Die Spur des Klimabombers Dahl meldet sich mit Thriller-Paukenschlag zurück


Ein schlecht gelaunter "Stahlmann" endet bei Dahl auf einem Feld.
(Foto: picture alliance / TT NYHETSBYRÅN)
Ein Bombenanschlag zerreißt den BMW eines Stahlmanagers mitten im Überholvorgang. Danach wird ein unmoralischer Werbemanager in die Luft gejagt. Weitere Explosionen folgen und verbreiten Chaos, Angst und Unsicherheit. Eine neue Polizeieinheit soll den "Klimabomber" stoppen. Dahl at it's best!
"Wie ein Gruß aus einer anderen Zeit", sinniert Kriminalhauptkommissarin Eva Nyman mit Blick auf den Brief in ihren Händen. Die Frau um die 50 überfliegt den Text, maschinengeschrieben: "Es wird Zeit, dass sich der heilige Zorn über das verdorbene Land ergießt, auf dem einst Menschen lebten … Die sanfteste der Explosionen hat den Stahlmann schon über das gelbe Meer verteilt … Wir müssen die Schuldigen auf der anderen Seite der Ruinen des Verfalls ausfindig machen …". Das reicht. Die Polizistin schmeißt den Brief in den Papierkorb. Aber etwas arbeitet in ihr. "Die Ruinen des Verfalls". Sie kennt den Ausdruck. "Der Stahlmann". Sie fischt den Brief wieder aus dem Papierkorb und sitzt wenig später im Büro ihres Chefs, denn der Brief beinhaltet Täterwissen auf zwei Bombenanschläge der vergangenen Tage - und deutet eine weitere verheerende Terrorattacke an.
Nyman und ihr kleines, vier Personen umfassendes Team sollen nichts weniger, als den dritten Anschlag verhindern und den oder die mutmaßlichen Täter dingfest machen. Eine Spur hat Nyman bereits gefunden: "die Ruinen des Verfalls". Sie führen sie in ihre Vergangenheit. Nyman scheint enger mit dem Fall verwoben, als auf den ersten Blick ersichtlich.
Packendes Thriller-Klima
Mit einem Thriller-Paukenschlag meldet sich Arne Dahl zurück. Nachdem der wohl bekannteste schwedische Genre- und Bestsellerautor seine überaus erfolgreiche "Berger & Blom"-Reihe beendet hat, kehrt er nun mit Eva Nyman in die düstere Verbrechenswelt Schwedens zurück. Und das geschieht ohne viel Federlesen: Ein Stahlmanager rast mit schlechter Laune in seinem Verbrenner-BMW zur Arbeit, als sich auf der Straße vor ihm zwei Elektroautos überholen. Der Manager tritt aufs Gas, rauscht an beiden vorbei und streckt den Fahrern noch den in die Höhe gereckten Mittelfinger entgegen. Der Finger ist es auch, der im Gedächtnis bleibt, denn als sein Auto Feuer fängt und wie ein Flammenball von der Straße ins gelb leuchtende Rapsfeld schießt, sieht der Finger des Managers aus wie eine kleine Fackel.
Dem "Stahlmann" folgt ein Werbemanager, dessen Agentur eine Kampagne für die Öllobby gestaltet hat und die führenden Politiker des Landes mit lächelnden Gesichtern an Zapfsäulen zeigt. Von dem Mann bleibt nichts übrig, außer einem Loch im Rasen und einer Omega Speedmaster Moonwatch Titanium. Nach diesen beiden Bombenanschlägen erhält Nyman den mysteriös klingenden Brief, der zum einen auf weitere Explosionen hinweist und zum anderen ihren ehemaligen Vorgesetzten in den Mittelpunkt der Ermittlungen rückt: Lukas Frisell.
Frisell hat der Welt, wie wir sie kennen, den Rücken gekehrt. Smartphones? Internet? Social Media? Ohne ihn. Er lebt irgendwo in den schwedischen Wäldern, ist Jäger und Sammler und will mit Menschen in den "Ruinen des Verfalls" nichts mehr zu tun haben. Ist er der "Klimabomber"? An einigen Bombenresten findet sich zumindest etwas DNA von ihm. So oder so: Nyman muss Frisell finden, muss seiner habhaft werden und sei es nur, um dessen Unschuld zu beweisen. Denn tief im Inneren weiß sie, dass aus dem Naturliebhaber kein Menschenfeind geworden ist. Aber wenn Frisell es nicht war, wer war es dann? Und weshalb versucht derjenige die Ermittlungen in Richtung Frisell zu lenken?
Dahl und Lontzek: Besser geht's nicht!
Fragen über Fragen. Aber so kennt der Leser Arne Dahl. Einen einfachen, direkten Plot gibt es bei ihm nicht. Der Schwede spielt dagegen gern mit den Möglichkeiten. Er legt Spuren und als Leser wird man so zum Fährtenleser. Erst recht, wenn mit "Stummer Schrei" eine neue Reihe etabliert wird, ein neues Team, frische Charaktere. Das gelingt hervorragend! Nyman als Leiterin des "Nova"-Teams hält sich viel im Hintergrund, lässt die "normalen" Ermittler ins Rampenlicht - und die sind wiederum so normal, dass jeder sie in seinem Bekanntenkreis haben könnte: ein mürrischer Familienvater; eine gegen den Alkohol kämpfende Frau; eine verlassene junge Frau, die gerade Tinder für sich entdeckt; ein aus Afghanistan Geflüchteter, der einen ganz anderen Blick auf das Große und Ganze hat.
Sie alle haben ihren Anteil an der Lösung des ersten "Nova"-Falls. Sie alle haben ihre Eigenheiten. Sie alle sind allein nicht so stark wie das Team, die Summe aller Teile. Und da kommt auch Peter Lontzek ins Spiel. Seine Stimme war es, die bereits "Berger & Blom" zu einem Hörerlebnis gemacht hat. Und er ist auch derjenige, der die bei Piper und Hörbuch Hamburg erschienene neue Nyman-Reihe liest. Gekonnt locker, mit Tiefe im Timbre, wenn es darauf ankommt, und immer den richtigen Ton treffend. Das gehauchte "Boom, Motherfucker" des Terroristen klingt beängstigend, die Schilderungen über eine verbrechernahe Aussteigerkommune verstörend.
Die Sprache, der Plot, die Charaktere - all das macht Dahls "Stummen Schrei" zu einem Hörerlebnis, zu einem typischen Dahl. Und typisch Dahl ist auch, dass man als angefixter Hörer und Leser nun knapp ein Jahr auf den zweiten Band der "Nyman"-Reihe warten muss.
Quelle: ntv.de