Politik

Pizzeria mit Bunker Was Italien mit den Mafia-Besitztümern macht

Am Dienstag gedachten Tausende vor dem Mailänder Dom der Opfer der Mafia.

Am Dienstag gedachten Tausende vor dem Mailänder Dom der Opfer der Mafia.

(Foto: Andrea Affaticati)

In Italien soll Mafia-Eigentum der Gesellschaft gegeben werden, gewissermaßen als Entschädigung für die Verbrechen. Allein in der Lombardei gibt es fast 4000 Objekte, die davon betroffen sind.

Als vor ein paar Monaten der Mafia-Boss Matteo Messina Denaro nach 30-jähriger Fahndung verhaftet wurde, ging ein Aufatmen durch Italien. Der letzte blutrünstige Boss, der zahlreiche Tote auf dem Gewissen hat und bereits zu lebenslanger Haft verurteilt war, ist hinter Gittern.

Doch wie Don Luigi Ciotti nicht müde wird zu betonen: Messina Denaro ist zwar im Gefängnis, aber die Mafia noch lange nicht besiegt. Eine Mahnung, die er auch am Dienstag vor den Tausenden wiederholte, die sich auf dem Mailänder Domplatz versammelt hatten, um wie jedes Jahr den Opfern der Mafia zu gedenken. Die Mafia fordere zwar den Staat nicht mehr mit blutigen Attentaten heraus, hob der Priester hervor, dafür gehe sie umso mehr im Stillen ihren Geschäften nach - vor allem im reichen Norden des Landes. Das gilt nicht nur für die sizilianische Cosa Nostra, sondern auch die kalabrische ’Ndrangheta und die in Kampanien ansässige Camorra.

In Italien ist der eher schmächtige, mittlerweile 77-jährige Priester, der seit Jahren unter Personenschutz lebt, das Sinnbild des Kampfs gegen die Mafia. 1995 gründete er den Verband Libera, mit dem Ziel, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen und die Erziehung zur Legalität zu fördern. Ihm und Libera ist es auch zu verdanken, dass 1996 ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Wiederverwendung von konfiszierten Mafia-Vermögen regelt. Libera selber verwaltet zwar keins, steht aber den sozialen Verbänden an der Seite, die sich dafür bewerben.

Lombardei liegt an fünfter Stelle landesweit

"Wobei das Gesetz vorschreibt, wann immer es möglich ist, die konfiszierten Güter an die Gesellschaft zurückzugeben", erklärt Bruno Corda, Direktor der dafür geschaffenen Behörde ANBS, im Gespräch mit ntv.de. "Und das geschieht auf zweierlei Weise: Entweder, die Gemeinde, in der sich zum Beispiel eine Immobilie befindet, nutzt sie selber für den öffentlichen Dienst, oder sie wird per Ausschreiben an einen der Verbände zugewiesen, die Projekte dazu eingereicht haben."

Wie sehr Don Ciotti mit seiner Feststellung, die organisierte Kriminalität habe sich im Norden fest eingenistet, vor allem in der wirtschaftsstarken Lombardei recht hat, erkennt man an der Zahl konfiszierter Güter. Zwar liegt die Lombardei auf Platz 5 hinter Sizilien, Kalabrien, Kampanien und Latium, ist aber mit 3940 Objekten an erster Stelle unter den norditalienischen Regionen.

Bei den Gütern handelt es sich um Wohnungen, Garagen, Lokale, Grundstücke, Unternehmen und etliches mehr. Die Gemeinde Mailand verwaltet mittlerweile direkt 220 dieser Objekte, entweder für den Eigenbedarf oder für soziale Einrichtungen, wie Wohnungen für einkommensschwache Familien. Das größte bis dato in der Lombardei wieder an die Gesellschaft zurückerstattete Gut ist die Villa Chiaravalle, außerhalb von Mailand, einst im Besitz von ’Ndrangheta-Boss Pasquale Molluso. Dabei handelt es sich um Gutsbesitz mit zwei Villen, einem Grund von 200 Hektar, zum Teil mit Obstbäumen bepflanzt. Der Wert dieses Besitztums wurde bei der Beschlagnahmung auf 2,3 Millionen Euro geschätzt. 2009 wurde die Villa beschlagnahmt. Heute finden hier ältere Leute, Menschen mit Behinderungen und Jugendliche aus problematischen Familien ein Zuhause.

