Unterhaltung

"Dieses bleibt für immer" City: Ende einer Legende

389670464.jpg

Sänger Toni Krahl beim vorletzten City-Konzert in Berlin.

(Foto: picture alliance / PIC ONE)

Mehr als 15 Millionen verkaufte Tonträger, mehrere goldene Schallplatten, eine goldene DVD: Darauf kann die in der DDR gegründete Rockband City nach 50 Jahren zurückblicken. Und auf jede Menge ausverkaufte Konzerte. Am heutigen Freitag tritt City zum letzten Mal auf.

"Es ist unheimlich heiß", so heißt ein früher Hit der Gruppe City. Heiß ist es in der Mercedes-Benz-Arena am Donnerstagabend. Es ist ein Konzert, das es eigentlich nicht geben sollte. Aber die Fans wollten es so. Und City, bekannt durch Hits wie "Am Fenster", "Wand an Wand", "Casablanca", "Amerika" oder "Flieg' ich durch die Welt", geben alles. Ein vorletztes Mal. Einen Tag später - am heutigen Freitag - wird ihr letztes Konzert sein. Dann gehen sie in die einst von ihren Kollegen, den Puhdys, besungene Rockerrente. Doch erst einmal ist feiern angesagt, und der eine oder andere denkt mit Wehmut und Stolz zurück - an die letzten 50 Jahre City.

Alles beginnt 1971. Da treffen sich Gitarist Fritz Puppel und Drummer Klaus Selmke in Ost-Berlin. Sie wollen zusammen Musik machen. Rock, möglichst schnörkellos. Am 4. Februar 1972 geben sie ihr erstes Konzert, im ABC-Club in Berlin-Köpenick, mit drei weiteren Musikern. Nun nennen sie sich "City Band Berlin". Bald wird daraus der Name, mit dem sie das nächste halbe Jahrhundert auf Tour sein werden: City.

Die Macht der DDR-Zensur

1974 stößt nach einigen Umbesetzungen der Bulgare Georgi Gogow als Bassist zur Band. Kurze Zeit danach bringt Drummer Selmke eine Geige in den Übungsraum mit, die sein Onkel auf dem Dachboden gefunden hatte. Und dann die Überraschung: Gogow schnappt sich Geige und Bogen - und legt los. Was niemand gewusst hat: Er ist ein wahrer Teufelsgeiger. Ungefähr zu dieser Zeit bringt der damalige Bandsänger Emil Bogdanow einen Text der bekannten DDR-Lyrikerin Hildegard Maria Rauchfuß zu einem Übungsabend mit. Titel: "Am Fenster". Eine Melodie ist schnell gefunden, und Gogow schreibt ein Violinsolo dazu.

Doch zunächst darf der Song nicht aufgeführt werden. Musiker mussten ihre Texte in der DDR einem staatlichen Komitee vorlegen. Das entschied, ob sie gesungen werden durften - oder nicht. Kritik am sozialistischen System der DDR war verboten. Und das Lied "Am Fenster" ist den Zensoren zu kritisch. Schuld daran ist die dritte Strophe. Sie hat den Text:

Einmal wirklich fassen und nie wieder
alles geben müssen, was man hält
Klagt ein Vogel? Ach, auch mein Gefieder
Nässt der Regen flieg ich durch die Welt.

Es ist die Zeile: "Alles geben müssen, was man hält", die den Zensoren bitter aufstößt. Damit, so glauben sie, werde der Vordenker des Kommunismus, Karl Marx, kritisiert. Der hatte schon im 19. Jahrhundert geschrieben, die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln sei die Voraussetzung für die klassenlose Gesellschaft, und ohne die könne es keinen Kommunismus geben. In der DDR hatte die Regierung schon früh mit Enteignungen begonnen. Bauern mussten mit ihren Privathöfen in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) eintreten, privater Handel ist sowieso verboten. Alles soll dem Staat gehören, und damit dem gesamten Volk, so die Theorie. Wer etwas dagegen sagt, wird bestraft, oft mit vielen Jahren Gefängnis.

