Jude Law kämpft gegen Nebenwirkungen Der schöne Schein wird pulverisiert
24.04.2013, 10:44 UhrAntidepressiva gehören in den USA zum guten Ton. Sie helfen, den schönen Schein zu wahren. Doch was, wenn diese Wunderpillen die heile Welt auf brutale Weise zerstören? Das zeigt Steven Soderbergh in "Side Effects" auf wunderbar doppelbödige Art. Schade eigentlich, dass es sein letzter Film sein soll.
Es soll sein letzter Kinofilm sein. Das hat Regisseur Steven Soderbergh zumindest angekündigt. Er wolle sich nun verstärkt der Malerei widmen, hieß es. Doch wie es bei Menschen, die einer Leidenschaft folgen, eben so ist - man sollte die Ankünd igung nicht auf die Goldwaage legen. Er selbst relativierte seine früheren Aussagen bereits.
Aber wie dem auch sei: "Side Effects" wäre ein würdiger Abgang für Soderbergh. Ein letzter Streich, der dem Genrefilmer gerecht wird. Ein Film, der eines mit seinen Vorgängern gemeinsam hat: Am Ende wird immer noch ein Dreh aus dem Ärmel geschüttelt, eine Überraschung, die den Zuschauer aus der Fassung bringt und nur noch mehr in den Kinosessel drückt.
"Side Effects" braucht allerdings eine Weile, bis der Aha-Effekt so richtig zuschlägt. Bis dahin folgt der Zuschauer Emily Taylor (Rooney Mara, "The Girl with the Dragon Tattoo"), deren Leben nach der Haftentlassung ihres Mannes Martin (Channing Tatum, "Magic Mike") aus den Fugen gerät. Er saß vier Jahre wegen Insiderhandels im Knast, was das luxuriöse Leben des jungen Paares auf einen Schlag beendete. Nach Martins Rückkehr versinkt Emily in Depressionen. Nachdem sie ihr Auto gegen eine Wand gefahren hat, nimmt sich Psychiater Jonathan Banks (Jude Law, "Sherlock Holmes") ihrer an. Psychopharmaka sollen Emilys Zustand verbessern. Oder, wie es der Doktor ausdrückt: Die Pillen sollen es einem leichter machen, der zu sein, der man ist.
Von der Patientin zum Versuchskaninchen
Blöd nur, wenn sie nicht wirken. So wird Emily zum Versuchskaninchen eines neu entwickelten Medikaments, an dessen (lukrativen) Tests sich Dr. Banks beteiligt. Es ist eine Studie mit Nebenwirkungen. Und die haben so katastrophale Folgen, dass sie das Leben aller Beteiligten zu zerstören drohen. Dr. Banks, dessen Karriere vor seinen Augen den Bach runtergeht, will sich allerdings nicht damit abfinden. Er bohrt nach und stößt dabei auf seine Kollegin Victoria Siebert (Catherine Zeta-Jones, "Chicago"), die Emily aus einer früheren Behandlung kennt.
Mehr sollte man gar nicht verraten, denn der von Scott Z. Burns geschriebene Film unterwandert konsequent die Erwartungen des Zuschauers. Burns und Soderbergh sind ohnehin ein eingespieltes Team, schon bei "Der Informant!" und "Contagion" haben sie zusammengearbeitet, jeweils mit Matt Damon in der Hauptrolle. Auch in "Side Effects" setzt Soderbergh auf altbewährte Kräfte. Mit Jude Law arbeitete er bereits in "Contagion" zusammen, mit Channing Tatum in "Haywire" und "Magic Mike", mit Zeta-Jones schließlich in "Traffic" und "Ocean's Eleven". Diese Filme decken Soderberghs Karriere schon ganz gut ab. Es fehlen natürlich noch "Sex, Lügen und Video", "Out of Sight", "Erin Brockovich" und der Zweiteiler "Che".
Die meisten dieser Filme setzen sich mit US-amerikanischen Schattenreichen auseinander, in denen Drogen, Gewalt und Geld die großen Triebfedern sind. Was nicht heißt, dass diese Schattenreiche illegal sein müssten. Es wird eben nur nicht darüber gesprochen, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben. Das gilt für das Glücksspiel in der "Ocean's"-Trilogie, für die Gewalt im Agententhriller "Haywire" und eben auch für die Psychopharmaka in "Side Effects", die in den USA zum Alltag vieler Menschen gehören.
Doch die gesellschaftliche Macht der Pharmabranche, gerade in den optimierungssüchtigen USA, streift Soderbergh nur am Rande. Zwar gibt es den einen oder anderen Seitenhieb auf deren Wunderversprechen und auch einen Einblick in die Strategien und Mechanismen der Pharmalobby, mitsamt der Beteiligung von Ärzten an lukrativen Studien. Doch man sollte keinen Enthüllungsfilm über dieses komplexe Thema erwarten - was durchaus schade ist.
Atmosphärisch dichte Erzählung
Soderbergh, der sich zuletzt ohnehin dem Genrefilm zugewandt hat, geht es vielmehr um die Abgründe, in die er seine Protagonisten fallen lässt und die eben jene Wunderversprechen der Antidepressiva ad absurdum führen. Nach und nach zerfällt die blankegeputzte Fassade, werden die Sinne verschleiert und wird die Realität infrage gestellt. Das ist ein gelungener Psychothriller aus der Welt der Pharmakonzerne, dem man allerdings vorwerfen kann, der Welt, die er darstellen will, nicht gerecht zu werden. Denn diese ist weitaus komplexer, als es hier gezeigt wird.
Allerdings besticht "Side Effects", der bei der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb lief, durch seine atmosphärisch dichte Erzählung, die durch das Spiel mit Licht und Schatten unterstrichen wird. Kaltes Licht und verdunkelte Räume spiegeln das Seelenleben der Figuren. Auffallend ist zudem die Einbeziehung der räumlichen Ebenen. Da blickt die Kamera sehnsuchtsvoll nach oben, vorbei an den künstlich-gläsernen Fassaden der Wolkenkratzer, in den Himmel, der so viel Freiheit und Klarheit verspricht. Da blickt Emily aus ihrem vergitterten Krankenzimmer im ersten Stock und wünscht sich nichts sehnlicher, als zurückkehren zu können auf die sicher scheinende Erde weiter unten.
Überhaupt glänzt Rooney Mara als zerbrechlich wirkende Patientin, die doch viel mehr umtreibt, als es den Anschein hat. Mit wenig Mimik stellt sie die emotionale Palette von Emily äußerst gekonnt dar - zwischen Depression und Hinterhältigkeit. Daneben steht die gelungene Leistung von Jude Law als aufstrebenden Psychiater, dessen Sicherheit mit der Zeit in sich zusammenfällt. Bei seinem ersten Erscheinen trinkt Dr. Banks, der ansonsten seinen Patienten Antidepressiva verschreibt, übrigens Red Bull - ein übermüdeter Arzt, der sich selbst optimiert. Es sind diese kleinen Seitenhiebe von Soderbergh, die man künftig vermissen wird. Vermutlich. Denn wer so leidenschaftlich Filme dreht, kehrt irgendwann doch zurück.
"Side Effects" startet am 25. April 2013 in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de