Panorama

Banden aus Osteuropa Wie mächtig sind die Mafia-Clans?

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Szene aus dem legendären Film "Der Pate" mit Marlon Brando. Das Bild der Mafia wurde vielfach durch Filme bestimmt. Mit der Realität hat das oft nicht viel zu tun.

(Foto: imago stock&people)

70-mal schossen die Mafia-Attentäter der 'Ndrangheta vor dem Duisburger Hauptbahnhof. Am Ende lagen sechs Leichen vor dem Restaurant "Da Bruno". Was im August 2007 im Ruhrgebiet passiert ist, hat den Deutschen klargemacht: Die Organisierte Kriminalität ist anwesend. Zehn Jahre später machen nicht mehr nur die italienischen Mafia-Clans hierzulande Milliarden mit Geldwäsche, Drogenhandel und Schutzgelderpressung, sagt Mafia-Experte und Buchautor Jürgen Roth. Welche Mafia-Clans in Deutschland einen weitaus größeren gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss haben, verrät er im Interview.

n-tv.de: Zehn Jahre nach den Mafiamorden von Duisburg beschäftigen sich heute Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und Bürger mit dem Kampf gegen Verbrecherclans in Deutschland. Was erwarten Sie von der Anti-Mafia-Konferenz 2017?

Jürgen Roth: Ich erwarte, dass endlich darauf eingegangen wird, wie die neuen Entwicklungen der Mafias überhaupt funktionieren. Das, was heute in Berlin geschieht, konzentriert sich auf die Geschichte der Mafia, insbesondere auf die 'Ndrangheta, also die kalabresische Mafia, mit dem Versuch, zu sagen: Guckt hier, die sind nicht nur in Italien stark, sondern auch in  Deutschland. Doch dieser Vergleich ist einfach falsch.

Warum?

Die 'Ndrangheta ist in Italien natürlich ein wirtschaftlicher, ein politischer und ein militärischer Machtfaktor. Sie kann eigentlich nur wegen der Beziehungen in die Geschäftswelt, in die Politik und in die Verwaltung hinein überleben. Das macht die Macht der 'Ndrangheta-Clans aus. Diese Situation haben wir in Deutschland nicht. Es gibt keine Verbindungen in die Politik. Es mag zwar Verbindungen in die Wirtschaft geben, es gibt aber keine engen Verzahnungen und Verquickungen mit der Verwaltung beispielsweise.

Würden Sie sagen, dass die deutschen Behörden den Begriff der Mafia deshalb offiziell nicht benutzen und stattdessen von Organisierter Kriminalität sprechen?

Ja, einerseits ist das richtig, aber wohlweislich nur was die Italiener angeht, die hier operieren. Das ist in der Tat "Organisierte Kriminalität". Diese einzelnen Clans, verbunden durch die Blutsverwandtschaft - insbesondere, was die kalabresische Mafia angeht -, die haben natürlich ihre Beziehungen hier in Deutschland. Sie haben ihre Familien hier, ihre Clan-Angehörigen. Die sind alle mehr oder weniger dem Bundeskriminalamt bekannt. Doch die Mafia-Mitgliedschaft allein ist, anders als in Italien, kein Straftatbestand und während hier die Behörden einem mutmaßlichen Mafioso nachweisen müssen, dass er die Millionen, die er in Immobilien investiert, illegal erworben hat, ist es dort umgekehrt: Kann der Verdächtige nicht belegen, wie er zu dem Vermögen gekommen ist, wird es beschlagnahmt.

In welchen Bereichen agiert die italienische Mafia denn hierzulande?

Geldwäsche spielt eine große Rolle und Drogenhandel, dabei ist besonders der Kokainhandel zentral. Es gibt außerdem Verbindungen zu Menschenschmugglern, also zu Schleusern, die von Sizilien über Kalabrien teilweise bis nach Deutschland gehen. Auch in der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und natürlich teilweise in der Schutzgelderpressung, wohlgemerkt in ihrer Ethnie, ist die Mafia aktiv.

In Ihrem Buch "Mafialand Deutschland" behaupten Sie, dass die italienische Mafia jährlich 150 Milliarden Euro umsetzt. Was bemerkt der normale Bürger davon?

