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Pjöngjangs neue Strategie Wie Kinder-Influencer Kim Jong Un helfen sollen

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In der nordkoreanischen Propaganda spielen Kinder schon immer eine Rolle.

In der nordkoreanischen Propaganda spielen Kinder schon immer eine Rolle.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seit ein, zwei Jahren tauchen sie plötzlich im Internet auf: nordkoreanische Influencer. Meist sind es junge Mädchen, die ihren Followern ein buntes Leben in Pjöngjang und schier endlose Möglichkeiten in dem isolierten Land präsentieren. Experten vermuten Machthaber Kim hinter den Accounts.

"Pjöngjang, wo ich wohne, ist eine sehr schöne und großartige Stadt", lächelt eine Elfjährige, die sich auf Youtube Song A nennt, in die Kamera. Das Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen trägt ein geblümtes Kleid, hinter ihr sind Teddybären zu sehen, viele Bücher und rosa Vorhänge. Die fröhliche Melodie, mit der das Video unterlegt ist, klingt wie aus dem Intro einer Kinderserie. "Warst du schon einmal in Pjöngjang?", fragt sie ihre Follower. "Du wirst überrascht sein - an jeder Ecke gibt es Vergnügungsparks."

Vergnügungsparks und bunt eingerichtete Kinderzimmer sind sicherlich nicht die ersten Dinge, die einem beim Gedanken an Nordkorea einfallen. Genau dieses Bild vermittelt die Grundschülerin jedoch auf ihrem Youtube-Account: Seit knapp einem Jahr nimmt sie ihre über 30.000 Follower mit auf Ausflüge in der nordkoreanischen Hauptstadt - sie besucht etwa einen Wasserpark, ein Wissenschaftszentrum oder feiert ihren ersten Schultag. Die fröhlichen Videos - es gibt kaum einen Moment, wo das Mädchen nicht in die Kamera strahlt - stoßen durchaus auf Interesse: Ihr erstes Video wurde bereits über eine halbe Million mal geklickt.

Song A ist Nordkoreas bekannteste Influencerin - jedoch nicht die einzige. Ihr Youtube-Kanal ist einer von mehreren Accounts von Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern in den sozialen Medien, die in den vergangenen ein bis zwei Jahren plötzlich im Internet auftauchten. Auffallend ähnlich sind sie sich vor allem in einem: Ihre Videos zeigen einen spannenden und freien Alltag in Nordkorea - oft vorgestellt von Kindern wie Song A.

Teil einer neuen Propagandawelle

Nun sind Kinder in den sozialen Medien kaum etwas Neues. Auf Hunderttausenden Kanälen zeigen Mütter und Väter den Alltag ihrer Sprösslinge, auf mindestens genauso vielen halten Teenager ihre Follower mit den neuesten Make-Up-Trends oder Schulhofgeschichten auf dem Laufenden. Im Unterschied zu diesen sogenannten Kidfluencern geht es den jungen Nordkoreanerinnen und Nordkoreanern jedoch weniger um Spaß vor der Kamera, Likes oder profitbringende Werbedeals, wie Experten vermuten.

Vielmehr seien sie Teil einer neuen Propagandawelle des nordkoreanischen Regimes, vermutete Colin Alexander, Dozent für politische Kommunikation in Ostasien im britischen Nottingham im Gespräch mit "MailOnline". Es gehe darum, der Welt eine Botschaft zu senden: Das Leben in Nordkorea ist bei Weitem nicht so schlimm wie angenommen, im Gegenteil - es ist sogar sehr idyllisch. "Und das, obwohl sie bisher die meiste Zeit damit verbracht haben, die internationale Gemeinschaft zu ermutigen, Angst vor ihnen zu haben", fügte der Politikwissenschaftler hinzu.

Tatsächlich war die Außendarstellung des diktatorischen Staates bisher vor allem von der Präsentation militärischer Macht geprägt. Größtenteils waren es Bilder von gigantischen Raketen oder marschierenden Soldaten, die von der staatlichen Nachrichtenagentur um die Welt geschickt wurden. Nun sollen Videos auf Youtube und Tiktok das Gegenstück dazu bilden. Eine Art innovative Propaganda, die der Welt die Normalität des nordkoreanischen Alltags vermittelt.

Videos sollen "Authentizität vortäuschen"

So filmt sich Song A nicht nur bei Dutzenden Freizeitmöglichkeiten, die Pjöngjang angeblich bietet, sondern auch in einem hochmodernen Kinderkrankenhaus. "Wenn man hierherkommt, weiß man, dass es einen Palast für Patienten gibt", schwärmt sie in die Selfie-Kamera. Andere Influencer des Landes zeigen sich beim Angeln, in einer gut ausgestatteten Turnhalle oder im Kino. Spaß und schier unendliche Möglichkeiten stehen bei allen Videos im Vordergrund, von Armut und strengen Regeln gibt es keine Spur.

