Musik

"Alles" - von Herbert Grönemeyer Wie die Wörter in die Musik kommen

Herbert gibt "Alles" - eigentlich wie immer ...

Herbert gibt "Alles" - eigentlich wie immer ...

(Foto: Foto: Ali Kepenek)

Das ist das Überraschungsei für Erwachsene. Außer, dass es nicht dick macht. Sonst aber sehr dreidimensional: Was zum Lesen. Was zum Hören. Und was zum Fühlen. In "Alles" ist alles: 23 CDs plus Buch plus Kunstdruck. Weihnachten kann kommen.

Die DNA Deutschlands? Kann schon sein.

Die DNA Deutschlands? Kann schon sein.

(Foto: Foto: Ali Kepenek)

Sie haben sich auch schon immer gefragt: Wie kommen diese Wörter eigentlich in diese Melodie hinein? Oder war es umgekehrt? Dank Herbert werden wir nun aufgeklärt: Heimat spielt eine große Rolle. Und Idenfikation. Aber auch Liebe und Tod. Beziehungen. Zu sich selbst und zu anderen. Das erklärt im Heft zur Musik ganz wunderbar Michael Lentz, der auch weiß, dass der Herr Grönemeyer sich an Themen wie Kapitalismuskritik, Identitätsverlust und Naturzerstörung herantraut, aber auch an Lobbypolititk und Korruption. Und daraus sollen Hits werden? Sieht so aus.

Mich persönlich haben schon immer Zeilen wie diese in "Demo (Letzter Tag)" fasziniert: "Weiß man, wie oft ein Herz brechen kann? Wie viel Sinne hat der Wahn? Lohnen sich Gefühle? Wie viele Tränen passen in einen Kanal? Leben wir noch mal? Warum wacht man auf? Was heilt die Zeit? Ich bin dein 7. Sinn, dein doppelter Boden, dein zweites Gesicht. Du bist eine kluge Prognose, das Prinzip Hoffnung, ein Leuchtstreifen aus der Nacht. Irgendwann find' und lieb' ich dich ..."

Es sind die Fragen, die einen umtreiben, die man sich beantworten möchte. Daher: "Oft (aber es wird ertragbarer). Viele. Ja. Viele. Keine Ahnung, hoffentlich. Weil man ausgeschlafen hat. Die Wunden, naja. Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja!"

Er weiß, was Liebe ist

Man kann das mitsingen, so lala, im Konzert, im Auto, man kann sich aber auch schier abackern an Herberts Fragen. Warum wachen wir auf? Wie lange noch? Krieg' ich ein Eis? Das ist kindlich, aber das ist auch ganz tief drinnen das, was wir wirklich wissen wollen. Und das weiß Herbert. Warum? Weil der Herbert schon eine Menge mitgemacht hat, das ist das eine. Er weiß, wie Liebe sich anfühlt, er weiß, wie es ist, wenn die Liebe schal ist, wenn sie geht, wenn sie stirbt. Er weiß, wie es ist, gemocht zu werden, verehrt, aber auch ausgebuht und gehasst zu werden. Er weiß um das Glück, Kinder zu kriegen, zu haben, sie gehen zu lassen. Er weiß, dass Liebe paradox ist, deswegen wird er nicht zu kitschig. Also nur erträglich kitschig.

"Ihr seid klasse!" (Bochum 2015)

"Ihr seid klasse!" (Bochum 2015)

(Foto: imago/biky)

Dazu seine brüchige Stimme. Seine Ironie, mitten in einem Konzert zu fragen, ob er nicht w-u-n-d-e-r-s-c-h-ö-n singe, ob man denn jemanden kennen würde, der ebenso wunderschön singe wie er, krächz. Als Herbert Grönemeyer im Sommer 2015, genauer gesagt am 19. Juni, in Bochum auf die Bühne trat, um in seiner Heimatstadt ein grandioses Konzert zu geben, da spürte es jeder im Stadion: Hier steht ein Vollblut-Musiker, der dennoch aufgeregt ist. Der sich freut. Der alle mitsingen lässt, der sich daran ergötzt, dass alle mitsingen. An die 40 Stücke waren es an diesem Abend, und dass er alte Nummern wie "Flugzeuge im Bauch" auf andere Art spielt, das reißt nicht nur das Publikum mit, das macht ihn auch selbst glücklich.

"Klasse, ihr seid klasse" ruft er deswegen immer wieder. Das macht ihn so menschlich, den Millionär Grönemeyer, und auch, weil er tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, in Bochum aufwuchs; weil er sagt, was er denkt, weil es ihn einen Kehricht schert, was andere denken oder was "man" tun sollte, weil er eigentlich erst Schauspieler war und dann doch Musiker wurde, und auch wenn bei Wikipedia steht, dass er eine "auffällige Gesangsart habe mit marcatoartiger Gestik". Das klingt erstmal nicht so doll, heißt aber nichts anderes, als er dass er irgendwie einzigartig ist und sich eben nur so mittelmäßig bewegt. Das ging Joe Cocker auch so.

Immer am Komponieren? Nein, in "Das Boot" (1981) - der junge Herbert.

Immer am Komponieren? Nein, in "Das Boot" (1981) - der junge Herbert.

(Foto: imago stock&people)

35 Jahre singen wir nun schon mit Herbie, der sagt, "was Sache ist" (ein weiteres Kapitel im "Alles"-Begleit-Buch, verfasst von Rainer Schmidt), der Fragen stellt, der Dinge erklärt, der aufmerksam macht. Der uns bekräftigt. Ja, die Sache mit den Flüchtlingen ist schwer. Aber wir sollten offen bleiben. Nein, er könne auch nicht 35 Leute bei sich aufnehmen, obwohl er Platz habe und Geld, aber das ist kein Grund, ihn unglaubwürdig zu finden. Herbert Grönemeyer weiß immer, wie es uns geht, deswegen wird er auch "die DNA Deutschlands genannt" (bei Befindlichkeiten), oder "Nationalbarde" (bei Fußballgassenhauern).

Die Grönemeyer-Alles-Box

Die Grönemeyer-Alles-Box

Sein Haus- und Hoffotograf Anton Corbijn beschreibt ihn als einen seiner engsten Freunde, auch wenn es eine Zeit gab, in der das außerhalb jeder Reichweite schien. Erst sagte Corbijn nein, als man ihn fragte, ob er ein Musik-Video für Grönemeyer drehen wolle: "Was hatte ich mit einem - in meiner Szene - unbekannten Sänger zu tun, der 1987 deutsch sang?", dann willigte er jedoch ein, ein paar Fotos zu machen. Und seitdem sind sie in konstruktiver Freundschaft verbunden, machen sich gegenseitig stark, auch wenn der Star-Fotograf nicht zu sehr ins Schwärmen geraten möchte.

Aber einen Freund die Filmmusik für den eigenen Film schreiben zu lassen ("The American", "A Most Wanted Man") - das ist schon ein großer Liebesbeweis, könnte man sagen. Außerdem - über Herbert Grönemeyer zu sprechen, ist über Herbert Grönemeyer zu schwärmen. Und deswegen ziehen wir uns jetzt mit 23 CDs vor den Kamin zurück und begeben uns auf eine Zeitreise. 1980, wir kommen! 

Herbert ist dieses Jahr 60 geworden, und er schenkt uns 23 CDs. Naja, nicht ganz, bestellen müssen wir die schon, ganz billig ist es nicht, aber dafür kriegen wir auch ein paar Schätzchen mitgeliefert, von denen wir vielleicht sogar noch nie etwas gehört haben.  

Quelle: ntv.de

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