Panorama

Klimts "Judith" für ein StadionItalien pokert mit seinen Kunstschätzen

15.04.2023, 14:07 Uhr imageAndrea Affaticati
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Das Bild könnte etwa 80 Millionen Euro bringen, aber nur einmal. (Foto: picture alliance / akg-images)

Ein Stadtrat aus Venedig hat unlängst vorgeschlagen, Gustav Klimts "Judith" für den Bau eines Fußballstadions zu verkaufen. Die Stadt lehnte umgehend ab. Doch immer wieder, wenn das Geld knapp wird, kommt diese Idee auf.

Kurz vor Ostern gab der venezianische Stadtrat für Sport, Renato Boraso, einer Lokalzeitung ein Interview, in dem er vorschlug, Gustav Klimts Gemälde "Judith" zu verkaufen. So käme man an die Mittel, um ein neues Fußballstadion und eine Basketballhalle zu bauen. Die Empörung über die Idee war so groß, dass sich die Gemeinde genötigt sah, die Angelegenheit sofort zurechtzurücken und zu versichern, dass der Verkauf der "Judith" überhaupt nicht zur Debatte stehe. Das Gemälde bleibe in Ca' Pesaro, beziehungsweise sei momentan im MART Museum in Rovereto als Leihgabe zu sehen.

Eigentlich wollte man den Bau der Fußball- und Basketballanlage, für die man schon ein Gelände in der Nähe des venezianischen Flughafens Marco Polo ausgemacht hat, mit den Geldern des EU-Wiederaufbaufonds finanzieren. Doch aus Brüssel kamen Stoppzeichen, die Sportanlage müsse man sich schon anders finanzieren, hieß es. Daher Borasos Idee, Klimts Kunstwerk, das die Stadt 1910 erworben hatte, zu versilbern.

Schon 2015 ein Thema

Wobei der Erlös sowieso nur einen Teil der Baukosten, die bei 308 Millionen Euro liegen, decken würde. 2015 wurde der Wert der "Judith" zwischen 70 und 80 Millionen Euro geschätzt. Auch damals spielte die Stadtverwaltung mit der Idee, das Gemälde zu verkaufen. Damals machte Bürgermeister Luigi Brugnaro, der die Stadt bis heute verwaltet, den Vorschlag, Klimts Gemälde und ein paar andere zu verkaufen. Die Einnahmen sollten die leeren Kommunalkassen füllen.

Den Widerstand konterte Boraso, indem er beteuerte, er habe mit seiner Ansage nur provozieren wollen. "Immerhin, als 2015 die Rede davon war, einige Gemälde zu verkaufen, bewegte sich endlich etwas. Und ich hoffe, dasselbe geschieht auch diesmal." Damals ging es aber darum, Geld für Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser aufzutreiben, nicht für ein Fußballstadion.

Heute spielt der Venezia Football Club in dem ehrwürdigen Stadium Pier Luigi Penzo, das sich auf der Insel Sant' Elena befindet. Es wurde 1913 eingeweiht und ist das zweitälteste Fußballstadion Italiens, nach dem von Luigi Ferrari in Genua aus dem Jahr 1911. Was den städtischen Fußballverein Venezia Football Club betrifft, hat dieser schon glorreichere Zeiten erlebt. Einst spielte er auch in der ersten Liga, heute ist er in der zweiten und riskiert in die dritte abzurutschen.

Kunst und Rentabilität?

"Dass Brüssel die Finanzierung eines Fußballstadions mit europäischen Steuergeldern verweigert, wundert mich nicht", meint Maurizio Ferrero, der Sozialwissenschaften an der Mailänder Universität lehrt, im Gespräch mit ntv.de. "Der europäische Aufbauplan verfolgt drei Ziele: Energiewende, Digitalisierung und soziale Inklusion. Wo die Verbindung zwischen einem dieser Ziele und einem Fußballstadion besteht, liegt nicht auf der Hand."

Borasos Vorschlag, dafür ein Kunstgemälde zu verkaufen, finde er, gelinde gesagt, skurril und nicht wirklich durchdacht. "Sie weist aber auch auf einen wunden Punkt hin, der Italien schon seit eh und je plagt. Und zwar der Umgang mit seinem Kunst- und Kulturerbe", hebt der Professor hervor. Bis vor nicht allzu langer Zeit, waren Kunst und Rentabilität Begriffe, die in keiner Weise zusammenpassten. Als würde die Rentabilität die Kunst schänden. "Erst mit dem Gesetz aus dem Jahr 1993 wurde es privaten Unternehmen erlaubt, Museumsshops einzurichten."

Zwar gebe es mittlerweile in der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi sogar einen Lehrstuhl für Kulturverwaltung, doch Italien hinke weiter Franzosen und Deutschen hinterher, meint der Professor. "Nehmen wir den Louvre, der mittlerweile auch eine Niederlassung in Abu Dhabi hat. Könnten die Uffizien in Florenz oder die Accademia in Venedig nicht auch einen Teil ihrer Sammlungen, zum Beispiel thematisch gebündelt, in anderen Ländern ausstellen? Das würde sicher mehr Geld bringen als der Verkauf eines Gemäldes." Und sogar eine Wanderausstellung der "Judith" durch Italien, um zurück zum Ausgangspunkt zu kommen, würde sich wahrscheinlich als rentabler und kulturfördernder erweisen, als ihr einmaliger Verkauf.

"Zum Glück gibt es die EU"

Die venezianische Stadtverwaltung scheint da aber anderer Meinung zu sein. Boraso wies in dem Interview nicht nur darauf hin, dass Venedig seit 50 Jahren auf ein neues Stadion warte, er meinte sogar, ohne dieses würde die Stadt an Attraktivität verlieren. "Auf so eine Feststellung muss man, wenn es um Venedig geht, erst kommen", meint Giampietro Pizzo im Gespräch mit ntv.de. Er ist Vorsitzender des Netzwerks Microcredito und gehört zur Bürgerinitiative Venezia Cambia.

"Zum Glück gibt es die EU, die sich da quer stellt", sagt er bestimmt. "In ganz Europa finanzieren die Fußballclubs mittlerweile ihre Stadien aus eigener Kasse. Italien gehört da zu den Ausnahmen. Hier gibt es nicht nur weiter Stadien, die in kommunalem Besitz sind, Bürgermeister Brugnaro will an diesem überholten Modell sogar weiter festhalten." Wobei in der Stadt gemunkelt wird, Boraso gehe es vorrangig gar nicht so sehr um das Fußballstadion, sondern viel mehr um die Basketballhalle. Ihm gehört nämlich die Mannschaft Reyer Venezia Mestre, die, anders als der FC Venezia, in der ersten Liga spielt.

Ob Borasos Vorstoß nur eine gewiefte Strategie war oder ob hinter der Provokation doch auch eine ernsthafte Absicht steckte, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ein Tabubruch, und auch nicht der erste, war es jedenfalls.

Quelle: ntv.de

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