Allerdings finden sich in den Videos schnell Indizien, die auf ein Drehbuch hindeuten. So wirkt die Vorstellung von Song A abgelesen, immer wieder wandern ihre Augen fragend hinter die Kamera. Die meisten Videos weisen eine niedrige Produktionsqualität und Erzählweise auf, sagte Sarah Son, Dozentin für Koreanistik an der Universität Sheffield dem "Telegraph". Allerdings seien sie sorgfältig ausgearbeitet, "um Authentizität vorzutäuschen".

"Sie schauen sich an, was es da draußen gibt und versuchen, es nachzuahmen", erklärte der britische Nordkorea-Experte Owen Miller der britischen Zeitung. Der Inhalt der Videos zeige deutlich, dass "diese Leute, die für diese Propaganda verantwortlich sind, sehr genau wissen, was in der Welt vor sich geht".

Nordkorea - die blühende Nation?

Tatsächlich handeln die Videos immer wieder von Themen, die international als Problem Nordkoreas gelten. So hieß es in einem Video von Song A, das mitten in einer verheerenden Corona-Welle hochgeladen wurde: "Alles ist unter Kontrolle, so wie es immer war, und allen geht es gut." Der Tiktok-Account "North Korean Life" zeigt Luxusautos und schreibt dazu: "Viele Menschen denken, Nordkorea hat keine Autos. In Wirklichkeit haben wir viele Autos wie Audi, Mercedes, Hyundai und viele mehr."

Besonders viel Aufmerksamkeit bekam zudem ein Video der Influencerin Yumi. Darin bewirbt sie verschiedene Eiscremesorten einer Firma, "die unter der Leitung von Präsident Kim Jong Un gebaut wurde". Das junge Mädchen zeigt sich voller Euphorie - der nordkoreanische Machthaber wolle "mehr nahrhafte Lebensmittel für die Bürger von Pjöngjang entwickeln". Das Video wurde im August vergangenen Jahres hochgeladen. Kurze Zeit später machte die chronische Lebensmittelknappheit des Landes infolge der Pandemie und dem Atomwaffenprogramm der Führung Schlagzeilen.

Pjöngjang setzt auf Influencer, meist junge Mädchen, um Nordkorea als blühende Nation zu verkaufen. Warum aber macht sich das weitestgehend abgeschirmte Land Gedanken um sein Image, stellt sich gar als sympathisch, sogar touristenfreundlich dar? Die neue Propagandastrategie könnte ein Versuch sein, für Tourismus zu sorgen, um die stark angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln, vermutet Ha Seung-hee, Forschungsprofessor für Nordkoreastudien an der Dongguk-Universität in Seoul im Gespräch mit CNN.

"Gut vorbereitetes Theaterstück"

Tatsächlich scheinen die Clips vor allem für ein globales Publikum gedacht zu sein. Zum einen, weil die Protagonisten mehrheitlich fließend Englisch sprechen. Zum anderen haben nur die wenigsten Nordkoreaner Zugang zu Smartphones oder dem im Land ohnehin streng regulierten Internet. Ausländische Medien wie Bücher und Filme sind verboten - wer mit Schwarzmarktschmuggel erwischt wird, muss oft mit harten Strafen rechnen.

Aus diesem Grund sind die Influencer um Song A und Yumi, die nicht nur Smartphones besitzen, sondern auch Zugang zum Internet haben, keine gewöhnlichen Nordkoreaner, betonte Park Seong-cheol, Forscher am Database Centre for North Korean Human Rights, gegenüber CNN. Berichten zufolge ist Song A etwa die Tochter eines Diplomaten, die lange Zeit eine englische Schule besucht hat. Da ausgewählte Nordkoreaner tatsächlich einige Privilegien genießen, seien die Darstellungen in den Videos meistens nicht einmal gelogen, sagte Park. Allerdings seien sie eben keineswegs repräsentativ für das Leben der Millionen verarmten Nordkoreaner.

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Der Experte gibt ein Beispiel: Die Stromversorgung in Nordkorea funktioniert nicht reibungslos - das Land ist berüchtigt für seine Stromausfälle. Um einen Vergnügungspark, gar "an jeder Ecke" zu betreiben, reiche dieser nicht aus. "Ich habe gehört, dass sie ihn nur an den Wochenenden oder an einem besonderen Tag betreiben", sagte Park. Die Social-Media-Inhalte aus Nordkorea sehen für ihn aus "wie ein gut vorbereitetes Theaterstück, das von der nordkoreanischen Regierung geschrieben wurde".

Pjöngjang erschafft also gewissermaßen "Kimfluencer", um die Welt zu beeindrucken. In kaum einem Fall dürfte dies gelingen, zu offensichtlich ist die Propaganda hinter den meisten Videos. Experten sind laut CNN trotzdem dafür, die Accounts auf den Plattformen nicht zu sperren. Denn wie sehr sie auch geskripted sein mögen, bieten sie einen wertvollen Einblick in das verschlossene Land.

Quelle: ntv.de

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