Sind Aliens die besseren Menschen? "Seelen" beerbt die Twilight-Saga
14.06.2013, 09:45 Uhr
In Melanies Körper wohnen zwei Seelen - und schlagen zwei Herzen.
Im neuen Stephenie-Meyer-Film erleben wir Alieninvasion einmal anders: Nachdem die Menschen die Erde Jahrtausende lang geschunden haben, kommen kleine puschelige Wesen und machen alles wieder heil. Dass sie dafür die Menschheit ausrotten, kümmert sie nicht die Bohne. Am Ende fragt man sich: Sind die Seelen ein Segen oder skrupellose Invasoren?
Planet Erde, irgendwann in der Zukunft: Unsere Welt ist in einem paradiesischen Zustand, befreit von Krieg und Krankheit. Und befreit von den Menschen – fast. Außerirdische Wesen haben die Kontrolle über die Erde übernommen. Die sogenannten "Seelen" nisten sich im Körper der Menschen ein und löschen deren Bewusstsein. Dank der Sucherin (Diane Kruger) ist die Menschheit nahezu vollständig assimiliert. Doch es gibt Überlebende, die Widerstand leisten. Zu denen gehört auch Melanie (Saroirse Ronan), eine junge Frau, die mit ihrem kleinen Bruder Jamie (Chandler Canterbury) und ihrem Liebsten Jared (Max Irons) in der Wüste lebt.
Eines Tages wird Melanie von den Aliens gefasst. Sie pflanzen ihr die Seele Wanda ein, die nun Zugriff auf Melanies Erinnerungen hat. Mit Hilfe von Wanda will die Sucherin die letzten freien Menschen aufspüren. Doch Melanies Bewusstsein kämpft gegen die fremde Seele an. Sie kann Wanda überzeugen, in die Wüste zu fliehen. Dort trifft sie auf Melanies Onkel Jeb (William Hurt), der sie zu der Gruppe der Widerständler bringt. Doch die Menschen, die einst Melanies Familie waren, stehen nun der Seele Wanda gegenüber - ihrem Erzfeind.
Ein Blick auf das Filmplakat verrät es bereits: "Seelen" trägt das Twilight-Gen in sich. Kein Wunder, schließlich stammt die Romanvorlage aus ein und derselben Feder - der von Stephenie Meyer. Und wie in der Twilight-Saga gehen auch in "Seelen" menschliche und nichtmenschliche Wesen Beziehungen ein. In diesem Fall ist das Liebesdreieck besonders verzwickt, denn im Grunde ist es ein Liebesviereck. Melanie liebt Jared. Wanda entwickelt Gefühle für Ian (Jake Abel). Dumm nur, dass sich die zwei verliebten Mädels einen Körper teilen müssen. Das führt zu so manchem internen Schlagabtausch zwischen Wanda und Melanie, die auch mal handgreiflich wird.
Vulkanhöhlen versus Chrompalast
Mit seiner Romanverfilmung will Regisseur Andrew Niccol jedoch über das altbekannte und bewährte Rezept der Dreiecksliebesgeschichte hinausgehen. Die große moralische Keule schwingt der Film bereits in den ersten fünf Minuten: Ist es verwerflich, dass die Seelen Menschen auslöschen, um eine bessere Gesellschaft zu etablieren und Frieden zu schaffen?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Ein Blick auf Niccols Inszenierung klärt uns auf. Seinem Stil treu bleibend, konzentriert sich Niccol auf das Visuelle. Die Gemeinschaft der Menschen lebt in den Höhlen eines Vulkans. So schmutzig und dunkel ihre Lebenswelt ist, so unzivilisiert und rau ist ihr Umgang untereinander. Demgegenüber steht die glänzende Sphäre der Seelen. Beherrschten in "Gattaca" noch Blau- und Grautöne Niccols Vision der Zukunft, ist es in "Seelen" die omnipräsente Chromoptik, die von Autos und Helikoptern über die Leinwand blitzt. Das blanke Chrom steht als Metapher für die Reinheit und Perfektion der Seelen.
Der Spiegeleffekt des Chroms wird aber auch zur Metapher für den gesamten Film. Die Charaktere sind Oberflächen, sie lassen keinen Blick in ihr Innerstes zu. Melanies starker Überlebenswille wird zwar mit ihrer Liebe zu Jared erklärt. Wirklich warm ums Herz wird einem aber nicht, wenn man die beiden zusammen sieht. Wenn der Untergang der Menschheit vor der Tür steht, ist eben kein Platz für überflüssige Gefühlsduseleien. Stattdessen heißt es: Weitermachen. So begrüßt Jared seine einst heiß geliebte Melanie (die nun von Wanda besetzt ist) bei ihrer Rückkehr mit einer saftigen Ohrfeige. Das verblüfft nicht nur Melanie beziehungsweise Wanda. "Seelen" versucht eben mit aller Kraft, keine Teenagerromanze zu sein.
Mehr Ausdruck bitte
Während Saroirse Ronan (überzeugend in "Abbitte") insbesondere als Wanda eine solide Darstellung liefert, bleibt Max Irons (Sohn von Oscar-Preisträger Jeremy Irons) blass. Da hätte man sich einen Alex Russell gewünscht. Und tatsächlich: Der talentierte Jungdarsteller aus "Chronicle" taucht sogar auf - und zeigt, was Leinwandpräsenz bedeutet. Leider nur in einer Nebenrolle.
Die Einzige, die nicht nur über ihre Emotionen spricht, sondern sie auch zeigt, ist Wanda. Eine im wahrsten Sinne gute Seele. Die sanfte Wanda ist das genaue Gegenteil von der taffen Melanie, die sogar bereit wäre, einen Mord zu begehen. Der Alien ist der bessere Mensch. Welche Ironie. Die prima Idee, das außerirdische Wesen zur Sympathieträgerin zu machen, wird zum Problem: Welche Daseinsberechtigung hat die Menschheit, wenn der Außerirdische der bessere Mensch ist?
Der Konflikt zwischen den Spezies zeigt sich besonders in den Dialogen zwischen Wanda und Melanie. Leider lässt Melanie dabei immer wieder den pubertierenden Teenie raushängen, was für den einen oder anderen unfreiwilligen Lacher sorgt. Niccols Drehbuch für "Seelen" ist anzumerken, dass er sich filmisch verjüngen will. Ein Versuch, der dem Regisseur bereits mit "In Time" gelungen ist. Aber auch ein Versuch, der mit der Behauptung, "Seelen" wolle gerade kein Film für ein rein jugendliches Publikum sein, kollidiert.
Eine seltsame Welt
Schließlich bleibt das ungute Gefühl, dass das Drehbuch mehr Mut zur Lücke hat, als ihm guttut. Man muss nicht erklären, warum sich zwei Menschen ineinander verlieben. Aber um zu verstehen, warum Ian Wanda in einem Moment erwürgen will, um sie im übernächsten - in Liebe zu ihr entbrannt - zu verteidigen, bedarf es schon mehr als der Erklärung "Das ist schon eine seltsame Welt".
"Seelen" stellt Fragen nach moralischem Handeln und Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens. Der Film hält auch interessante Antworten parat. Die Kritik an der Menschheit und ihrem Umgang mit der Erde, die Stephenie Meyers Buch als Einsicht präsentiert, reduziert der Film jedoch auf bloße Behauptungen.
Seinen Anspruch, mehr als nur ein Teenie- oder Popcorn-Film zu sein, kann "Seelen" am Ende nicht einlösen. Dazu fehlt ihm genau das, was er am dringendsten benötigt hätte: eine Seele.
"Seelen" läuft seit dem 13. Juni 2013 in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de