Panorama

Eine für alle Mein erster Porno

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Bilder im Kopf - können so verstörend wie reizvoll sein ...

Bilder im Kopf - können so verstörend wie reizvoll sein ...

(Foto: imago stock&people)

Kinder haben - und vor allem Mädchen sehr oft ungewollt - viel zu früh Kontakt mit einem Porno. Die Kolumnistin erinnert sich an ihr erstes Mal, wie sie deswegen vom Schwebebalken stürzte und warum sie nie heiraten wollte.

Es riecht nach blauen Turnmatten, barfuß auf dem Holzparkett, nach alten Sportschuhen, Kinderschweiß und den Anstrengungen von Jahrzehnten. Wir hüpfen durch die Halle, gerade ist Pause, alle dürfen machen, was sie wollen. Plötzlich Aufregung, Hektik, Getuschel. Kommt mal mit aufs Klo, wispert es von einem Ohr zum anderen, einige folgen der Aufforderung. Ich auch, denn ich hab' "Fomo", ohne dass es früher so hieß. Ich bin in der 6. Klasse und habe bereits damals ungern etwas verpasst, meine "Fear Of Missing Out" wurde früh angelegt.

Gut, also, ab aufs Mädchen-WC, immerhin nicht an den Pissoirs vorbei, und dann Tür zu, alle in eine Kabine. "Was ist denn los?" wollen wir wissen. Unter großem Brimbamborium zaubert einer unserer Mitschüler - nennen wir ihn Sven, so hieß damals schließlich jeder dritte Junge – einen Porno aus einer Tüte. "Aaahs" und "ooohs" fliegen durch die Luft, es wird gekichert und alles ist auch noch gut, als Sven das Heft aufschlägt. Der Klassiker übrigens - "gefunden unterm Bett des Vaters" - schon klar. Und dann blättern wir.

Auch Matthieu Carriere und Patti D'Arbanville haben sich ihre Brötchen anfangs mit Soft-Pornos wie David Hamiltons "Bilitis" verdient.

Auch Matthieu Carriere und Patti D'Arbanville haben sich ihre Brötchen anfangs mit Soft-Pornos wie David Hamiltons "Bilitis" verdient.

(Foto: imago/United Archives)

Ich heirate nie!

Anfangs ist ein glückliches Paar zu sehen, das winkend und hupend mit ein paar Blechdosen an der silbernen Stoßstange des Autos in die sogenannten Flitterwochen fährt. Die Braut schmeißt noch ihren Strauß über die Schulter, irgendein Mädel, das nun demnächst heiraten muss, fängt das Bouquet, und ab geht die wilde Fahrt. Der Bräutigam schiebt der Braut im Cabrio bereits den Rock hoch, ein Strumpfband ist zu sehen, natürlich himmelblau. Denn ja, something old, something new, something borrowed, something blue (etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes, etwas Blaues) - soviel ist auch schon bis zu uns Sechstklässlern vorgedrungen, ist üblich beim Heiraten.

Nächste Seite: Hand auf Knie, Hand auf Oberschenkel, die Hand wandert von Seite zu Seite ein bisschen höher, schließlich ist sie ganz unterm Rock, der Bräutigam stiert weiterhin auf die Straße, die Braut leckt sich keck die Lippen und wirft den Kopf in den Nacken. Das konnte man damals, denn nicht alle Autos in den Siebzigern verfügten bereits über Kopfstützen. Alles ist so weit noch in Ordnung, und ja, das ist es wohl, was mit "sie können die Finger nicht voneinander lassen" gemeint ist. Das Paar checkt in der Bildergeschichte nun in einem Landgasthof ein, seine Hand auf ihrem Hintern. Die Flitterwochen können beginnen.

Die Sache

Das nächste Foto ist schon expliziter, die Braut kniet vor dem Bräutigam mit runtergelassener Hose, noch ist nichts zu sehen, aber wir kichern in unserer Toilettenkabine und ahnen: Von nun an wird es ganz schön zur Sache gehen, ohne jeglichen Schimmer davon zu haben, was genau "die Sache" ist. Es stellt sich auf dem nächsten Foto heraus, dass der Bräutigam ein Riesending hat und die Braut strahlt, soweit das möglich ist. "Sie bläst ihm einen", sagt einer in unserer kleinen, sehr verschwitzt riechenden WC-Kabine. Ich gucke eine Mitschülerin ratlos an, wir gackern mit roten Wangen. Der Bräutigam sieht irgendwie gequält aus, sein Mund ist verzerrt, die Augen scheinen zu flackern, und wir fragen uns, ob das vielleicht wehtut. Warum die Braut, die immer noch ihren fipsigen Schleier auf dem Kopf trägt und ansonsten aber nackt ist, das dann jedoch macht, falls es wehtun sollte, verstehen wir nicht.

