Panorama

Hessen fast so lahm wie Sachsen Saarland und Berlin boostern am schnellsten

Die Nachfrage nach Auffrischimpfungen übersteigt derzeit die Kapazitäten der meisten Bundesländer.

Die Nachfrage nach Auffrischimpfungen übersteigt derzeit die Kapazitäten der meisten Bundesländer.

(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)

Bei den Auffrischimpfungen muss es schnell gehen, damit die Corona-Winterwelle möglichst wenig Schaden anrichtet. Im Saarland und Berlin klappt das gut. Sachsen, Hessen und Brandenburg hinken weit hinterher. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Umgang mit Impfzentren.

"Schnelligkeit ist besser als Perfektion. Perfektion ist der Feind des Guten, wenn es um Notfallmaßnahmen geht." Das sagte der Epidemiologe und WHO-Geschäftsführer Michael Ryan bereits zu Beginn der Corona-Pandemie am 14. März 2020. An der Wahrheit seiner Worte hat sich bis heute nichts geändert, und das Prinzip gilt auch für die Auffrischimpfungen. Es muss schnell gehen, egal wie. Das Saarland und Berlin wissen anscheinend, wie das geht. Andere Bundesländer kommen dagegen nicht aus dem Knick, allen voran Sachsen.

Im Saarland und Berlin ein Fünftel geboostert

Im Saarland haben bereits 20,5 Prozent der Bevölkerung eine Auffrischung erhalten, Berlin steht mit 20,3 Prozent fast ebenso gut da. An dritter Stelle liegt NRW mit 19,1 Prozent, dicht gefolgt von Schleswig-Holstein, wo 18,8 Prozent der Einwohner geboostert sind. Erstaunlich gut läuft es auch in Bayern (18,6 Prozent), das bei den Erstimpfungen zu den Schlusslichtern gehört.

Am schlechtesten geht es in Sachsen voran, wo bisher gerade mal 13,9 Prozent der Bevölkerung eine Auffrischimpfung erhalten haben. Brandenburg und Hessen machen es mit 14,9 Prozent kaum besser. Überraschenderweise folgt Hamburg mit 15 Prozent, obwohl die Stadt bei den Erstimpfungen mit 77 Prozent das drittbeste Bundesland ist.

Derzeit keine Frage der Mentalität

Die Gründe für die großen Unterschiede sind vielschichtig. Natürlich spielt auch hier die allgemeine Einstellung der Menschen zu den Corona-Impfungen eine wichtige Rolle, sie ist aber nicht entscheidend, solange noch nicht die meisten impfwilligen Menschen ihre Auffrischung erhalten haben. Auch in Sachsen oder Brandenburg übersteigt die Nachfrage derzeit das Angebot.

Vielerorts warten die Menschen stundenlang vor Impfstationen.

Vielerorts warten die Menschen stundenlang vor Impfstationen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschland hat allgemein den Startschuss im Sommer nicht gehört, nachdem Daten aus Israel deutlich gemacht hatten, dass die Schutzwirkung der Impfstoffe vor einer Infektion gegen die Delta-Variante schon nach einigen Monaten deutlich nachlässt. Doch erst am 7. Oktober empfahl die Ständige Impfkommission Auffrischimpfungen für alle über 70-Jährigen, mehr als einen Monat später folgte die Empfehlung für alle Volljährigen - grundsätzlich nach sechs Monaten, im Einzelfall oder bei genügend freien Kapazitäten auch nach fünf Monaten.

Abbau stand Standby

Im Juni hatten sich Bund und Länder allerdings noch darauf geeinigt, aufgrund mangelnder Nachfrage die Impfzentren bis zum 30. September zu schließen, aber im Standby-Betrieb zu halten, um sie bei Bedarf schnell reaktivieren zu können. Letztendlich war es auch eine Kostenfrage, denn der Bund zog sich aus der Finanzierung der Zentren zurück.

Ein abgebautes Impfzentrum lässt sich nicht so schnell reaktivieren.

Ein abgebautes Impfzentrum lässt sich nicht so schnell reaktivieren.

