Unterhaltung

Sensibel, knorrig, rot, gut Otto Sander, im Himmel über Berlin

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Otto Sander (30. Juni 1941 - 12. September 2013)

(Foto: dpa)

Nie wieder wird er seinen nur für ihn reservierten Platz in der "Paris Bar" in Berlin einnehmen - denn Otto Sander, für den in der Kantstraße 152 stets ein Platz an der Bar war, ist mit nur 72 Jahren gestorben. Die Theater- und TV-Welt hat einen ganz Großen verloren.

Seine Stimme - so unvergleichlich. Knarrend, ein wenig nölend, ein bisschen berlinerisch, obwohl aus Hannover stammend, unverkennbar. Das ist das Erste, was einem einfällt zu Otto Sander. Vielleicht liegt es daran, dass wir ihn in letzter Zeit nicht mehr gesehen haben, denn die Krankheiten hatten ihn wortwörtlich aus dem Verkehr gezogen. 2006 war beim Stiefvater von Ben und Meret Becker Speiseröhrenkrebs diagnostiziert worden, doch nachdem er die Krankheit im Griff zu haben schien, zog er sich 2012 einen Oberschenkelhalsbruch bei einem Sturz zu. Im Januar dieses Jahres dann noch eine OP am Kiefer, die Pechsträhne wollte nicht abreißen. Bis zuletzt hofften Fans und Freunde jedoch, dass er bald vollständig genesen würde. Leider wurden sie nicht erhört - Otto Sander ist in Berlin gestorben, wie die Künstleragentur Meistersinger im Namen seiner Familie mitteilte.

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Mit Sylvia Broermann in Robert Wilsons "Death, Destruction and Detroit" bei der Uraufführung 1979 in der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin-Kreuzberg.

(Foto: dpa)

Bekannt wurde Otto Sander als Schauspieler, nicht als Sprecher. In "Die Marquise von O." und "Die Blechtrommel" wirkte er mit, 1981 wurde er durch "Das Boot" einem größeren Publikum bekannt, und unvergesslich wird er seinen Fans in Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" bleiben, wo er den Engel Cassiel spielte.

Seine Karriere begann jedoch am Theater. In Düsseldorf debütierte er und aus Heidelberg wurde er von Claus Peymann berufen, an die Freie Volksbühne Berlin zu kommen. In Berlin blieb er, bei Peter Stein in der Schaubühne am Halleschen Ufer, und dann wurde Berlin zu seiner Spielwiese - kein Theater, das ohne ihn auszukommen schien. Aber auch bei den Salzburger Festspielen wird man sich an ihn erinnern, dort verkörperte er in den Jahren 2000 und 2001 den Tod in Hugo von Hoffmanthals "Jedermann".

Der Philosoph an der Bar

Der Krebs verlangte eine Pause, aber sobald sich der Theater- und TV-Mann wieder einigermaßen fit fühlte, ging er zurück auf die Bretter, die ihm die Welt bedeuteten. In "Das letzte Band" war er zu sehen und auch in "Der Ignorant und der Wahnsinnige".

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Skandalfreies Paar: Sander mit seiner Frau Monika Hansen.

(Foto: REUTERS)

Sander schaffte die Balance, sein Schauspiel im Fernsehen ("Soko", "Polizeiruf 110"), auf der Leinwand und auf der Theaterbühne so zu präsentieren, dass man ihm jede Rolle abnahm. Vielleicht half ihm dabei, dass er sich selbst nicht so wichtig nahm, denn ursprünglich wollte er Regisseur werden und studierte Theaterwissenschaft, Germanistik, Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie in München. Das hat er für seinen Vater getan, denn der war der Meinung, dass er, sollte die Schauspielkarriere scheitern, immer noch Deutschlehrer werden könnte. Der Eindruck des Intellektuellen, Grüblers und dennoch Bonvivants mag sich bereits in diesen Zeiten begründet haben. Ein Glas Rotwein, eine Zigarette und stets ein kluger Spruch auf den Lippen, so wird man sich an ihn erinnern. Seine Stimme bleibt uns erhalten, nur Dustin Hoffman und Ian McKellen werden es schwer haben, einen Ersatz zu finden, den beiden lieh er seine warme, kräftige Stimme, die ihm den Zusatz "The Voice" einbrachte. Für Dokus wurde er gern und oft angefragt, und auch, als Arthur Cohn einen Sprecher für seine Produktion "Ein Tag im September" suchte, dachte er an Otto Sander.

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Haben viel gemeinsam gemacht, auch geheult anscheinend: Sander mit Stiefsohn Ben Becker.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Verheiratet war der vielfach ausgezeichnete Sander mit der Schauspielerin Monika Hansen. Die beiden bildeten ein in der Berliner Szene gern und oft gesehenes Duo. Oft dachte man, Mensch, die "Kinder" Ben und Meret, die sehen dem Otto aber ähnlich, vor allem der Ben mit seinem rötlichen Haar, das dem Otto früher so viele Schwierigkeiten und Einsamkeit eingebracht hatte, aber mitnichten, er war "nur" der Stiefvater. Das tat dem guten Verhältnis der Familie jedoch keinen Abbruch. Und zusammen vor der Kamera standen sie auch schon, in Joseph Vilsmairs "Comedian Harmonists" zum Beispiel. Er war gerne der Vater von Meret und Ben, hat ihnen zur Seite gestanden und die Parallelen zwischen ihm und Ben auch immer gepflegt: Beide gern im Rampenlicht, beide gern kantig, manchmal schwierig, häufig am Tresen, gut am Glas, zwei rastlose Typen.

Lernen von Otto

Otto Sander wird nun also wirklich fehlen, und das ist kein Spruch, den man so macht, wenn einer stirbt. Dinos wie ihn gibt es nicht mehr viele, und mit 72 zu sterben ist einfach kein Alter. Seine feine Art, den Berliner zu geben, stirbt mit ihm aus, übrig bleiben die, die laut sind und "Icke, dette, kieke mal" sagen können. Die Berlinerisch mit prollig verwechseln, und die nicht wissen, dass zum Berliner-Sein eine gewisse Lässigkeit, Non-Chalance, Verletzlichkeit und Witz gehören. Und so ein leicht schiefer Blick wie aus Sanders müden, aber immer noch sehr hellblauen Dackelaugen. Die alten Berliner in den typischen Kiezen wie Charlottenburg, in ihren großen Altbauwohnungen ohne Gardinen vor den Fenstern (so lebte Sander), wissen das, viele andere, die sich um so lächerliche Dinge wie "Schrippe", "Wecke" oder "Brötchen" streiten und in bereits schon wieder renovierten Neubau-Hinterhöfen am Prenzlauer-Berg leben, haben noch eine Menge zu lernen.

Und der Himmel über Berlin weint.

Quelle: ntv.de

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