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Segelboot-Tragödie vor Sizilien Warum ging die Superjacht "Bayesian" unter?

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Sieben Menschen starben, als die Superjacht "Bayesian" im Mittelmeer versank.

Sieben Menschen starben, als die Superjacht "Bayesian" im Mittelmeer versank.

(Foto: IMAGO/Avalon.red)

Sieben Menschen sterben Anfang vergangener Woche beim Untergang der "Bayesian" im Mittelmeer. Das Jachtunglück vor Sizilien mit dem bekannten britischen Tech-Millionär Mike Lynch an Bord ist ein großes Rätsel. Wie kann eines der modernsten Segelboote der Welt innerhalb von etwa einer Minute sinken?

Es sollte eine riesengroße Party werden, stattdessen endet der Segeltrip von Mike Lynch in einer Tragödie. Der britische Tech-Millionär, seine Tochter Hannah, Freunde und Geschäftspartner sterben vergangene Woche in einem kurzen, aber kräftigen Unwetter an Bord der Luxusjacht "Bayesian" vor Sizilien. Doch der genaue Ablauf des Unglücks stellt die Ermittler immer noch vor Rätsel. Denn das Segelschiff war hochmodern - und angeblich unsinkbar. Was ist passiert?

Der Sturm schlägt in der Nacht von Sonntag auf Montag zu. Um kurz vor 4.00 Uhr erreicht das Unwetter die "Bayesian" vor der nordsizilianischen Küste. Und in unmittelbarer Nähe auch die "Sir Robert Baden Powell" - mit dem deutschen Kapitän Karsten Börner an Bord.

Das Unwetter ist so stark, dass Börner den Motor der Segeljacht auf Hochtouren laufen lassen muss, um die "Sir Robert Baden Powell" aufrecht zu halten - obwohl das Boot vor Anker liegt, erzählt der Skipper im ntv-Interview. "Eine Gewitterfront kam und wir waren selber sehr mit uns selbst beschäftigt. Die 'Bayesian' lag hinter uns und wir haben ab und zu mal geguckt, dass wir denen nicht zu nahe kommen. Irgendwann haben wir uns umgeguckt und haben die Jacht nicht mehr gesehen und uns gewundert, wo die geblieben ist."

Sieben Menschen ertrunken

Die "Bayesian" hatte in der Nacht vor dem Hafen von Porticello festgemacht, einem kleinen Fischerdorf östlich von Palermo. Aufnahmen von einer Sicherheitskamera am Ufer belegen, wie schnell die Luxusjacht gesunken ist - nur etwa 700 Meter von Porticello entfernt. Innerhalb von ein bis zwei Minuten versank das Boot im Meer, der 75 Meter hohe Segelmast brach.

Fischer aus dem Dorf begannen auf Bitten der Hafenbehörde etwa 20 Minuten später einen Rettungsversuch derjenigen, die es nicht in die Rettungsinsel geschafft hatten. Während der dreistündigen Suche fanden sie aber nur Matratzen, Möbel und eine der vier Radarkomponenten der Jacht. Der ertrunkene Koch wurde schnell gefasst, die Leichen der sechs anderen wurden erst Tage später im Wrack der "Bayesian" gefunden - 50 Meter tief auf dem Boden des Mittelmeers.

In der Unglücksnacht dachte Börner, der deutsche Kapitän des zweiten Segelboots vor Porticello, zunächst, die "Bayesian" sei einfach weggefahren. Doch der Erste Offizier beharrte darauf, dass die Jacht gesunken sei. Und auf dem Radargerät war die "Bayesian" plötzlich auch nicht mehr zu finden. Kurz darauf entdeckte ein Gast auf Börners Boot eine rote Leuchtkugel im Wasser.

Börner und sein Steuermann steuerten daraufhin mit einem Beiboot die Lichtquelle an. Das Unwetter war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeflaut. Im Wasser entdeckten sie einige Wrackteile und registrierten sofort, dass die "Bayesian" tatsächlich gesunken war. Als sie die Leuchtkugel erreichten, blickten Skipper und Steuermann in 15 regungslose Gesichter auf einer Rettungsinsel. "Diese 15 kamen noch aus dem Schiff raus. Die Rettungsinsel hat sich aufgeblasen. Deswegen konnten die in die Rettungsinsel rein und wir konnten sie dann aus der Rettungsinsel bergen und zu unserem Schiff bringen", berichtete Börner bei ntv.

"Unsinkbar, wenn ..."

Warum ist eine der weltweit modernsten Jachten so schnell gesunken? Die "Bayesian" wurde vom italienischen Luxusjachten-Hersteller Perini gebaut und war erst 2020 zur letzten Überholung im Werk. Giovanni Costantino, der Chef des Perini-Eigentümers Italian Sea Group, bezeichnete die "Bayesian" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "eines der sichersten Boote der Welt" und "unsinkbar, wenn man durch gravierende Fehler nicht Wasser eintreten lässt oder etwa ein Leck auftritt".

