Wiedersehen nach 21 Jahren Verlorener Sohn kehrt zurück
08.12.2009, 08:17 Uhr5000 Menschen sterben 1988 beim Giftgas-Angriff auf Halabscha. Fatima Hama Saleh und ihr Sohn Simnaco überleben, doch verlieren sich. Jahrzehnte später sehen sie sich wieder.

Hilfen für Kurdenstadt 21 Jahre nach Giftgasangriff: Der irakische Premierminister Nuri al-Maliki (2.v.r.) besucht die betroffene Gegend (Archivbild vom 03.08.2009).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Simnaco ist 21 Jahre alt, als er zum dritten Mal geboren wird. An diesem denkwürdigen Tag Anfang Dezember im irakischen Dorf Kulkin spricht er zum ersten Mal mit seiner Mutter, Fatima Hama Saleh. Die 50-Jährige sinkt von Glück überwältigt in ihren Stuhl, als sie das Ergebnis einer DNA-Analyse hört, die ihr den Sohn zurückgibt. Sie umarmt Simnaco, streichelt ihn, dankt Gott für das Geschenk, zwei Jahrzehnte nach dem Giftgas-Bombardement ihrer kurdischen Heimatstadt Halabdscha durch die Truppen des damaligen irakischen Machthabers Saddam Hussein den Sohn wiederzusehen.
Es war der 16. März 1988, als Simnaco zum zweiten Mal geboren wurde. An jenem Tag hörte Fatima Hama Saleh Flugzeuge in der Luft. Irakische Kampfflugzeuge donnerten über die Stadt Halabdscha in der Autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Irak. Zuvor hatten die kurdischen Peschmerga-Kämpfer die Zivilisten in dem Ort zurückgelassen, zermürbt von irakischem Dauerbeschuss. "Es war elf Uhr, ich saß zu Hause", erinnert sich Saleh. Dann strömte das Giftgas aus, fünf Stunden lang, eine todbringende Mischung aus Senfgas, Tabun, Sarin und VX, jedes für sich hochtoxisch. Unten starben rund 5000 Menschen einen grausamen Tod. Fünf Monate später endete der irakisch-iranische Krieg (1980-1988).
Für einen Waisen gehalten
Saleh und ihr wenige Monate alter Säugling überlebten das Inferno. "Wir sind in den Schutzraum", sagt Saleh. "Als wir herausgekommen sind, habe ich mir ein befeuchtetes Taschentuch vor das Gesicht gehalten, aber ich bin mit Simnaco auf den Knien umgekippt." Ihr Mann und ihre vier anderen Kinder starben im Gas. Als Saleh erwachte, lag sie in einem Krankenhaus in der iranischen Grenzstadt Karmanschah. Simnaco war nicht bei ihr. Später wurde sie nach Teheran verlegt. "Ich habe alle um mich herum nach meinem Sohn gefragt, aber keine Antwort erhalten." Simnaco wurde im selben Krankenhaus in Karmanschah behandelt, doch niemand brachte die beiden zusammen. Er kam in ein Waisenhaus im Nord-Iran.
Eine Witwe, Mutter zweier Kinder, nahm das vermeintliche Waisenkind zu sich. Sie nannte ihn Ali, liebte ihn, als sei er ihr eigener Sohn: "Ich hatte den Eindruck, dass sie mich mehr liebte, als ihre eigenen Kinder. Sie war sehr zärtlich und ich habe mich nie als Waise gefühlt", erinnert sich Simnaco. Der Bruder der Adoptivmutter, Asfindjar Hamid Pur, sagt, seine Schwester sei als einzige im Ort zur Adoption bereit gewesen. "Sie hat ihn wirklich geliebt und er war der Liebling", sagt Pur, der zu der von den Behörden organisierten Wiedersehensfeier mit der leiblichen Mutter Simnacos nach Kulkin gereist ist.
DNA-Test bringt Gewissheit
Als Simnaco alt genug war, eröffnete ihm seine Ziehmutter die Wahrheit, ohne zu wissen, dass es nur die halbe ist: "Du kommst aus der Kurdenstadt Halabdscha. Du hast deine ganze Familie bei einem Angriff verloren", sagt Kubra Hamid Pur, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, als Simnaco 18 Jahre alt war. Seine Halbbrüder heirateten und verließen das Elternhaus. Simnaco hielt nichts mehr im Iran und er begab sich auf die Suche nach seinen Wurzeln. Im Internet stieß er auf Hilfsorganisationen für Halabdscha-Opfer. Das iranische Ministerium für Märtyrer half ihm bei seiner Reise in den Irak. Er machte einen DNA-Test.
Zu dieser Zeit erfuhr Fatima Hama Saleh durch das Fernsehen, dass ein Halabdscha-Findelkind aufgetaucht sei. Wie vier andere Familien gab auch sie DNA-Proben ab, die in Jordanien ausgewertet wurden. Dann bekommen sie es amtlich bestätigt: Am Mahnmal für die Märtyrer von Halabdscha in Kulkin bei Halabdscha sind sie in einem Saal zusammengekommen, ein Mitarbeiter des Zivilgerichts erhebt sich und sagt: "Nach den DNA-Tests ist Ali der Sohn von Fatima Hama Saleh."
Ein Freudenschrei gellt durch den Raum, Saleh will sich erheben, aber hat nicht die Kraft. Gestützt von Angehörigen schließt sie ihren Sohn in die Arme: "Als wäre meine Familie wiederauferstanden. Mein Sohn ist zurück", sagt sie. "Du ähnelst deinem Vater und deinen Brüdern, deine Haut riecht wie sie." Simnaco sitzt neben ihr. Ein Dolmetscher übersetzt das Kurdisch seiner Mutter ins Persische.
Quelle: ntv.de, Shwan Mohammed, AFP