Nachhilfe statt Drogenhandel

"In der Lombardei hat besonders die ’Ndrangheta die Hände überall im Spiel, gleich ob es sich um Drogen, Logistik, Bau, Lokale handelt", bestätigt Valerio D’Ippolito, Vorsitzender von Libera in Monza. Vor ein paar Jahren sei in Seveso, einer Gemeinde bei Mailand, ein so breit ausgedehntes Finanznetz aufgedeckt worden, dass die Medien daraufhin "Seveso: Die nationale Bank der ’Ndrangheta" titelten.

Es ist nicht so, dass sich die Mafia nur in Randvierteln einnistet. Mitten in Mailand gibt es in einem sehr schönen Altbau eine 100 Quadratmeter große Wohnung, in der einst Rechtsanwälte arbeiteten, die Geschäfte mit Drogenhändlern machten. Heute wird sie vom Verband "Lo Scrigno" als Zentrum für Jugendliche verwaltet. "Im großen Saal machen junge Theatergruppen ihre Proben", erzählt Adele Bellati. Sie ist pädagogische Koordinatorin des Verbands. "Dieser andere Raum dient stattdessen als Co-Working-Platz und zweimal in der Woche auch als Nachhilfeklasse. Und dann ist da noch das kleine Zimmer, in dem ein Psychologe einmal die Woche seine jungen Patienten trifft."

Pizzeria mit Bunker

Ähnlich ist die Geschichte der Pizzeria "Fiore" in Lecco am Comer See. Das Lokal liegt in einem Randviertel und ist von einer Parkanlage umgeben. Die Pizzeria befindet sich am Ende einer Allee, was irgendwie bizarr erscheint. Normalerweise wollen doch solche Lokale gut sichtbar sein. Aber nicht im Fall von "Fiore", beziehungsweise "Wall Street", wie die Pizzeria früher hieß. "Damals, in den 1980er-Jahren, gehörte sie der kalabrischen ’Ndrangheta-Familie Coco Trovato", erzählt der örtliche Referent von Libera, Alberto Bonaccina. Die Coco Lovato waren so mächtig, dass die großangelegte Razzia gegen die ’Ndrangheta Anfang der 90er-Jahre den Namen "Wall Street" trug. Bei dieser Razzia wurde auch Francesco Coco Lovato verhaftet, und zwar im Bunker unter der Pizzeria, in dem sich die ’Ndrangheta-Mitglieder regelmäßig trafen.

Das Lokal wurde erst 2017 wieder unter neuem Namen eröffnet. Heute wird die Pizzeria von einer Genossenschaft betrieben. Angestellt sind auch Mitarbeiter mit psychischen Störungen, verarbeitet werden nur Produkte aus konfiszierten Grundstücken.

25 Jahre hat es von der Beschlagnahmung bis zur Wiedereröffnung gebraucht, das ist eine halbe Ewigkeit. "Na ja, die Justiz braucht halt ihre Zeit", sagt ANBS-Direktor Bono. "Bevor das Gut wieder zur Nutzung freigegeben wird, muss außerdem festgestellt werden, ob es Gläubiger gibt, die nichts von den kriminellen Machenschaften wussten." Sollte dem so sein, ist es Aufgabe des Staates, diese zu entschädigen. Und das wiederum kann zum Verkauf an Private von Teilen oder dem ganzen Gut führen.

Plakat in Erinnerung an Lea Garofalo in Mailand

Plakat in Erinnerung an Lea Garofalo in Mailand

(Foto: Andrea Affaticati)

Und dann ist da noch die Geschichte von Lea Garofalo. Am Dienstag bei der Gedenkversammlung in Mailand sah man immer wieder T-Shirts und Plakate mit ihrem Konterfei. Lea Garofalo stammte aus einer kalabrischen ’Ndrangheta-Familie. Dass sie sich dieser widersetzte, kostete ihr mit 35 Jahren das Leben. 2009 wurde sie in Mailand ermordet, ihr Leichnam wurde in der Nähe von Monza verbrannt. "Genau gegenüber dem Feld, in denen ihre Überreste gefunden wurden, liegt ein konfisziertes Grundstück, das der Gemeinde Monza zugewiesen wurde", erzählt D’Ippolito. "Eines der Projekte sieht vor, dass darauf ein Lea Garofalo gewidmetes Dokumentationszentrum zum Thema Mafia und Legalität entsteht."

Eine Frage möchte man zur Pizzeria "Wall Street" noch loswerden: Wussten die Gäste damals, wer dahintersteckte? "Ich denke, ein Großteil schon", antwortet Bonaccina. "Die meisten haben aber weggeschaut, auch weil man in den 80er-Jahren die Mafia gerne auf Süditalien begrenzte." Noch heute denken viele so. Angefangen bei den lombardischen Politikern, wie Don Ciotti unlängst in einem Interview beklagte.

Quelle: ntv.de

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