Unfall, Rettung, Umweltsorgen Was über die Schiffskollision in der Nordsee bekannt ist
11.03.2025, 13:44 Uhr Artikel anhören
Eine Kollision, Explosionen, Feuer - und womöglich katastrophale Folgen für die Umwelt: Wegen eines Schiffsunglücks vor der britischen Nordseeküste läuft seit Montagvormittag ein Großeinsatz. Warum der Frachter "Solong" der Hamburger Reederei Ernst Russ AG gegen den vor Anker liegenden Öltanker "Stena Immaculate" prallte, ist noch unklar. Was bislang über die Schiffskollision bekannt ist:
Der Unfallhergang
Die 183 Meter lange "Stena Immaculate" lag rund 15 Kilometer vor der nordostenglischen Hafenstadt Hull vor Anker, als sie nach Angaben ihres in Florida ansässigen US-Betreibers Crowley Maritime am Montag von dem 140 Meter langen Frachtschiff "Solong" gerammt wurde. Der Alarm wurde um 09.48 Uhr Ortszeit (10.48 Uhr MEZ) ausgelöst.
Nach Informationen der auf Seetransporte spezialisierten Website "Lloyd's List Intelligence" hatte die "Solong" Alkohol sowie 15 Container leicht entflammbares Natriumcyanid geladen. Die deutsche Reederei widersprach dem jedoch. Entsprechende Meldungen, hochgiftiges Natriumcyanid sei an Bord, seien unzutreffend, ließ das Unternehmen Ernst Russ in London erklären. Auf dem Schiff befänden sich lediglich vier leere Container, die in der Vergangenheit zum Transport der Chemikalie verwendet worden seien.
Infolge der Kollision brach ein Großbrand aus, der beide Schiffe erfasste. Laut Crowley Maritime hatte die "Stena Immaculate" rund 220.000 Barrel (knapp 35 Millionen Liter) Flugkraftstoff geladen, laut Pentagon war das Schiff vom Military Sealift Command der US-Armee gechartert worden. Die Kollision habe den Kerosintank zum Bersten gebracht, teilte Crowley mit. Außerdem gebe es Berichte über auslaufendes Öl.
Die Rettung
Nach "zahlreichen Explosionen an Bord" verließ die Besatzung der "Stena Immaculate" den Tanker, wie Crowley Maritime weiter berichtete. Insgesamt 36 Besatzungsmitglieder beider Schiffe wurden an Land gebracht. An dem Rettungseinsatz waren laut Küstenwache ein Flugzeug, Rettungsboote mehrerer Küstenstationen sowie andere Schiffe beteiligt.
Stena Bulk, der schwedische Eigentümer der "Stena Immaculate", teilte mit, dass die gesamte Besatzung des Tankers überlebt habe. Von der "Solong" wurden 13 Besatzungsmitglieder an Land gebracht. Die Suche nach einem vermissten Besatzungsmitglied wurde laut Küstenwache in der Nacht vorerst eingestellt.
Die britische Regierung geht inzwischen vom Tod des seit Montag vermissten Besatzungsmitglieds aus. "Unsere Arbeitshypothese ist, dass der Seeman traurigerweise gestorben ist", sagte Verkehrsstaatssekretär Mike Kane vor dem Parlament in London. Die Angehörigen des Mannes seien informiert worden.
Infolge des Unfalls setzte der Hafenbetreiber Associated British Ports (ABP), der auch für die nahegelegenen Häfen Hull und Immingham zuständig ist, den gesamten Schiffsverkehr in der in die Nordsee führenden Humber-Mündung aus.
Feuer auf beiden Schiffen
Auf Bildern von der Unglücksstelle waren Flammen und dichter schwarzer Rauch zu sehen. Laut der Seerettungsorganisation Royal National Lifeboat Institution (RNLI) lagen Berichte über "Brände auf beiden Schiffen" vor. Am Morgen wütete das Feuer immer noch, wie der Leiter der Hafenbehörde in Grimsby, Martyn Boyers, mitteilte.
Nach der Schiffskollision bekämpften Einsatzkräfte das Feuer und leiteten Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltschäden ein. Die britische Behörde zur Untersuchung von Schiffsunfällen entsandte nach eigenen Angaben ein Team, um Beweise zu sammeln und die "nächsten Schritte" zu prüfen.
Der niederländische Schifffahrtsdienstleister Boskalis, der nach eigenen Angaben mit der Bergung der "Stena Immaculate" beauftragt wurde, teilte laut niederländischer Nachrichtenagentur ANP mit, es seien vier für das Löschen von Bränden einsetzbare Schiffe auf dem Weg an den Unglücksort. Der Öltanker müsse zunächst heruntergekühlt werden, bevor der Brand gelöscht werden könne.
Das deutsche Havariekommando entsandte laut einem Sprecher das Mehrzweckschiff "Mellum" mit Technik zur Brandbekämpfung sowie zur Aufnahme von Öl. Es traf mittlerweile in der Nähe des Unglücksortes ein. Ein Überwachungsflugzeug, das das Havariekommando zur Unterstützung der britischen Küstenwache angeboten hat, befand sich am Vormittag jedoch noch in Deutschland.
Sorge vor Umweltschäden
Der Greenpeace-Wissenschaftler Paul Johnston erklärte mit Blick auf die Ladung der Schiffe, seine Organisation sei "extrem besorgt über die vielfältigen toxischen Gefahren, die diese Chemikalien für das Meeresleben darstellen könnten". Offenbar sei Kerosin in der Nähe eines Gebiets ins Wasser gelangt, in dem Schweinswale ihre Kälber großziehen.
Ivan Vince von der auf Beratung zu Umweltrisiken spezialisierten Firma ASK Consultants sagte, die "gute Nachricht" sei, dass das auslaufende Kerosin das Meer nicht dauerhaft verschmutze wie Erdöl. "Das meiste davon wird ziemlich schnell verdunsten, ziemlich schnell von Mikroorganismen zersetzt werden", so der Experte. Allerdings werde das Kerosin Fische und andere Lebewesen töten.
Schiffskollisionen in Nordsee selten
Laut David McFarlane von der Schifffahrtsberatungsgesellschaft Maritime Risk and Safety gibt es weltweit jährlich etwa 200 bis 300 Schiffskollisionen. Bei den meisten handele es sich nur um leichte Zusammenstöße im Hafen. In der Nordsee gibt es zwar viel befahrene Schifffahrtsrouten, Unfälle kommen dennoch relativ selten vor.
Die Schifffahrtsregeln besagen, dass alle Schiffe "zu jeder Zeit" Ausschau nach anderen Schiffen und möglichen Hindernissen halten müssen. "Und hier ist eindeutig etwas schiefgelaufen, denn wenn es eine ordentliche Ausschau gegeben hätte, hätte diese Kollision vermieden werden können", sagte MacFarlane.
Sobald das Feuer gelöscht ist, werden die Ermittler auf beiden Schiffen nach den Rekordern suchen, die Daten der Schiffsaktivität aufzeichnen - ähnlich der Blackbox bei Flugzeugen. Darauf müssten sowohl Daten des Schiffsradars als auch Aufnahmen der Stimmen der Besatzungen auf der Brücke zu finden sein. Damit könnten Ermittler feststellen, ob und wie die beiden Schiffsmannschaften vor dem Unglück miteinander kommunizierten, erklärte McFarlane.
Quelle: ntv.de, als/AFP