Panorama

Zahlen steigen in Pandemie Gewalt gegen Frauen nimmt drastisch zu

Proteste gegen Femizide in Mexiko: In dem Land werden jeden Tag rund zehn Frauen getötet.

Proteste gegen Femizide in Mexiko: In dem Land werden jeden Tag rund zehn Frauen getötet.

(Foto: AP)

Viele Millionen Frauen weltweit können nicht frei über ihren eigenen Körper entscheiden. Sie sind Opfer von Gewalt, werden zwangsverheiratet, verstümmelt, zum Sex gezwungen. Ein UN-Bericht zeigt nun: Die Corona-Krise verschärft die Lage dramatisch.

Gewalt gegen Frauen hat laut dem Weltbevölkerungsbericht in der Corona-Krise dramatisch zugenommen. Mehr Frauen und Mädchen als je zuvor seien seit Pandemie-Beginn von geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Praktiken wie Frühverheiratung bedroht, heißt es in dem Bericht, der im Beisein von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in Berlin vorgestellt wurde. 45 Prozent der Mädchen und Frauen in Ländern mit mittlerem oder niedrigen Einkommen können demnach nicht selbst entscheiden, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen wollen.

Unter dem Titel "Mein Körper gehört mir: Das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung einfordern" befasst sich der Weltbevölkerungsbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) in diesem Jahr vor allem mit der körperlichen Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen. "In Krisen werden noch mehr Frauen und Mädchen Opfer von Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung", erklärte Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), bei der Vorstellung des Berichts.

Unter anderem geschlossene Schulen aufgrund der Pandemie hätten zu einem Anstieg des Risikos für Mädchen geführt, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein, erklärte die DSW, die Herausgeberin der deutschen Kurzfassung des Berichts ist. Hinzu komme das Wegfallen vieler Dienste der sexuellen oder reproduktiven Medizin aufgrund der Lockdown-Bestimmungen.

Weibliche Genitalverstümmelung nimmt zu

Einen dramatischen Anstieg verzeichneten die Autoren des Berichts auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung: Demnach hat diese Praxis im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab seit Beginn der Pandemie um 20 Prozent zugenommen, in Somalia um rund 31 Prozent. Insgesamt könnte es nach UNFPA-Schätzungen im Zuge der Corona-Krise zu bis zu zwei Millionen zusätzlichen Fällen von weiblicher Genitalverstümmelung kommen. Die Erfolge in der Beseitigung von weiblicher Genitalverstümmelung könnten demnach bis 2030 um ein Drittel zurückgeworfen werden.

Einen engen Zusammenhang sehen die Autoren zwischen sexueller Selbstbestimmung und dem Bildungsniveau von Frauen. Frauen, die weniger gebildet sind als ihr Ehemann oder Partner, erleben laut dem Bericht häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen, deren Bildungsniveau mehr oder weniger dem ihres Ehepartners entspricht.

Keine sexuelle Selbstbestimmung

Viele Mädchen und Frauen wüssten nicht, dass sie das Recht hätten, Geschlechtsverkehr zu verweigern, heißt es in dem Bericht. So habe eine Studie in Indien gezeigt, dass frisch verheiratete Frauen in Indien ihren ersten Sex seltener als erzwungen oder "gegen ihren Willen" bezeichnen, weil Sex innerhalb der Ehe erwartet würde. Solche Normen und Einstellungen verhindern laut dem Bericht oftmals auch, dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über Verhütung treffen könnten - auch, weil Männer in vielen Ländern es als ihr Recht betrachteten, die Entscheidung über die Familiengröße zu treffen.

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"Die Tatsache, dass fast die Hälfte der Frauen immer noch nicht selbst entscheiden kann, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen will oder nicht, muss uns alle empören", erklärte UNFPA-Exekutivdirektorin Natalia Kanem. Das Leben Hunderter Millionen Frauen und Mädchen werde "von anderen bestimmt", beklagte sie.

Die Autoren des Berichts forderten einen entschiedeneren Einsatz der internationalen Gemeinschaft für körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit. Die Bundesregierung solle ihre "Vorreiterrolle im Bereich Globale Gesundheit weiter ausbauen" und "ihre Verantwortung für sexuelle Gesundheit und reproduktive Rechte stärker als bisher wahrnehmen", forderte die DSW.

Quelle: ntv.de, chf/AFP

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