Costantino hat bereits eine Theorie zum möglichen Hergang der Tragödie: Seine Firma habe Untersuchungen angestellt, sagte er der FAZ. Als der Wind um 3.50 Uhr auffrischte, habe sich das Schiff demnach noch in der Ankerposition befunden - allerdings im 90-Grad-Winkel zum Wind. Costantino zufolge ist das die schlechteste Position. Der Wind habe auf den linken Bauch des Bootes gedrückt. Dadurch habe sich die Jacht immer weiter zur Seite geneigt, bis Wasser einlaufen konnte. Offenbar habe die Besatzung trotz des schlechten Wetters Türen offen gelassen, berichtet Costantino. Die Crew bestreitet jedoch, dass Türen geöffnet waren.

Sicher ist, dass sich die "Bayesian" schließlich vom Anker löste. Die Jacht drehte sich dann "auf einer Strecke von rund 360 Metern um sich selbst und driftete nach vier oder fünf Minuten zu der Position, wo sie später sank." Der Segelmast stand zu diesem Zeitpunkt noch aufrecht, doch dann gingen die Lichter aus. Nur das batteriebetriebene Licht an der Spitze leuchtete noch. Schließlich gab der Mast im Wind nach, brach und das Schicksal der "Bayesian" war besiegelt.

Zweiminütige Wasserhose brachte "Bayesian" zum Kentern

Einen Vorfall dieser Art mit einer so großen Jacht habe es so im Mittelmeer noch nicht gegeben, sagte Marinearchitekt David Cannell dem britischen Fernsehsender "Sky News". "Eine Jacht wie diese ist eigentlich so konzipiert, dass sie überall auf der Welt segeln und fahren kann. Sie könnte bei der Überquerung von Ozeanen stürmischen Bedingungen ausgesetzt werden und wäre in der Lage, diese zu bewältigen."

Warum der erfahrene Kapitän und seine Crew offensichtlich nicht auf das Unwetter vorbereitet waren, ist unklar. Als Ursache für das verheerende Kentern wird eine Wasserhose vermutet, eine Art Tornado über dem Meer, in der Regel zwei bis drei Meter breit. Diese Wetterphänomene sind durch das warme Mittelmeerwasser im italienischen Spätsommer nicht ungewöhnlich. Nach bisherigen Erkenntnissen dauerte die Wasserhose nur zwei Minuten an. In dieser Zeit sank das Boot, bereits um 4.06 Uhr war es nicht mehr auf dem Radar zu sehen.

Das Naturereignis hätte aber niemals dazu führen dürfen, dass die Jacht sinkt, ist Costantino überzeugt. Die Crew hätte alle Öffnungen schließen, alle Passagiere an einer Sammelstelle zusammenführen, die Ankerkette hoch, den Kiel runter und den Bug in den Wind stellen müssen. "Triviale Operationen", sagt der Bootsbauer - dann hätte die Jacht ihre Fahrt am Morgen ganz normal fortsetzen können.

Kiel ist der Schlüssel zur Klärung der Ursache

Der ausgefahrene Kiel hätte das Boot im stürmischen Wetter stabilisiert und das starke Kippen auf eine Seite verhindert. Auch Experte Cannell hält diese Theorie als Unglücksursache für wahrscheinlich. "Wenn der Kiel angehoben war und eine sehr hohe Windkraft auf den Mast einwirkte, ist es möglich, dass dadurch die Stabilitätsparameter überschritten wurden, da der Kiel bei angehobenem Kiel nicht ausgleichend wirkt. Vielleicht kippte das Schiff deshalb um fast 90 Grad."

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Auch Matthew Schank, Chef des Maritime Search and Rescue Council, ist überzeugt, dass der Kiel der Schlüssel zur Klärung des Unglücks ist. "War der Kiel ausgefahren oder war er verstaut, das muss herausgefunden werden", stellt Schanck bei "Sky News" klar. "Wenn der Kiel angehoben wurde, hätte das einen erheblichen Einfluss auf die Fähigkeit des Schiffes haben können, aufrechtzubleiben, als das Unwetter zuschlug."

Die britische Behörde hat vier Inspektoren nach Sizilien geschickt, weil die Jacht unter britischer Flagge unterwegs war. Sie sollen dabei helfen, die Umstände des Unglücks lückenlos aufzuklären.

Die Staatsanwaltschaft auf Sizilien hat ebenfalls Ermittlungen eingeleitet. Demnach wollen die italienischen Beamten unter anderem prüfen, was der Kapitän mit dem Kiel gemacht hat, bevor das Schiff mit Wasser überflutet wurde. Ein gehobener Kiel am Ankerplatz könnte erklären, warum das riesige Segelboot innerhalb von nur 60 Sekunden gesunken ist. Gegen den Kapitän der "Bayesian", der das Unglück überlebt hat, wird wegen fahrlässiger Tötung und Schiffsbruch ermittelt.

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Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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