Blut, aber keine Gewalt 800.000 protestieren in Beirut
09.02.2006, 07:39 UhrIn der libanesischen Hauptstadt Beirut haben Hunderttausende bei einer Prozession aus Anlass des Aschura-Festes gegen die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen protestiert. Anders als ähnliche Demonstrationen am Wochenende blieb diese Demonstration friedlich. Nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur zogen rund 800.000 Gläubige durch die Straßen im Süden der Stadt.
Die Teilnehmer der Prozession trugen Plakate mit sich, auf denen die Karikaturen als Angriff auf die Würde ihrer Gemeinschaft verurteilt wurden. "Was ist nach der Schmähung unserer heiligen Werte noch zu erwarten?", hieß es auf anderen Bannern. Hisbollah-Chef Sajjed Hassan Nasrallah drohte US-Präsident George W. Bush damit, die Würde des Islams blutig zu verteidigen. "Heute tun wir dies mit Worten, einer Demonstration, aber George Bush und die arrogante Welt sollen wissen, dass wir dies auch mit unserem Blut tun, nicht nur mit unseren Stimmen, wenn es nötig ist", rief er den Gläubigen zu.
Dennoch flaute am Donnerstag die Protestwelle gegen die Zeichnungen ab. In Indien nutzten schiitische Muslime ebenfalls Prozessionen anlässlich ihres Aschura-Gedenktages zu Demonstrationen gegen die Karikaturen. Im südafrikanischen Kapstadt gingen mehrere tausend Muslime auf die Straße. Auf internationaler Ebene liefen weiter zahlreiche Bemühungen, die Kontroverse zu entschärfen.
Schwere Vorwürfe gegen Syrien und Iran
Die Hisbollah kämpft gegen Israel und ist verbündet mit Syrien und dem Iran. Diesen Ländern hatte US-Außenministerin Condoleezza Rice am Vorabend vorgeworfen, die Proteste gegen die Karikaturen zu schüren. Teheran wies dies als unbegründete "Lüge" zurück. Irans Vizepräsident Isfandiar Rahim sagte: "Es gibt keinerlei Verbindung zwischen dem Nuklearproblem und der Reaktion der Muslime auf die Karikaturen des Propheten Mohammed."
Rice hatte gesagt, die beiden Staaten heizten die Stimmung gezielt auf, um sie für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Auch der libanesische Sozialminister Najla Muawad sprach von dem "organisierten Versuch, Vorteile aus dem Ärger der Muslime zu ziehen".
Syrien und Iran stehen unter hohem internationalen Druck: Syrien wegen einer Reihe politischer Morde im Libanon, der Iran vor allem wegen seines umstrittenen Atomprogramms. Die USA werfen beiden Ländern vor, den Terrorismus zu unterstützen.
"Iran und Syrien wollen ablenken"
Nach Ansicht des Islamexperten der Freien Universität Berlin, Ferhad Ibrahim, nutzen Iran und Syrien den Konflikt, um von anderen Kontroversen abzulenken. Ibrahim sagte bei n-tv, "Syrien lenkt vom Konflikt mit dem Libanon ab, mit der UNO und dem Westen. Iran lenkt auch ab. Das hat natürlich mit dem Versuch zu tun, Atomwaffen herzustellen." Beide Staaten seien deshalb an der Eskalation des Konflikts interessiert.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier schließt nicht aus, dass Protestaktionen organisiert werden. In einigen Hauptstädten könne es durchaus "Organisationshilfe gegeben" haben, sagte Steinmeier. Er fügte jedoch hinzu: "Ich unterstelle aber auch, dass es in anderen Fällen echte Empörung war." Er hoffe, dass sich die Proteste durch die inzwischen abgegebenen öffentlichen Erklärungen auch von Autoritäten in der islamischen Welt zunehmend beruhigen.
EU bringt Pressekodex ins Gespräch
Unterdessen versucht die Europäische Union die Wogen zu glätten. Die EU-Kommission brachte einen freiwilligen Pressekodex ins Gespräch, mit dessen Hilfe religiöse Gefühle besser geschützt werden sollen. Ein solcher Kodex könne gemeinsam mit Medienvertretern ausgehandelt und dann auf freiwilliger Basis eingehalten werden, sagte Innenkommissar Franco Frattini dem britischen "Daily Telegraph".
Türkei als Vermittler
In Deutschland rückt derweil die Türkei als Vermittler zwischen dem Westen und der islamischen Welt ins Blickfeld. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz sagte bei n-tv: "Die Türkei ist in der Europäischen Union als eine Brücke zu den anderen Staaten notwendiger denn je." Die Demonstrationen in islamischen Ländern sind nach Meinung von Deligöz politisch gesteuert. Die Vorgänge machten deutlich, wie dringend Europa angewiesen sei auf aufgeklärte Vermittler: "Manche islamischen Länder, die ihre ganz ureigenen Interessen verfolgen, nehmen das jetzt all Anlass, diese durchzusetzen."
Auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, lobte die maßvollen Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Deutschland habe ein innen- wie außenpolitisches Interesse an der Heranführung der Türkei an die EU, sagte Klaeden in der "Leipziger Volkszeitung". Erdogan hatte zu "Respekt und Ruhe" aufgerufen.
Schäuble dankt Erdogan
Die CDU/CSU lehnt einen EU-Beitritt der Türkei ab. Dennoch dankte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dem türkischen Ministerpräsidenten für den Aufruf zur Mäßigung. Schäuble, der am Donnerstag in Berlin fünf hochrangige Vertreter von Erdogans Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) empfing, lobte die maßvolle Reaktion der Muslime in Deutschland. Das sei "vor allem auf die verantwortliche Rolle" der Türken in der Diskussion zurückzuführen, erklärte der CDU-Politiker.
Die Verteidigungsminister der NATO wollen sich an diesem Freitag bei ihrem Treffen in Taormina (Sizilien) in Gesprächen mit ihren Kollegen aus sechs islamischen Mittelmeeranrainerstaaten um eine Entspannung im Karikaturen-Streit bemühen. Die EU-Kommission kündigte an, dass es im März in Rom eine gemeinsame Konferenz mit Muslimorganisationen geben werde, bei der über Menschenwürde und gegenseitiges Verständnis diskutiert werden solle.
Quelle: ntv.de