Pornos können auch schön sein ...

Pornos können auch schön sein ...

(Foto: IMAGO/United Archives)

Obwohl wir Sechstklässler also nicht wissen, was blasen ist und warum das so heißt – pustet sie vielleicht, so, wie wir es mit unserer ersten heimlichen Zigarette falsch gemacht haben? – ahnen wir, dass dies in die Welt der Erwachsenen gehört. Und dass wir hier etwas tun, was wir nicht dürfen. Mir wird etwas blümerant, ich kicher' schon eine Weile nicht mehr (seit die Braut sich den Mund abgewischt hat, genauer gesagt) und dann geht's los: Nahaufnahmen sämtlicher Geschlechtsorgane, Stellungen, Praktiken, zwei gequetschte Brüste, Busen, oder wie wir damals sagten: zwei Busen. Schweiß, Körperflüssigkeiten - mir wird flau. Ich verabschiede mich aus der engen, feuchten Kabine und wanke in die Turnhalle, wo ich kurz darauf vom Schwebebalken kippe (war noch nie meine Königsdisziplin) und mich für den Rest der Stunde hinsetzen darf.

Früher war bestimmt nicht alles besser

Ich habe schockierende Bilder im Kopf und mir ist klar: Ich werde nie heiraten! Wenn Erwachsene so ekelhafte Dinge miteinander machen, wenn man nach außen hin doch den schönsten Tag im Leben feiert, dann will ich diesen schönsten Tag nicht. Ich sollte später verstehen: Man kann sogar mehrmals heiraten, ja, und sehr viele Menschen verhalten sich in bestimmten Situationen so, wie diese beiden Darsteller.

Diese jungen Menschen können wohl "die Finger nicht voneinander lassen".

Diese jungen Menschen können wohl "die Finger nicht voneinander lassen".

(Foto: IMAGO/United Archives)

Wie sich überdies herausstellen sollte, war das alles gar nicht so furchtbar ekelig, was die beiden in dem Heft da trieben, es geht durchaus extremer, ich erzählte meinen Eltern aber sicherheitshalber mal nichts davon. Denn sonst würde ich vielleicht nie wieder zu einem Geburtstag mit Flaschendrehen gehen dürfen, und das wäre doch zu schade, denn alle anderen Mädchen hatten Thomas, Andreas und Michael - und Sven - bereits mit Zunge geküsst, nur ich nicht. Das stand mir noch bevor. Und auch, wenn es sich zu etwas so Krassem wie "Blasen" entwickeln konnte, meine Neugier und mein "Fomo" waren größer als mein Ekel. Ich sah Svens Vater - den mit dem Pornoheft - fortan allerdings mit anderen Augen, und traute mich kaum, bei meinen Eltern unterm Bett zu schauen. Zum Glück hatten sie damals ein Klappbett.

Erster Porno vor 14

Warum mir diese Story wieder eingefallen ist, nach Jahrzehnten? Weil ich gelesen habe, dass die meisten Kinder mit Pornos in Kontakt kommen, bevor sie 14 Jahre alt sind. Vor allem bei Mädchen erfolgt dieser Erstkontakt oft ungewollt. Ich kann das von mir aus also bestätigen und glaube, dass mein Erstkontakt weitaus harmloser war als der heutiger Jugendlicher. Aber diese Bilder haben mich lange beschäftigt, not in a good way. Wer mit seinen Kindern also über Porno und Co. sprechen möchte und dafür Hilfe benötigt, der schaut hier.

Denn: Man sollte seinen Kindern möglichst früh vermitteln, dass Pornos nicht real sind, dass die Situationen von den Darstellerinnen und Darstellern nur gespielt werden. Es sind Profis mit viel Erfahrung am Werk, die ihre Grenzen kennen. Eltern sollten ihren Kindern vor allem aber klarmachen, niemals etwas zu tun, bei dem sie sich unwohl fühlen. Inhalte aus Pornos sind als Orientierung dabei gänzlich ungeeignet. Diese Tatsache darf sich gern noch ein wenig herumsprechen.

PS: Ich habe Sven nicht geküsst.

Quelle: ntv.de

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