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Mordprozess gegen Andrei P. Die kleine Valeriia: Aus Rache im Schlamm erstickt?

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Das Schicksal der kleinen Valeriia sorgte für Entsetzen und Trauer in ganz Deutschland. Tausende nahmen Abschied von dem kleinen Mädchen aus Döbeln.

Das Schicksal der kleinen Valeriia sorgte für Entsetzen und Trauer in ganz Deutschland. Tausende nahmen Abschied von dem kleinen Mädchen aus Döbeln.

(Foto: picture alliance/dpa)

Tagelang wird im vergangenen Sommer nach der neunjährigen Valeriia aus Döbeln gesucht - am Ende bringt der Fund ihrer Leiche traurige Gewissheit. Nun muss sich der Ex-Freund ihrer Mutter wegen Mordes vor Gericht verantworten. Die Anklage geht davon aus, dass er das Mädchen aus Rache tötete.

Als Valeriias Mutter bemerkt, dass etwas nicht stimmt, ist ihre Tochter bereits tot. Es ist der Nachmittag des 3. Juni 2024 und die 33-Jährige wartet vergeblich darauf, dass ihre neunjährige Tochter aus der Schule kommt. Valeriia besucht die Grundschule in Döbeln. Gemeinsam mit ihrer Mutter, einer Diplom-Chemikerin, und der dreijährigen Schwester wohnt sie erst seit rund zwei Jahren in der sächsischen Kreisstadt bei Chemnitz - die kleine Familie war 2022 vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. An diesem Montag im Hochsommer zerbricht das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Erst eine Woche nach Valeriias spurlosem Verschwinden wird ihre Leiche gefunden. Schnell steht fest: Das Mädchen wurde Opfer eines Gewaltverbrechens.

Rund sieben Monate später beginnt der Strafprozess gegen den Mann, der Valeriia umgebracht haben soll. Ab heute muss sich Andrei P. vor dem Landgericht Chemnitz verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 37-jährigen moldawischen Staatsbürger Mord vor. Er habe das Mädchen nicht nur heimtückisch getötet, sondern auch aus Rache an ihrer Mutter. Denn: Bei P. handelt es sich um den Ex-Partner der 33-Jährigen, beide hatten sich erst vor kurzem getrennt. Die Anklage zeichnet das Bild einer aus Hass und Eifersucht geborenen sowie an Grausamkeit kaum zu überbietenden Tat.

So geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass P. Valeriia gegen 6.50 Uhr am Morgen auf ihrem Schulweg abfing und in seinem Auto mitnahm. Die Neunjährige dürfte vollkommen unbekümmert eingestiegen sein. Die Anklage sieht damit das Mordmerkmal der Heimtücke bestätigt, wie das Landgericht Chemnitz ntv.de mitteilt. P. habe die Arg- und Wehrlosigkeit des Mädchens ausgenutzt, weil "sie ihn gut kannte, ihm vertraute und daher nicht mit einem Angriff rechnete".

Die Trennung

Anschließend sei der Verdächtige mit dem Mädchen in ein Waldstück nahe Döbeln gefahren. Dort soll P. "den Kopf des Kindes gewaltsam in ein Schlammloch gedrückt" haben, bis Valeriia schließlich erstickte. Die Staatsanwaltschaft geht zudem von einem Mord aus niederen Beweggründen aus. So heißt es, P. "wollte sich an der Mutter rächen, weil diese die Beziehung mit ihm beendet hatte". Er sei verärgert und krankhaft eifersüchtig gewesen. Nach RTL-Informationen führten P. und Valeriias Mutter eine zweimonatige Beziehung. Demnach trennte sich die 33-Jährige drei Tage vor der Tat, am 31. Mai, von dem Verdächtigen und befand sich zum Zeitpunkt der Tat in einer neuen Beziehung.

P. droht damit eine 15-jährige Haftstrafe. Der Angeklagte hat sich, soweit öffentlich bekannt, bisher nicht zur Tat geäußert. Auch die Verteidigung des Angeklagten wollte sich auf Nachfrage von ntv.de nicht äußern. Im heute startenden Prozess könnte er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen - dann obliegt es den Ermittlungsergebnissen, die Chemnitzer Richter von P.s Schuld oder Unschuld zu überzeugen.

