Panorama

"Geschlechtergerechte Sprache" "German Gendering" mit "Happy Ending"?

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Das Finanzminister, das Wirtschaftsminister (inklusive das Klimaminister und das Vizekanzler) und das Bundeskanzler müssen nachdenken über das Ampel-Ding.

Das Finanzminister, das Wirtschaftsminister (inklusive das Klimaminister und das Vizekanzler) und das Bundeskanzler müssen nachdenken über das Ampel-Ding.

(Foto: dpa)

Hessens neue Regierung will das "Gendern" abschaffen. Gut so, findet unser Autor. Statt überkorrekter Sternchen und mühsamer Doppelnennungen sollten wir uns am Englischen orientieren. Die Anglisierung unserer Sprache ist sowieso nicht aufzuhalten.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz in der vergangenen Woche über die Lage in Gaza sprach - es war während des Besuchs des türkischen Präsidenten und es ging um die Evakuierung von Menschen -, erwähnte er "Foreign Nationals". Nicht "Männer und Frauen aus dem Ausland" oder "Frauen und Männer", "Angehörige fremder Nationen" oder "Ausländerinnen und Ausländer". Auch verzichtete er auf den/die/das sogenannte/n "Gender-Gap", also eine Pause zwischen "Ausländer_" und "innen".

Statt politisch korrekt "zu gendern", also eine "geschlechtergerechte und -neutrale Sprache" zu bemühen, wählte der Bundeskanzler einen englischen Begriff. "Foreign Nationals" war flott, international anschlussfähig - und gendermäßig unverfänglich, da im Englischen so gut wie keine Unterschiede mehr zwischen männlichen und weiblichen Zuschreibungen gemacht werden. Zwar gibt es neben dem König "the Queen" und es mag manchmal abschätzig von "cleaning women" die Rede sein. Doch zeigen gerade diese Beispiele, dass die Unterscheidung das Gegenteil von progressiv ist und oft als diskriminierend wahrgenommen wird.

Medien wie der "Guardian", die "wokeness" groß schreiben, würden nicht über "Schauspielerinnen" als "actresses" berichten. "Gendergerecht" ist im Englischen "actor" - für alle: Männchen, Weibchen und Diverse. Übersetzt gewissermaßen "das Schauspieler". Oder "das Bundeskanzler".

Zugezogen Maskulin*

Wie mühsam unterdessen "German Gendering" ist, wenn völlig andere Themen als Geschlechter diskutiert werden, hatte Gregor Gysi ein paar Tage vor Scholz vorgeführt. In einem Gespräch für den "Spiegel" - es ging um die Haltung der Deutschen im Nahostkonflikt - huschte der eloquente Politiker im Eiltempo über "Palästinenser und Palästinenser" und "Juden und Jüden". Es klang gequält, unmotiviert - und alles andere als gendergerecht.

Sprachlich Konservative hätten Gysi sicherlich empfohlen, einfach "Palästinenser und Juden" zu sagen. Das ist ohne Zweifel leichter, verständlicher und lässt mehr Platz und Zeit für andere Worte und Gedanken. Es ist das sogenannte "generische Maskulinum" der deutschen Grammatik, das die hessische CDU amtlich machen will: Als Reaktion auf lange Doppelnennungen und Kunstgriffe mit Sternchen, Doppelpunkten, Unterstrich oder "Binnen I" - die mit den Endungen "-in" und "-innen" ein "generisches Femininum" geschaffen haben. Welche konfusen Blüten es darüber hinaus treibt, verdeutlichen die "Bäuer:innen" im Parteiprogramm der Grünen. Aus linguistischer Sicht eine "Überkorrektur" und aus grammatikalischer Sicht falsch. Zugrunde liegt das Problem, dass sich die erwünschte "Genderneutralität" in Wahrheit nach der Struktur von Wörtern richtet. So gibt es von "Deutschen" keine genderneutrale Form, von "Italiener*innen" schon, während "Französ*innen" ohne ihre Männer auskommen müssen. Hinzu kommt die Beeinträchtigung des Textflusses durch Sonderzeichen, die einem Programmiercode ähneln. Mit alldem soll in Hessen Schluss sein!

Die Gegner*innen sind empört: Gendern zu verbieten, verstoße gegen das Recht auf das freie Wort, wie es Artikel 5 im Grundgesetz garantiert. Das ist so richtig, wie auch umgekehrt gilt: Der Zwang zu gendern ist das Gegenteil von Freiheit. Sie kann, wie Olaf Scholz demonstriert hat, in der englischen Sprache liegen. Warum hat Gysi nicht einfach "Palestinians und Jews" gesagt?

Auf die Gegenfrage, ob es nicht aufgesetzt wäre, englische Begriffe in die deutsche Muttersprache einzubetten, sei auf viele längst gängige englische Bezeichnungen verwiesen: "Kids", "Expats", "Celebrities", "VIPs", "Refugees", "Insider", "Influencer", "Fans und Followers", "User", "Whistleblower" oder "Boomer". Sammelbegriffe wie "audience", "in-crowd" oder "People". Und unzählige "Job Titles" der Gegenwart, vom "Junior Accountant" bis zum "Senior Consultant", "Shop Attendants" oder "Customer Agents", von "Marketing Rockstars" und "Chief Rainmaking Officers" ganz zu schweigen.