Der bemerkt gar nichts. Der bekommt vielleicht im italienischen Restaurant, das zur 'Ndrangheta gehört, besonders gutes Essen oder manchmal auch besonders beschissenes Essen. Das ist ganz unterschiedlich, je nachdem, aus welcher Region der Wirt kommt. Der Bürger bekommt das nur indirekt mit, weil überall die Mieten steigen, weil das schmutzige Geld hier in Immobilien gewaschen wird. Das führt dann unter anderem eben auch zu steigenden Mieten, die der normale Bürger gar nicht mehr bezahlen kann. Das ist das große Problem, dass diese Finanzströme - insbesondere im Immobilienbereich hinein - bisher noch nicht mal ansatzweise erfasst worden sind.

Warum hat die Mafia überhaupt die Möglichkeit, in Deutschland so gut Fuß zu fassen?

Weil es unterschiedliche Mafia-Gruppen gibt, also unterschiedliche kriminelle Strukturen der Organisierten Kriminalität. Da spielen die Italiener sicher eine Rolle, aber ich bin fest davon überzeugt, nicht die entscheidende Rolle.

Wer spielt die?

Die osteuropäischen und russischen Mafia-Clans haben einen weitaus größeren gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss hier in Deutschland als alle anderen kriminellen Organisationen. Sie müssen bedenken, dass insbesondere die kriminellen Organisationen aus der ehemaligen UdSSR Zugriff auf den Energiebereich haben. Sie haben große Unternehmen, Aluminiumkonzerne, die teilweise den Weltmarkt beherrschen. Das spielt im Grunde genommen auf einer ganz anderen Ebene. Es gibt eine interessante Aussage vom ehemaligen leitenden italienischen Oberstaatsanwalt Roberto Scarpinato über die Macht dieser neuen Mafia, der sagt: "Es gibt jetzt eine neue Cupola" - die Cupola ist das oberste Entscheidungsgremium der bis heute streng hierarchisch organisierten Cosa Nostra -, "die inzwischen die legale Wirtschaft kolonialisiert." Das heißt, es hat einen Qualitätssprung in der Entwicklung der Mafia gegeben. Und dort gibt es jetzt eine Selektion - das heißt, dass noch eine kriminelle Elite am großen Spiel der Macht teilnimmt - und da spielen die Italiener keineswegs mehr die entscheidende Rolle.

Welche Informationsquellen haben Sie und wie glaubwürdig sind diese?

Ich beschäftige mich seit den 1980er-Jahren mit kriminellen Organisationen. Wenn man so alt ist und so viel Erfahrung hat, dann fließen die Informationen ziemlich automatisch. Wenn man die Kontakte zu Staatsanwälten und entsprechenden Entscheidungsträgern hat, die in diesem Bereich aktiv sind, dann hat man einen großen Vorteil. Die Informationen sind mehr oder weniger unbestritten und werden auch in Italien sowohl wissenschaftlich als auch von Antimafia-Staatsanwälten geteilt. Die sagen: Wir haben einen Qualitätssprung der Mafias und mit dem müssen wir uns beschäftigen. Es gilt, die Brücke zu zerschlagen zwischen der kriminellen Organisation und der Verwaltung und der Politik. Das scheint jedoch unendlich schwierig zu sein. Das ist schon in Italien schwierig und in Ländern, wo es keinen Rechtsstaat gibt, noch weitaus schwieriger. Und das ist eben in den osteuropäischen Ländern überwiegend der Fall.

Sie haben mehrere Bücher geschrieben und gelten als großer Mafia-Experte. Werden Sie bedroht?

Nein, wir in Deutschland müssen überhaupt keine Angst haben, dass wir bedroht werden. Wir bekommen Prozesse durch Pressegerichtsverfahren, dass wir bestimmte Namen nicht nennen dürfen, da wird dann Schmerzensgeld gefordert - und das bekommen diese Mafiosi dann in aller Regel leider auch -, aber ansonsten kenne ich keinen Fall eines deutschen Journalisten in den letzten 20 Jahren, der von der Mafia bedroht worden ist - ganz im Gegensatz zu den Kollegen in Italien.

Mit Jürgen Roth sprach Diana Sierpinski

Quelle: ntv.de

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