Auffällig ist allerdings, dass lediglich vier Verhandlungstage für den Mordprozess angesetzt wurden. So sind die bisher bekannten Indizien gegen P. keineswegs eindeutig oder wasserdicht. Zudem muss ein Fall aufgearbeitet werden, der mit einer langen und nervenzehrenden Suchaktion über Ländergrenzen hinweg startete - und in dem zeitweise auch die Grundschule des getöteten Mädchens sowie die Ermittler in der Kritik standen.

Das Versäumnis

Denn Valeriias Verschwinden hätte an jenem Montag im Hochsommer deutlich eher auffallen müssen. Mit ihrem rosa Schulranzen auf dem Rücken verließ die Neunjährige zwar am Morgen die Wohnung, in der Schule kam sie allerdings nie an. Wenn die Schule bemerkt, dass ein Kind unentschuldigt fehlt, muss sie sich laut Vorschrift umgehend bei den Eltern melden. Valeriias Mutter erhielt jedoch keinen Anruf. Dass ihre Tochter das Schulgebäude an diesem Tag nie betreten hatte, erfuhr sie erst, als die Polizei am Abend in der Schule nachfragte.

Das festgestellte Fehlen des Kindes sei nicht an das Sekretariat gemeldet worden, räumte eine Sprecherin des Landesamtes für Schule und Bildung (LaSuB) in Chemnitz auf Anfrage der dpa später ein. Die Behörde geht aber nicht von Absicht aus, vielmehr erklärt sie den hektischen Schulalltag zur Ursache. "Im konkreten Fall lagen Umstände vor, die, wenn überhaupt, auf eine geringe Schuld hindeuten."

In Vermisstenfällen, gerade bei Kindern, sind die ersten Stunden grundsätzlich die wichtigsten. In dieser Zeit, so zeigt die Erfahrung, ist die Chance am größten, Spuren zu entdecken und das Kind lebend wiederzufinden. Im Fall von Valeriia stellten die Ermittler später allerdings folgendes fest: Die Neunjährige war bereits gegen 7.15 Uhr am Tag ihres Verschwindens getötet worden - also nur kurz, nachdem sie zu Hause aufgebrochen war und noch bevor der Unterricht überhaupt begonnen hatte.

Zermürbende Suchaktion

All dies wussten die Beamten allerdings noch nicht, als sie am Nachmittag des 3. Juni vom Verschwinden der kleinen Valeriia erfuhren. Noch am selben Abend startete daher eine großangelegte Suchaktion: Hunderte Einsatzkräfte und freiwillige Helfer beteiligten sich, Hubschrauber, Drohnen, Taucher und Spezialhunde kamen zum Einsatz. Alles "solle auf links gedreht werden", bekräftigte ein Sprecher der Polizei damals im Gespräch mit ntv.

Felder, Wälder und Wiesen wurden durchstreift, die durch Döbeln laufende Mulde abgesucht und etliche Anwohner befragt. Schnell wurde die Suche sogar ins Ausland ausgeweitet. Die Ermittler nahmen Kontakt zu den ukrainischen Behörden auf und arbeiteten mit Strafverfolgungsbehörden in Polen und Tschechien zusammen. "Wir lassen nichts unversucht, um Hinweise zu bekommen", sagte ein Polizeisprecher drei Tage nach Valeriias Verschwinden. "Die Wahrheit ist aber auch: Es gibt keine Hinweise, wo sich das Kind aufhält."

Auch die kommenden Tage sollte sich daran nichts ändern. Die Suchaktion wurde von Tag zu Tag zermürbender, der Schwebezustand für die Familie immer unerträglicher. Immer blasser wurde die anfangs große Hoffnung, Valeriia noch lebend zu finden. Am 11. Juni, acht Tage nachdem die Neunjährige nicht heimgekehrt war, brachte ein Fund schließlich traurige Gewissheit: Einsatzkräfte entdeckten die Leiche eines Mädchens im Unterholz eines Waldes bei Döbeln. In einer Pressekonferenz bestätigten die Ermittler anschließend, dass es sich um Valeriias toten Körper handelte. Die Indizien ließen keine Zweifel an einem Gewaltverbrechen, Hinweise auf sexuellen Missbrauch an dem Mädchen gab es jedoch nicht.

