Panorama

Traumatisierte Gruppe ohne LobbyGeflüchtete Frauen stehen oft allein da

21.03.2017, 18:59 Uhr
imageVon Christoph Rieke
83482242
Viele geflüchtete Frauen werden mit ihren Problemen allein gelassen. (Foto: picture alliance / dpa)

Bislang ist geflüchteten Frauen wenig Beachtung geschenkt worden. Nun gibt es erstmals eine Studie, die die Lebensumstände dieser Gruppe untersucht. Darin kommen die Wissenschaftler zu alarmierenden Ergebnissen.

Wenn hierzulande von Geflüchteten die Rede ist, denken viele an Männer, die sich allein auf den Weg nach Europa machen. Das ist nicht ganz unbegründet, denn von den Neuankömmlingen, die einen Asylantrag in Deutschland stellen, sind laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) fast zwei Drittel männlich. Während diese Gruppe bereits oft untersucht worden ist, spielte das übrige Drittel im öffentlichen Bewusstsein sowie in der Forschung kaum eine Rolle. Bis jetzt. Erstmals gibt es nun eine Studie, die sich mit der Gruppe geflüchteter Frauen sowie deren Schicksalen und Problemen auseinandersetzt.

68c6f84126c64bcec5a07d353b253b42
Die Bundes-Migrationsbeauftragte Aydan Özoguz (l.) und die Leitende Oberärztin der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité, Meryam Schouler-Ocak, präsentieren die Studie zu geflüchteten Frauen in Deutschland. (Foto: dpa)

"Die Datenlage war grottenschlecht", erinnert sich Aydan Özoğuz an den Beginn der Migrationswelle im Herbst 2015. Mit wenig Wissen über geflüchtete Frauen habe man sich damals in einer "gefühlten Welt" bewegt, sagt die Bundesbeauftragte für Migration bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse im Berliner Universitätsklinikum Charité. Um besser auf die Sorgen und Bedürfnisse der Migrantinnen eingehen zu können, habe sie damals die Studie mit dem Fokus auf dem Thema Gesundheit in Auftrag gegeben. "Es sind Geschichten, die sehr berühren", umschreibt Özoğuz die 66 Seiten umfassende Studie. Vor allem aber sind es Forschungsergebnisse, die alarmieren.

Sprachbarriere als Hauptproblem

So zeigt die Studie, dass viele Frauen nach ihrer Flucht vor Krieg, Terror und Gewalt mit ihren gesundheitlichen und sozialen Problemen allein gelassen werden. Insbesondere im medizinischen Bereich stelle die Sprachbarriere ein wesentliches Problem dar. "Aufgrund von Verständnisproblemen beklagen viele Frauen Fehldiagnosen", sagt Meryam Schouler-Ocak, eine der beiden Projektleiterinnen. Dabei gaben lediglich 15 Prozent der Befragten an, überhaupt ärztliche Hilfe bei körperlichen Beschwerden anzufordern. Bei seelischen Beschwerden waren es sogar nur vier Prozent.

Gerade mit Blick auf letztgenannte Probleme wird in der Studie deutlich, wie wichtig eine umfassende Versorgung der geflüchteten Frauen ist. Demnach neige jede Zweite zum Weinen. Weitere weit verbreitete Symptome unter den Frauen sind eine stark ausgeprägte Traurigkeit, Schlafstörungen sowie Nervosität. Mit ihren Traumata stehen sie oft alleine da. 13 Prozent der Befragten berichteten sogar von Selbstmordgedanken. "Das ist etwas, das uns sehr überrascht hat", so Schouler-Ocak.

Leiden unter mangelnder Privatsphäre

Überraschend ist auch, wie wenig Beachtung dieser Gruppe an Zuwanderern bisher offenbar geschenkt wurde. "Wer kommt eigentlich zu uns?" - bis zu der aktuellen Erhebung habe man dies laut Özoğuz kaum gewusst. Für die Untersuchung haben Wissenschaftler aus fünf verschiedenen deutschen Uniklinken insgesamt 639 geflüchtete Frauen befragt. Dabei habe der Schwerpunkt auf "Frauen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit" gelegen, wie Schouler-Ocak sagt. Die Befragten zwischen 17 und 69 Jahren stammen deshalb aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Eritrea sowie aus dem Iran und dem Irak.

Die Durchführung der Studie ist laut Schouler-Ocak mit Schwierigkeiten verbunden gewesen: "Wir mussten Vertrauen gewinnen, um an diese Daten zu gelangen." Oft seien die Wissenschaftler mit Unverständnis und Misstrauen konfrontiert gewesen. Es ist ein Verhaltensmuster, das sich die Frauen auf ihrer Flucht oder aber in den Flüchtlingsunterkünften angeeignet haben könnten. In den Massenunterbringungen litten sie laut der Studie unter einem respektlosen Klima, Diskriminierung, mangelnder Hygiene sowie mangelnder Privatsphäre. "Die Frauen und Kinder haben kaum Rückzugsmöglichkeiten", kritisiert Schouler-Ocak. Deshalb müsse es geschützte Rückzugsorte geben.

Um die mangelhafte Versorgung der geflüchteten Frauen zu verbessern, gelte es zunächst allerdings, die Sprachbarrieren zu beseitigen. Noch fehle es an ausreichend Sprachmittlern, gerade für seltene Sprachen wie Somali und Tigrinya. Zwar sei es laut Özoğuz "unrealistisch, an jeder Stelle in Deutschland alle Sprachen vorrätig zu haben". Dennoch kündigt die Migrationsbeauftragte eine Verbesserung der Situation an - künftig sollen mehr Dolmetscher zur Beratung der Frauen in den Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden.

FlüchtlingslagerBundesamt für Migration und FlüchtlingeZuwanderungFlüchtlingeMigrantenCharitéÄrzte