Als die perfekte Frau verschwand Was passierte in der Blenheim Road?
26.07.2015, 10:23 UhrJess und Jason sind das perfekte Paar. Das jedenfalls findet Rachel, die die beiden täglich durch das Zugfenster beobachtet. Dann küsst Jess den falschen Mann. Und verschwindet kurz darauf spurlos. Rachel scheint etwas zu wissen - hat aber einen Blackout.
Jeden Tag pendelt Rachel mit dem Zug in die Londoner Innenstadt. Genauso regelmäßig macht sie sich in der Bahn eine Dose Gin Tonic auf. Und noch eine. Und noch eine. Jedenfalls am Freitag. Am Montag ist öffentliches Trinken in der Bahn nicht ganz so gesellschaftsfähig. Dann gießt sie sich heimlich Wein in einen Plastikbecher.

In London sind jeden Tag Millionen Pendler unterwegs. So auch Rachel, die Protagonistin in dem Thriller "Girl on the train".
(Foto: REUTERS)
Rachel, die Hauptfigur in dem Psychothriller "Girl on the train" von Paula Hawkins, ist in ihren Dreißigern und hat die Kontrolle über ihr Leben komplett verloren. Sie ist alkoholkrank, vor zwei Jahren trennte sich deswegen ihr Ehemann von ihr. Dann ist auch noch ihr Job weg. Damit ihre Vermieterin das nicht merkt, steigt sie allmorgendlich pünktlich in den Zug.
Und der stoppt auf jeder Fahrt an der gleichen Stelle vor einem roten Signal und gewährt Rachel einen Blick in die Häuser und Gärten der Blenheim Road. Besonders das Paar in Haus Nummer 15 hat es ihr angetan. Sie tauft die Fremden auf die Namen "Jess" und "Jason" und schneidert ihnen in Gedanken den makellosen Alltag auf den Leib, von dem sie selbst träumt.
Aber es ist nicht nur die Sehnsucht nach einem perfekten Leben, die Rachel die beiden beobachten lässt. Sie will sich ablenken, weil sie die Blenheim Road nur zu gut kennt. Bevor ihre täglichen Anschauungssubjekte in die Nummer 15 einzogen, wohnte Rachel selbst ein paar Häuser weiter. Ihr Ex-Mann Tom lebt dort noch immer - zusammen mit seiner neuen Frau Anna und dem neuen Kind.
Die Polizei sucht "Jess" und Rachel ihre Erinnerung
Eines Morgens sieht Rachel "Jess" im Garten stehen und einen Mann küssen, bei dem es sich definitiv nicht um "Jason" handelt. Wenige Tage später melden die Zeitungen, dass eine Frau namens Megan spurlos verschwunden ist und die Polizei nach ihr sucht. Neben dem Artikel entdeckt Rachel ein Bild von "Jess".
Der Schock ist groß. Und wird noch größer, als Rachel bewusst wird, dass sie an dem fraglichen Abend selbst in der Blenheim Road war. Details weiß sie nicht mehr. Sie hatte mal wieder zu viel getankt - totaler Blackout. Ihre Erinnerung setzt erst morgens wieder ein, als sie arg ramponiert in ihrem Bett aufwacht.
Was ist in der Nacht passiert? Und was hat ihre Beobachtung mit dem Verschwinden von Megan zu tun? Wie besessen beginnt Rachel, sich mit dem Fall zu beschäftigen und verstrickt sich immer tiefer in die Wahrheiten und Lügen der Blenheim Road.
In den USA und England war der Thriller, der gerne in einem Atemzug mit "Gone girl" von Gillian Flynn genannt wird, ein großer Erfolg. Auch in Deutschland erklimmt das Buch bereits die Bestsellerlisten. Genauso wie Flynns Horrortrip einer misslungenen Ehe, der von David Fincher 2014 verfilmt wurde, soll auch "Girl on the train" in die Kinos kommen. Die Filmrechte sind bereits verkauft, angeblich wird Emily Blunt in die Rolle der Rachel schlüpfen.
Drei Perspektiven, viele Wahrheiten
Und noch etwas hat Hawkins Thriller mit "Gone girl" gemeinsam: Die Autorin setzt mehrere Ich-Erzähler ein. Sie entwickelt ihre Story aus der Sicht der drei Frauenfiguren, die sie alle bis ins kleinste Detail ausfeilt. Die Aufteilung ist prädestiniert dazu, eingesprochen zu werden. Und so verleiht ein Schauspielerinnen-Trio den weiblichen Protagonistinnen in der Hörbuchversion einen jeweils ganz charakteristischen Ausdruck.
Britta Steffenhagen übernimmt den Mammutanteil, kratzig und ein wenig schnoddrig spricht sie Rachel, die sich nach Anerkennung sehnt, ihren Ex nicht vergessen kann und ihm nachts immer wieder Nachrichten auf die Mailbox lallt. Rike Schmid ist als geheimnisvolle Megan zu hören, die nicht die vorbildliche Ehefrau ist, die sie zu sein scheint. Und Anna, die sich von der eifersüchtigen Rachel verfolgt fühlt, bekommt von Christiane Marx einen sanften Touch verliehen.
Die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen, ist ein kluger Schachzug. So können sich die Frauen in ihren Aussagen ergänzen und widersprechen, Anspielungen machen und Details andeuten, die der Zuhörer zuerst nicht einzuordnen weiß. Nichts ist dabei sicher, jede Wahrheit kann sofort wieder ins Wanken geraten.
Mit diesem Ping-Pong-Spiel hält Hawkins den Erzählfaden ihrer aus bekannten Thriller-Bausteinen zusammengesetzten Geschichte permanent gespannt und baut sogar noch dann, als alles klar zu sein scheint, einen letzten Twist ein. Fesselnde Unterhaltung mit Suchtfaktor.
Quelle: ntv.de