Die entscheidenden Hinweise

Der Fund der Leiche war ein erster Ermittlungserfolg im Fall Valeriia. Danach wurde schnell öffentlich, dass die Aussage einer Zeugin den entscheidenden Hinweis lieferte. Die Frau hatte zum Tatzeitpunkt Schreie gehört, offenbar in jenem Wald, in dem Valeriia später gefunden wurde. Ihre Beobachtungen teilte sie der Polizei bereits kurz nach dem Start der Suchaktion mit. Warum aber vergingen anschließend noch mehrere Tage, bis der Körper des Mädchens gefunden wurde?

"Wir haben den Hinweis in den Ermittlungsbereich mitaufgenommen und konnten ihn aber nicht näher verifizieren", erklärte Mandy Kürschner, Leiterin der Kriminalpolizeiinspektion, auf einer Pressekonferenz. "Wir konnten das aufgrund der Aussage nicht eingrenzen. Wir brauchten einen wirklich validen Hinweis mehr." Parallel zur Suche im Wald befragten die Ermittler daher das soziale Umfeld von Valeriia, besonders interessiert war man an Hinweisen zu Orten, an denen sich das Mädchen und ihre Familie aufhielten. Der Plan ging auf: Ein Tipp führte die Beamten auf das Gebiet der sogenannten "Knollensteine" im Wald. Dort wurde Valeriias Leiche entdeckt. "Dort, wo die Zeugin den Schrei gehört hat, und dort, wo wir das Mädchen gefunden haben, dazwischen liegen zwei Kilometer Abstand", erklärte Kürschner dazu.

Ende Juni wurde Valeriia auf Wunsch ihres Vaters und ihrer Großmutter in der ostukrainischen Stadt Pawlohrad beigesetzt. Roman H. und Valeriias Mutter hatten sich kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine getrennt, wie die "Bild"-Zeitung berichtete. Der 32-Jährige blieb in der Ukraine, kämpfte an der Front gegen die russischen Aggressoren. "Sie war so lebenslustig in allem. Sie hatte nie schlechte Tage", sagte H. im ukrainischen Fernsehen bei der Beerdigung seiner Tochter. Er könne es nicht glauben, dass seine neun Jahre alte Tochter getötet wurde.

Der kleine Kreis an Verdächtigen

Doch wer hat den Tod des Mädchens zu verantworten? Nach dem Fund der Leiche, den nervenzehrenden Tagen der Suche, standen die Ermittler wieder bei null. Die Erfahrung zeigt, dass eine große Mehrheit der Täter von Gewaltdelikten aus dem Umfeld der Opfer stammt. So konzentrierten sich die Ermittler auch im Fall Valeriia auf genau diesen Kreis - und wurden fündig. Ein 50-jähriger alter Bekannter der Familie, der zuvor wegen Stalkings aufgefallen war, konnte Berichten zufolge schnell ausgeschlossen werden, da er ein Alibi besaß. Im kleinen Kreis der Verdächtigen blieb damit Andrei P.

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Der 37-Jährige, der laut den "Dresdner Neuesten Nachrichten" mit einem Arbeitsvisum als Elektromonteur in Europa arbeitete, rückte ins Visier der Ermittler, weil er seine Ex-Freundin kurz vor dem Verschwinden von Valeriia kontaktiert haben soll. Sein Handy soll zudem in einer Funkzelle in Döbeln eingeloggt gewesen und er von der Überwachungskamera eines Nachbarhauses gefilmt worden sein. Nach der Tat, so nehmen es die Ermittler an, floh er nach Tschechien. Dort wurde er am 14. Juni festgenommen, zuvor war mit einem europäischen Haftbefehl nach ihm gesucht worden. Rund einen Monat später wurde der Verdächtige an die deutschen Behörden überstellt. Seitdem sitzt P. in Untersuchungshaft in Leipzig.

Von der Anklagebank aus wird er seine Ex-Partnerin, Valeriias Mutter, beim heutigen Prozessstart das erste Mal wiedersehen. Die 33-Jährige ist als Zeugin geladen. Gemeinsam mit Roman G. nimmt sie als Nebenklägerin am Verfahren um ihre getötete Tochter Valeriia teil.

Quelle: ntv.de

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