Und dann erhält City-Sänger Bogdanov seinen Einberufungsbefehl - in Bulgarien wartet die Armee auf ihn. Bogdanov ist Pazifist, flieht nach Schweden. Dort wird er zum gefeierten Country- und Folk-Musiker. Ein neuer Sänger muss her. Toni Krahl stößt zur Band - und wird zum Gesicht von City, bis heute. Bei einer Vorführung von "Am Fenster" vor dem Zensurkomitee lässt er - angeblich aus Versehen - die dritte Strophe weg. Nun haben die Zensoren nichts mehr einzuwenden, der Song darf aufgeführt werden und erscheint 1978 auf der ersten City-LP.

Die soll gleichzeitig in der DDR und in der Bundesrepublik erscheinen. Doch wegen einer Panne bei dem ostdeutschen Plattenlabel Amiga kommt sie in Westdeutschland ein paar Tage früher heraus. "Am Fenster" wird ein deutsch-deutscher Hit. Es ist die Textzeile "Flieg ich durch die Welt", die ihn dazu macht. Für die Menschen in der DDR drückt sie den Drang nach Freiheit aus, die ihnen der Staat seit fast zwanzig Jahren durch Mauer, Stacheldraht und Minenfeldern verwehrt. Damit hatten die Zensoren nicht gerechnet!

Von der Band zur Marke

Das erste Album von City wird bald vergoldet, jedoch nicht in der DDR. Da gibt es so etwas wie goldene Schallplatten nicht. Ausgerechnet in Griechenland wird die Single zu einem Riesenhit in Clubs und Diskotheken, die LP bekommt Gold - es ist das dritte Album eines ausländischen Künstlers, das diesen Erfolg in Griechenland hat. Auch in der damaligen Bundesrepublik gibt es Gold, allerdings erst 1987. Da haben in der DDR die einstigen Zensoren schon nichts mehr zu sagen, zu erfolgreich ist die Rockmusik inzwischen geworden. Und so dürfen City in ihrem Song "Halb und halb" ohne Probleme singen:

Im halben Land und der zerschnittenen Stadt,
Halbwegs zufrieden mit dem, was man hat.

City ist in der DDR inzwischen zur Marke geworden, obwohl sich die Band Anfang der 1980er Jahre beinahe aufgelöst hätte. In der Zwischenzeit aber gibt es Konzerte in West und Ost, oft mit mehr als 10.000 Besuchern, LPs und jede Menge Hits.

Nach der Wiedervereinigung wird es etwas ruhiger um die Band, Sänger Toni Krahl und Gitarrist Fritz Puppel gründen ein eigenes Plattenlabel, fördern ostdeutsche Bands wie Herbst in Peking, die genialen Folkpunker The Inchtabokatables - und vor allem Keimzeit, die zu Beginn der 1990er Jahren mit Hits wie "Kling Klang" die deutschen Charts stürmen.

Nun sind 50 Jahre City vorbei. Zum Jubiläum kommt im April 2022 das Album "Die letzte Runde" heraus. Es erreicht Platz zwei der deutschen Album-Charts. Heute geben sie ihr letztes Konzert, in Berlin, in der Mercedes-Benz-Arena. Der Run auf die Tickets ist so gigantisch, dass es einen Tag zuvor ein Ersatzkonzert geben muss. Gut 30.000 Fans wollen City noch ein letztes Mal sehen.

Donnerstagabend: Zweieinhalb Stunden lang haben City die Mercedes-Benz-Arena in Berlin gerockt. "Alles fassen, dieses bleibt für immer", so hatte Frontmann und Sänger Toni Krahl das Konzert begonnen. Ein Satz aus dem Hit "Am Fenster". Es wird eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Gäste kommen: Henning Wehland von den H-Blockx und Schauspieler Henry Hübchen singen, die Berliner Sinfoniker begleiten City bei zwei Songs. Mit ihrem größten Hit "Am Fenster" geht das Konzert zu Ende. Bei den Rocksongs tanzen die Fans vor der Bühne, während einer Ballade für den im Jahr 2000 verstorbenen Drummer Klaus Selmke fließen Tränen.

Am heutigen Freitagabend tritt City noch einmal auf. Am gleichen Ort. Es wird das letzte Mal sein. Das Ende einer deutsch-deutschen Legende. Doch City und ihre Fans wissen: "Dieses bleibt für immer".

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen