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Nacht der Wahrheiten Familie entkommt kolonialem Erbe nicht

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(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Regelmäßig schwelgt Familie Aronius in kolonialen Erinnerungen und feiert ein merkwürdiges Fest. Doch dann verläuft ein Abend anders als geplant. Statt eines opulenten Menüs kommen schmerzhafte Wahrheiten auf den Tisch.

Alle fünf Jahre treffen sich die Aronius' in den ersten Augusttagen in einem Hotel an der niederländischen Nordseeküste, um zu tanzen, zu essen, zu trinken und sich gemeinsam zu erinnern. Doch was nach einer netten Tradition klingt, hat einen befremdlichen Anlass: Die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Niederländisch-Indien, heute Indonesien, lebende Familie feiert den Abwurf der Bomben über Hiroshima und Nagasaki, der für sie die Befreiung aus den Lagern der Japaner bedeutete.

Von dem letzten dieser Treffen erzählt der niederländische Autor Eric Schneider in seinem Roman "Zurück nach Java". Er inszeniert einen bizarren Abgesang auf die ehemals rauschenden Feste mit ihrem auf Hochglanz polierten Andenken an die glorreiche koloniale Vorkriegszeit.

Der Roman ist bei Suhrkamp/Insel erschienen, hat 111 Seiten und kostet 16,95 Euro.

Der Roman ist bei Suhrkamp/Insel erschienen, hat 111 Seiten und kostet 16,95 Euro.

Erstmals findet die Feier ohne das kürzlich verstorbene Oberhaupt der Familie statt, einem strengen und seit der Lagerhaft schwerbehinderten Pastor. Übrig geblieben ist mit Sohn Ferdy, Mutter Alice und deren Ex-Geliebtem Mees Stork ein eigenwilliges Trüppchen, das sich in die Festtagsroben wirft, obwohl um sie herum Endzeitstimmung herrscht.

Draußen zerlegt ein Orkan die Umgebung, das Hotel ist eine einzige Baustelle. Es gehörte Mees Stork, der es verkauft hat. Nun sind die Kronleuchter abgehängt, die Teppiche zusammengerollt, nur eine für drei Personen gedeckte Tafel steht noch. Aber schon beim Menü muss wegen Lieferproblemen improvisiert werden. Nur die Weingläser sind immer gut gefüllt und mit steigender Promillezahl kommt der Moment, an dem schmerzhafte Wahrheiten ausgesprochen werden - mit fatalen Folgen.

Den Verlauf dieser Nacht verfolgt der Leser aus der Perspektive von Ferdy, dem die Absurdität der Geschehnisse als Einzigem der drei bewusst zu sein scheint. Er ist extra aus Angola angereist, wo er als niederländischer Botschafter arbeitet. Seinen Eltern konnte er es - ohne Frau und Kinder, weil schwul - nie recht machen. Für sie blieb der Erstgeborene Dieudonné immer der Lieblingssohn. Der aber ist vor 45 Jahren in Indonesien ums Leben gekommen. Wie, das weiß nur Ferdy.

Vier Personen, ein Ort, kein Entrinnen

Auch Alice hütet ein Geheimnis aus ihrer Zeit in Batavia. Damals eine Schönheit flüchtete sich die Frau des Kirchenmannes, der alle irdischen Vergnügungen für Laster hielt, in die Arme des Womanizers Mees Stork. Der macht ihr nun wiederholt Heiratsanträge. Alice aber lehnt sie alle vehement ab und kriegt sich mit ihm wegen Kleinigkeiten in die Haare.

Mees Stork seinerseits schwelgt in Erinnerungen an die guten alten Zeiten. Mittlerweile gebrechlich und inkontinent, bleibt er seinem Ruf treu: Er ist noch immer um keinen schlüpfrigen Witz verlegen, spielt sich weiterhin als Kolonialherr auf und kommandiert Buli Kamidjojo, den neuen indonesischen Hotelinhaber, in unerträglichem Ton herum.

Vier Personen, ein Ort, kein Entrinnen: Schneider, 1934 im heutigen Jakarta geboren, legt seinen Roman als Kammerspiel an und beweist in dem fast klaustrophobisch wirkenden Setting ein außergewöhnliches Gespür für die grotesken Momente. Gerade in den Dialogen wird deutlich, dass er als Schauspieler jahrzehntelang auf der Bühne gestanden und das weite Spektrum von fiesen bis zarten Zwischenmenschlichkeiten studiert hat.

Seine Figuren sind routiniert darin, sich gegenseitig verbale Verletzungen zuzufügen, sie kennen die Wunden der anderen ganz genau und bewegen sich an diesem Abend den einen Schritt weiter, den sie bisher nie zu gehen gewagt haben. Gleichzeitig flammt aber auch immer wieder eine tiefe Verbundenheit auf.

Man verschlingt den 111 Seiten schmalen Band geradezu, immer zwischen Belustigung und Erschrecken schwankend. "Zurück nach Java" ist ein faszinierender Debütroman über eine Familie, die den Schönheiten und Grausamkeiten ihrer kolonialen Vergangenheit nicht entkommt.

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Quelle: ntv.de

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