Love me gender, love me sweet ...

Alleine in der englischen Beschreibung von Personen offenbart sich eine radikale sprachliche Entwicklung weg von der reinen deutschen Muttersprache hin zu einem hybriden alltagssprachlichen Ausdruck, der sich aus zwei Quellen bedient: Deutsch und Englisch. Erstere liefert das Gerüst oder - im Bild eines hybriden Antriebs - vielleicht die Karosserie. Letztere liefert den Antrieb, der nach vorne treibt: Aussagen, die in die Zukunft gerichtet sind. Operative und programmatische Begriffe, für die wir keine muttersprachlichen Entsprechungen mehr haben. So ist im Zusammenhang mit Geschlechtern selbstverständlich von "Sex" und "Gender" die Rede. Eine ungleiche Behandlung zeigt sich im "Gender Gap", der zum "Pay Gap" führen kann. Die Liste der Begriffe alleine auf diesem Feld ist lang, dazu zählen "queer" oder "#metoo", in den weiteren Debatten über Identität etwa auch "PoC" für "People of Colour".

Die Lust auf den hybriden Ausdruck geht bisweilen so weit, dass wir uns scheinbar englische Wörter ausdenken, sogenannte Pseudoanglizismen. So wird die gesprochene Pause nach dem Unterstrich ebenfalls "Gender-Gap" genannt. In der englischsprachigen Welt ist diese Bedeutung genauso wenig bekannt wie "Christopher Street Day" (man sagt "Pride Parade") oder "Spouse splitting" - unser furchtbares Ehegattensplitting!

Schaut man alleine in die Programme der großen Parteien, entsteht der Eindruck, Englisch sei längst zweite Landes- und zumindest Politiksprache: Von "Diversity Budgeting" bis "Racial Profiling". 2021 verwendete die FDP-Programm zur Bundestagswahl mehr als 60 Anglizismen (darunter schräge Pseudoanglizismen wie "Topsharing"). Im Programm der Grünen waren es immerhin 30, von CDU/CSU sowie Linke 20 und der SPD 14 - allesamt Begriffe, die Strategie und Inhalte der Politik ausmachen. Sie verdeutlichen, dass die Anglisierung des Deutschen mindestens so verbreitet und akzeptiert ist wie - Achtung, korrektes Englisch: "Gendering". Dass wir es mit "Gendern" eingedeutscht haben, ist nicht schön, aber ein Hinweis auf den allgemeinen Hang zu sprachlicher Dichte.

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Es gäbe keinen Grund für Streit, wäre "Gendering" wirklich gerecht und neutral. Wer möchte in Texten schon Vorurteile oder falsche Annahmen verbreiten? Schreibe ich, dass "Politiker Zensur ausüben", möchte ich das nicht so verstanden wissen, dass nur Menschen böse sind, die einen Penis haben (Englisch: "Sex") oder vielleicht keinen, aber eine männliche Geschlechtsidentität (Englisch: "Gender"). Dasselbe sollte für "Mörder", "Diebe" oder "Steuerbetrüger" gelten. Achten Sie mal darauf: Von "Straftäter*innen" oder "Verbrecher_innen" ist bemerkenswert selten die Rede! Die deutsche Sprache kennt nur wenige geschlechtsneutrale Zuschreibungen wie "der Mensch", "die Person", "der Säugling" oder "die Leiche".

Im Englischen sind sie Standard. Und je mehr sich nicht nur englische Lehnwörter, sondern auch die Logik der englischen Sprache ins Deutsche frisst, desto mehr relativieren oder gar verdrängen sie die in der deutschen Grammatik angelegten männlichen und weiblichen Geschlechtsformen. Ein Blick in den Duden zeigt es: "Der/die/das Spam","der/die/das Gap", egal ob mit oder ohne "Gender" und Pay", "der, das Event", "die/das E-Mail", "das Timing" oder "das Gender Mainstreaming".

Zunehmend verzeichnen wir eingedeutschte Hauptwörter auf die englische Endsilbe -ing, nicht zuletzt "das Gendering" selbst. Sie sind überall: "Das Wine Pairing" (oder "das Tasting"). "Das Dribbling" oder "Pressing". "Das - Achtung, Pseudoanglizismus! - "Mobbing", in verkehrsüblichem Englisch: "Das Bullying".

Warum also nicht wirklich "das Politiker", "das Schauspieler", "das Bundeskanzler", "das Palästinenser", "das Autor"? Möglicherweise entwickelt sich "German Gendering" automatisch in diese Richtung - mit "Happy Ending".

*Zugegeben eine Hip-Hop-Band aus Berlin

Quelle: ntv.de

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