
Warnt vor rechtem Youtuber: Jan Böhmermann.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Ein Satiriker, ein Youtuber und eine Gesellschaft, in der der Pranger längst medial ist. Diese Kolumne fragt, wer hier noch aufklärt, wer schon verurteilt und warum ausgerechnet die Satire zur moralischen Abrissbirne geworden ist.
Neulich hatte ich einen dieser Momente, in denen man sich fragt, ob man selbst zu alt wird oder einfach nur zu normal geblieben ist. Ich saß mit einer Tasse Filterkaffee (ja, ich gestehe: aus der Thermoskanne) auf dem Balkon, als mir jemand einen Link schickte: Böhmermann. Neue Sendung. "Musste dir angucken", schrieb er. Ich klickte. Und sah.
Und dann saß ich da. Zwischen Basilikum-Topf und Katzengras und dem letzten Rest meines Glaubens an die Vernunft. Die Sonne schien, der Kaffee war noch lauwarm und trotzdem überkam mich ein Schauer. War das noch Satire? Oder schon eine neue Reality-Show mit dem Titel "Wer wird Moral-Millionär?", präsentiert von einem Mann, der nicht nur urteilt, sondern auch gleich vollstreckt? Oder wie man heute sagen würde: "True-Crime für Fortgeschrittene - jetzt mit Haltung!"
Was war passiert? Nun, Jan Böhmermann hatte einen rechten Youtuber öffentlich zerlegt. Und mit "zerlegt" meine ich nicht: argumentativ auseinandergenommen. Sondern eher: mit dem moralischen Flammenwerfer bearbeitet. Es wurden Wohnorte genannt, Kontakte aufgedeckt, das soziale Umfeld seziert. Quasi eine mediale Hausdurchsuchung, begleitet vom warmen Applaus all jener, die sich gern für das Gute halten und das Abo gleich mit dem Gewissen abschließen.
Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin nicht für rechte Hetze. Ich bin auch nicht für linke Hetze. Ich bin für keine Hetze. Aber wenn das neue Spiel lautet: "Wir zeigen dir, wo du wohnst und dann lachen wir noch drüber", dann frage ich mich: Ist das noch Kabarett, oder schon die neueste Mitmach-Empörung mit Like-Button?
Dauerkarte für das Richtige
Böhmermann nennt das Satire. Ich nenne es: eine öffentlich-rechtlich finanzierte Machtdemonstration. Satire war einmal der Versuch, Macht zu hinterfragen. Heute scheint sie selbst zur Macht geworden zu sein, komplett mit Reichweiten-Kontrolle und Dauerkarte für das Richtige.
Und als wäre das alles nicht schon grotesk genug, geschieht das Ganze mit dem wohlfeilen Argument, man wolle "aufklären", "demaskieren", "demokratiefeindliche Kräfte bekämpfen". Klingt super. Ist aber in der Praxis leider oft nicht viel mehr als ein gesellschaftliches Standgericht inklusive Haltung zum Mitnehmen. Denn, und hier wird’s tragikomisch: All das ist nichts anderes als Wasser auf die Mühlen der AfD. Denn es vermittelt den Eindruck, dass in diesem Land nicht mehr gestritten wird, um zu verstehen, sondern aussortiert, um zu bestätigen. Dass nicht mehr gefragt wird, was jemand sagt, sondern wer es sagt.
Und genau dieses Klima nährt das Gefühl vieler, ohnehin keine Chance mehr zu haben, wenn sie nicht zur "richtigen" Blase gehören. Es stärkt jene, die sich seit Jahren erfolgreich als ausgegrenzte Wahrheitsverkünder inszenieren und es schwächt jene, die eigentlich für die offene Gesellschaft kämpfen. Denn wer das Moralische zum Maß aller Dinge erklärt, vergisst oft, wie schmal der Grat zwischen Haltung und Hochmut sein kann.
Satire wird zur Selbstermächtigung
Was da betrieben wird, ist kein Beitrag zur Debatte. Es ist ihre Zerstörung. Mit Stilmitteln, die genau das erzeugen, was sie vorgeben zu bekämpfen: Hass. Ausgrenzung. Verachtung. Wäre es eine medizinische Maßnahme, man müsste sagen: Der Patient wurde behandelt, aber statt mit einem Skalpell eher mit dem Pizzaschneider aus der WG-Küche.
Die Diagnose? Nebensache. Hauptsache, es sieht nach Eingriff aus. Früher hat man Leute mit Argumenten überzeugt. Heute reicht es, ihnen eine Textstelle rauszukramen, sie in einen Tweet zu kleben und dann zu rufen: "Na? Schon gecancelt?"
Das ist kein Streitgespräch mehr, das ist ein Rollenspiel mit klarer Verteilung: Der Gute, der Böse und das Publikum mit Popcorn. Satire wird zur Selbstermächtigung und die Community jubelt: "Endlich sagt’s mal einer!" Und das meinen sie dann nicht inhaltlich, sondern eher wie beim Pflichtapplaus für die Blaskapelle des Dorfes: Man macht halt mit, obwohl's eigentlich längst schief klingt.
Ich stelle mir oft vor, wie mein Vater das alles sähe. Er, der Rudi Dutschke verehrte. Der den "Schwerter zu Pflugscharen"-Sticker trug, als das noch Mut kostete und nicht bloß ein Profilbild. Er hätte vermutlich den Kopf geschüttelt, gelacht und gesagt: "Kind, das ist doch wieder nur Macht im neuen Mantel."
Lebt Demokratie nicht vom Widerspruch?
Es ist schon absurd: Wer heute Kritik an einem selbstgerechten Sendungskonzept äußert, in dem private Menschen öffentlich zersägt werden, gilt sofort als latent rechts. Du findest Böhmermann übergriffig? Willkommen in der Shitstorm-Hölle, mein Freund!
Ich dachte immer, Demokratie lebt vom Widerspruch. Aber mittlerweile scheint sie eher nach dem IKEA-Prinzip zu funktionieren: Wenn du das Regal falsch zusammenbaust, ist es deine Schuld - nicht die des Systems.
Ich bin müde. Müde vom Lärm. Müde von dieser Mischung aus Empörung, Moralin und vermeintlicher Haltung, die sich anfühlt wie zu heiß gewaschene Überzeugungen. Und ich frage mich: Wenn ein Youtuber, den vorher kaum einer kannte, nur durch Böhmermanns Show plötzlich zum Märtyrer der Meinungsfreiheit wird: "Wer hat dann eigentlich gewonnen?"
Nicht die Demokratie. Nicht der Diskurs. Aber ganz sicher: die AfD.
Die muss mittlerweile gar nichts mehr machen. Keine Kampagnen, keine Plakate, nicht mal mehr besonders wütend gucken. Die lehnt sich einfach zurück, macht sich ne Pulle Schampus auf - und zeigt mit dem Finger auf das große Spektakel: "Guckt mal, die da! Die erledigen das schon für uns."
Und das Schlimmste daran? Man kann ihnen in dem Moment nicht mal widersprechen.
Quelle: ntv.de