist der Achtzylinder gar nicht mal das stärkste Aggregat (es gibt ja auch 1000 Newtonmeter auf dem Markt), aber irgendwie fühlt sich der über die Achtgang-Automatik übertragene Punch beeindruckend stramm und tief an.
Und dass der mit reichlich Stirnfläche gesegnete Brite heftigst antritt, spiegeln auch die Zahlen wider. Es dauert keine fünf Sekunden, bis Landstraßentempo steht. Autobahntaugliche 160 km/h werden nach zehn Sekunden erreicht. Außerdem sind 290 Sachen Topspeed drin. Mehr noch als die schieren Werte bewegt der gekonnt komponierte Achtzylinder-Sound. Er dringt nicht bloß in den ansonsten ordentlich abgeschotteten Fahrgastraum, sondern erreicht auch die Passanten per kunstvoll inszenierter, vierflutiger Abgasanlage.
Das Schwergewicht ist recht fahraktiv
Was der auf eher straffen als undefiniert wirkenden Luftbälgen liegende Bentayga-Riese übrigens nicht macht, ist, sich leicht anzufühlen. Und das, obwohl er mit aktiven Stabis in den Kurven gegen die Fliehkräfte ankämpft und sogar die Hinterräder ein paar Grad eindreht. Nein, er fühlt sich schwer an und das soll er auch. Egal, welchen Fahrmodus man gerade eingestellt hat. Schwer gleich solide, das ist bei Bentley immer noch Prinzip. Bloß sind nicht alle Elemente im üppig ausstaffierten Aufenthaltsraum derart aus dem Vollen gefräst, wie das vielleicht noch im Mulsanne war, dem vielleicht letzten echten Bentley in der Logik mancher Fans.

Beinfreiheit ohne Ende, Bildschirme, Klapptische und halbe Liegesitze im Bentayga. Wenn man irgendwo in der zweiten Reihe first class reist, dann hier.
(Foto: Patrick Broich)
Ein bisschen nachdenklich machen die Lenksäulenhebel, die auch im Plattformbruder Audi Q7 nicht besser aussehen. Doch Schwamm drüber, der Bentayga ist ja immer noch ein Fahrzeug der Extreme. Allein die Duo-Ton-Lackierung verschlingt mit rund 20.000 Euro mal eben so viel, wie viele andere Menschen für einen Neuwagen ausgeben würden. Und auch die "Airline Seat Specification" ist eine witzige, schrecklich unnötige Option, bei der man den hinteren Sessel in eine Ruheposition neigen kann - wie in der First Class im Flugzeug eben. Wobei, ganz zum Bett wird der Sitz dann doch nicht, wie schade auch. Dafür sind die Polster schön klimatisiert und massieren auf Wunsch. Was auch sonst.
Und um auch bloß jeden zu informieren, dass es sich um die Mulliner-Ausstattung handelt (H.J. Mulliner hat 60 Jahre lang Bentley und Rolls-Royce in Blech gekleidet), findet sich ein entsprechender Schriftzug im schwarzglänzenden Klavierlack-Dekor. Lass also festhalten: Ein Bentayga tanzt trotz fehlender Zwölfzylinder-Befeuerung immer noch unglaublich aus der Reihe, lässt sich aber je nach Ausstattung von halbwegs unauffällig bis maximal schrill konfigurieren. Wie im Falle des EWB Mulliner. Und dann hat er ja auch noch richtig Platz, ist also sogar mit Nutzwert gesegnet. Man kann sich eben alles schönreden.
Übrigens sollte der Interessent nicht nur Nerven beweisen, wenn das politisch inkorrekte Gefährt auf SUV-Gegner stößt, sondern auch ganz schön finanzielle Puste haben. Denn eine 400.000-Euro-Rechnung zu produzieren mit einem fein individualisierten Bentayga, stellt kein größeres Problem dar. Bleibt die Frage, ob das SUV eines Tages genauso zum Klassiker reifen kann wie all die verflossenen Coupés und Limousinen der Marke, nach denen sich die Fans sehnsüchtig umdrehen, wenn mal ein Exemplar vorbeifährt. Es bleibt jedenfalls zu hoffen.
Quelle: ntv.de