Oneshot-"Tatort" aus Luzern Ein Schuss, ein Treffer
04.08.2018, 16:01 Uhr
Auch in dieser Szene nicht zu sehen, obwohl sich die Kamera gleich darauf um 360 Grad dreht: Kameramann Zumbrunn.
(Foto: ARD Degeto/SRF/Hugofilm)
Wenn der Kameramann das Beste an einem "Tatort" ist, schrillen bei erfahrenen Fans die Alarmglocken - zumal der erste Fall nach der Sommerpause von den biederen Schweizern kommt. Doch die haben sich diesmal etwas ganz Besonderes überlegt.
Der "Tatort" ist zurück aus der Sommerpause und katapultiert einen neuen Star an den Himmel der Sonntagabendunterhaltung: Filip Zumbrunn. Noch nie gehört? Kein Wunder, der Mann ist weder ein neuer Ermittler noch ein besonders böser Bösewicht und auch kein berühmter Regisseur. Filip Zumbrunn ist Kameramann und die stehen naturgemäß eher selten im Fokus der Aufmerksamkeit. In "Die Musik stirbt zuletzt" wird die Kamera dagegen zum Hauptdarsteller - und zu was für einem!

Fußballtrikot und Abendkleid: Ernst zu nehmende Kommissare sehen meist anders aus.
(Foto: ARD Degeto/SRF/Hugofilm)
Der neue Schweizer "Tatort" wurde in nur einem Take gedreht, heißt, volle 90 Minuten lang gibt es keinen einzigen Schnitt. Das funktioniert natürlich nur, wenn alle Zahnräder ineinandergreifen: Die Schauspieler dürfen sich nach Möglichkeit keine Schnitzer erlauben und das Timing muss anderthalb Stunden lang perfekt sitzen. Den schwierigsten Job aber hat der Kameramann: 90 Minuten lang mit einer schweren Kamera auf den Schultern herumzulaufen, den Schauspielern dabei nicht im Weg zu stehen und gleichzeitig auch noch schöne und scharfe Aufnahmen zu bekommen, das ist wahre Kunst. Und Filip Zumbrunn beherrscht sie in "Die Musik stirbt zuletzt" fast perfekt.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in zwei Szenen: Da steigt die Kamera zuerst in ein Auto und verfolgt anschließend zusammen mit Kommissar Flückiger (Stefan Gubser) im Laufschritt und schließlich gar auf dem Fahrrad einen Verdächtigen. Wie Zumbrunn es etwas früher im Film schafft, in einer vollverspiegelten Toilette 360-Grad-Drehungen um das Gesicht ebenjenes Verdächtigen zu drehen, bleibt dabei ebenso unerklärlich wie beeindruckend.
Bemitleidenswerte Kommissare
Das Ergebnis jedenfalls ist umwerfend: Das sonst so biedere Schweizer Ermittlungsteam ist kaum wiederzuerkennen, "Die Musik stirbt zuletzt" ist ein famoser Experimentalkrimi mit durchschlagender Wirkung auf den Zuschauer. Das ist umso beeindruckender als die Story selbst recht klassische Krimikost ist: Ein Klarinettist wird im Luzerner Konzerthaus vergiftet, seine klavierspielende Schwester erhält eine Todesdrohung. Irgendjemand möchte anscheinend verhindern, dass die beiden den Mäzen des Abends, einen milliardenschweren Unternehmer mit undurchsichtiger Nazi-Vergangenheit, vor versammeltem Publikum bloßstellen.
Dass die beiden Kommissare bei der Aufklärung des Verbrechens eher hilflos agieren, passt zum Narrativ dieser Episode: Flückiger, frisch vom Fußballspiel zum Tatort gerufen, wirkt im Trikot und mit kurzer Hose bekleidet unter all den Anzugträgern bemitleidenswert fehl am Platze, während Kollegin Ritschard (Delia Mayer) im lachsfarbenen Abendkleid ständig nach ihrem Kripoausweis gefragt wird, den sie als Konzertgängerin selbstredend nicht an der Frau trägt. Und auch der Erzähler (Andri Schenardi), der immer wieder die vierte Wand zu den Zuschauern durchbricht, macht sich keine Illusionen ob seiner Wichtigkeit: "Ich hatte lediglich den Auftrag, den Weg von der Damentoilette in die Bar zu füllen. Selbstverständlich mit Relevanz."
Nach 90 mit schwindelerregenden Kamerafahrten vollgepackten Minuten will man als Zuschauer vor allem eines: mehr Oneshot-Filme im Stil von "Victoria" und "Die Musik stirbt zuletzt". Zumindest beim "Tatort" wird man da allerdings wohl ein Weilchen warten müssen: "Ich denke, es war eine fantastische Erfahrung, einen langen Film ohne Schnitt zu drehen, aber vielleicht ist ein solcher Film auch genug für ein Leben", zieht Kameramann Zumbrunn Fazit. Schade.
Quelle: ntv.de