Lust kommt unterwegsReise zum sexuellen Ich kennt keine endgültige Ankunft
Von Lauren Ramoser
Sexualität ist für viele Menschen ein lebenslanger Prozess der Selbstfindung. Denn der Weg zum eigenen sexuellen Ich ist komplex und laut Sexualtherapeuten sollte man besser niemals ankommen.
Mit den ersten sexuellen Erfahrungen entdecken die meisten Menschen, was ihnen im Bett gefällt. Viele verändern ihre Vorlieben dann ein Leben lang kaum. Dabei ist laut Sexualtherapeuten der Weg das Ziel. "Ich glaube nicht, dass man einen sexuellen Kern hat, wie man einen Identitätskern hat", sagt Sexualtherapeutin Dr. Beatrice Wagner im Gespräch mit ntv.de. "Aber vielleicht hat man eine sexuelle Grundlage." Das klingt nachvollziehbar, entspricht für viele Menschen aber nicht der Realität ihrer gelebten Sexualität.
Sind junge Menschen noch experimentierfreudig, lässt die Neugier auf intime Erfahrungen mit anderen mit der Zeit nach. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Sich verändernde Lebensumstände, Dauer der Beziehung, Kinder, all das sorgt dafür, dass sexuelle Routinen Sicherheit geben. Als erfüllend empfinden sie viele dann nicht mehr.
Laut verschiedener Studien sind nur etwa 40 bis 50 Prozent der Erwachsenen mit ihrem Sexleben zufrieden. Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos von 2024 zeigt, dass Verheiratete generell zufriedener sind als Singles. Je älter die Befragten sind, desto niedriger ist ihre Zufriedenheit.
Balance zwischen Stabilität und Neuem
Das ist wenig überraschend, denn "der Mensch ist ein neugieriges Wesen", sagt Wagner. Eigentlich müsste die Lust auf Neues also auch im Bett bleiben. "Denn das größte Aphrodisiakum ist, etwas Neues zu überlegen", so die Therapeutin. Sprich: Die Lust kommt unterwegs.
Idealerweise entsteht eine Balance zwischen Stabilität und Veränderung. Nicht alle Erfahrungen müssen überworfen werden, viel Spannendes kann ergänzend sein oder sich in Nuancen entwickeln. Das kann jeder für sich selbst erleben, zunächst ganz sicher in den eigenen Gedanken. "Denn in der Fantasie kann ich mich ins Unendliche weiterentwickeln", sagt Wagner. Wichtig ist, dass man sich traut. Es bedarf Zugeständnissen zu sich selbst und im nächsten Schritt auch dem Partner oder der Partnerin gegenüber.
Wie findet man das sexuelle Ich?
Die neuen Reize müssen nicht durch neue sexuelle Kontakte kommen. Es kann ein anderer Einstieg in das Liebesspiel sein, andere Worte, andere Körperstellen für Berührungen oder neue Orte. "Dadurch entwickeln sich wieder neue Wünsche", sagt Wagner. Man dürfe schlicht nicht die Lust auf das Neue verlieren und es sich so im Stillstand gemütlich machen.
"Ich entwickle mich mit meinem sexuellen Ich also immer weiter, es ist eine Reise", sagt Wagner. Eine Reise, die man bewusst und individuell gestalten kann. Das kann auch positive Auswirkungen auf die Beziehung haben - sofern der Partner oder die Partnerin offen für kleine Veränderungen und Experimente ist.
Um sicher zu gehen, sollte man Wert auf offene Gespräche in einem geschützten Rahmen legen. Ein Nein des Gegenübers zu einem Wunsch muss nicht das Ende der Reise sein, sondern kann als Wegweiser verstanden werden. So gelingt eine gemeinsame Entwicklung ohne Druck und dennoch mit anregender Spannung.