(Foto: picture alliance / Hasan Bratic)

Statt die Zentren im Standby zu halten, wurden die Provisorien allerdings oft komplett abgebaut. Aber selbst da, wo die Örtlichkeiten vorhanden blieben, war die Stilllegung riskant, und die Beteiligten hätten es wissen können. "Es würde Wochen, wenn nicht Monate dauern, sie bei Bedarf wieder zu öffnen, denn das Personal müsste erneut gewonnen werden", sagte Ende Juni der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem Fachportal "Kommunal".

Hoher Bedarf im Herbst schon im Juni absehbar

Dass die Impfflaute nicht lange anhalten würde, war da ebenfalls kein Expertenwissen mehr. Mit Blick auf die Delta-Variante wies Landsberg darauf hin, dass voraussichtlich ab Herbst Millionen von Menschen eine Auffrischimpfung benötigen. "Dazu brauchen wir dann wieder voll leistungsfähige Impfzentren."

Das sahen Ärztevertreter anders, die schon im Frühjahr gefordert hatten, die teuren Impfzentren zu schließen. Als Gesundheitsminister Spahn am 1. November die Wiedereröffnung der Zentren forderte, hieß es, man schaffe das auch ohne sie.

Ärztevertreter zu optimistisch

Der Chef des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sagte dem ZDF beispielsweise, er persönlich halte nichts von einer allgemeinen Forderung, die Impfzentren wiederzueröffnen. Der Leiter des Kassenärzteverbands Andreas Gassen sah in den Impfzentren ebenfalls keine Lösung, sondern tönte: "Das ist machbar, wir schaffen das." Da war aber laut "Ärztezeitung" auch schon klar, dass es Auffrischungen für alle sechs Monate nach der "vollständigen" Impfung geben soll. Vorbedingung war lediglich, die über 70-Jährigen zu priorisieren.

Ob es erwartbar war oder nicht, letztendlich waren die Arztpraxen dem Ansturm der Booster-Willigen nicht gewachsen. Schuld sei vor allem die "wahnsinnige Bürokratie", wie die "Hessenschau" aus einer E-Mail der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an ihre Mitglieder zitiert. "Wir sind alle müde."

Länder mit offenen Impfzentren erfolgreicher

Sachsen verkündete am 28. August, alle 13 Impfzentren bis spätestens 30. September zu schließen, Hessen hatte sich bereits im Juni entschlossen, seine 28 Zentren bis zu diesem Datum dichtzumachen. Brandenburg bedankte sich am 29. September für die Arbeit der 13 Impfzentren und legte die letzten beiden am nächsten Tag still. Auch Hamburg, Baden-Württemberg und weitere Bundesländer gingen diesen Weg.

Das Saarland agierte klüger. Zwar wurden auch dort die vier Impfzentren stillgelegt. Allerdings behielt das Land zwei davon tatsächlich im Standby-Betrieb und konnte sie daher vor einer Woche wieder reaktivieren. Zusätzlich wurde in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ein ganz neues Impfzentrum in Wadern-Büschfeld in Betrieb genommen.

Mehr zum Thema

Berlin war schlau genug, zwei seiner sechs Zentren erst gar nicht zu schließen. Die Stadt hat außerdem weitere neue Impfstellen geschaffen, die mit bis zu 1000 Behandlungen teilweise Kapazitäten wie andernorts Impfzentren haben. Außerdem gibt es in der Hauptstadt auch private Zentren, die viele Impfungen vornehmen können. So konnte sich Berlin leisten, die Wartezeit nach der zweiten Dosis auf fünf Monate herunterzusetzen und so zusätzliches Tempo in die Booster-Kampagne zu bringen.

NRW schloss die Impfzentren zwar auch zum 30. September, hatte aber ein wirksames Nachfolge-Konzept: sogenannte Koordinierende Covid-Impfeinheiten (KoCI). Pro 100.000 Einwohner finanziert NRW drei Stellen, die den lokalen Bedarf feststellen, Probleme erkennen und lösen sollen. Sie kümmern sich auch um die Impfstoffbestellung, die Datenmeldung oder die Organisation von zusätzlichem Personal. Gearbeitet wird überwiegend mit vielen kleineren Impfstationen, es wurden aber auch einzelne Zentren wieder- oder neueröffnet.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen