Antisemitisches Pamphlet Aiwanger: Papier nicht von mir, aber kenne den Verfasser
26.08.2023, 17:44 Uhr Artikel anhören
Aiwanger will den Verfasser des Flugblatts kennen.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Sechs Wochen vor der Landtagswahl in Bayern findet sich Bayerns Vize-Regierungschef inmitten einer heftigen Krise. Es geht um ein aus seiner Schulzeit stammendes antisemitisches Pamphlet. Zahlreiche Politiker fordern vehement Aufklärung. Aiwanger erklärt nun, er sei nicht der Verfasser, sondern ein anderer.
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat Vorwürfe zurückgewiesen, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", teilte der Freie-Wähler-Chef über einen Sprecher in einer schriftlichen Erklärung mit. "Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären."
Weiter ließ Aiwanger mitteilen: "Bei mir als damals minderjährigen Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden. Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre. Meine Eltern wurden in den Sachverhalt nicht eingebunden. Als Ausweg wurde mir angeboten, ein Referat zu halten. Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt. Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier."
Von vielen Seiten ist zuvor von Aiwanger Aufklärung gefordert worden. Es stünden "schlimme Vorwürfe im Raum", hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, diese müssten aufgeklärt und vollständig ausgeräumt werden. Innenministerin Nancy Faeser von der SPD schrieb auf X, ehemals Twitter: "Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen."
Viele Politiker fordern Aufklärung
Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, soll das Burkhardt-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern im Schuljahr 1987/88 an einem Erinnerungswettbewerb "Deutsche Geschichte" teilgenommen haben. Der heute 52-jährige Aiwanger soll in diesem Zusammenhang damals im Alter von 17 Jahren eine Art Preisausschreiben erfunden haben: "Wer ist der größte Vaterlandsverräter? Bewerber könnten sich im Konzentrationslager Dachaus zu einem Vorstellungsgespräch melden", soll der Text gelautet haben. Über einen Sprecher hatte Aiwanger der "SZ" mitgeteilt, er habe "so etwas nicht produziert" und werde gegen diese "Schmutzkampagne" im Falle einer Veröffentlichung rechtlich vorgehen.
Aiwanger sollte am Samstagmittag ursprünglich auch zu dem großen Volksfest-Umzug in Augsburg kommen. Er erschien dort aber nicht. Reaktionen auf die Vorwürfe gegen ihn gab es vor der Veröffentlichung von Aiwangers schriftlichem Statement aus vielen Richtungen. So war der Druck auf den Politiker gestiegen.
Wahl am 8. Oktober
SPD-Chef Lars Klingbeil sagte auf einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD: "Was sitzen da eigentlich für Leute in der bayerischen Landesregierung?" Und fügte hinzu: "Solche Leute gehören nicht in Verantwortung in diesem Land." Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP schrieb auf X: "Der Vorwurf, jemand sei Antisemit, wiegt schwer. Man sollte ihn nur erheben, wenn man seiner Sache sicher ist und die Beweise eindeutig sind. Wenn das der Fall ist, ist aber eines klar: Für Antisemiten gibt es keinen Platz in der Politik - weder in Mandaten noch in Staatsämtern!"
Für Aiwanger gelte die Unschuldsvermutung, schrieb die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien auf X: "Die Veröffentlichung der Anschuldigungen gegen @HubertAiwanger und der Zeitpunkt wiegen schwer und sind in mehrfacher Hinsicht brisant, sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl."
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der "Bild am Sonntag": "Sollten die Vorwürfe zutreffen, ist Herr Aiwanger aus meiner Sicht als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und anderer Ämter untragbar." Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, forderte: "Wenn Hubert Aiwanger in irgendeiner Weise mit diesem Flugblatt zu tun hat, dann muss er jetzt in seiner Geschichte aufräumen."
In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Für beide Koalitionspartner kommen die Vorwürfe und die öffentliche Debatte deshalb zur absoluten Unzeit. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.
Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner von der CSU postete bei X: "Die Vorwürfe gegen @HubertAiwanger wiegen schwer - nur er selbst kann sich von diesem widerlichen, antisemitischen Pamphlet glaubhaft distanzieren und sollte dies schnell tun." Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Gerd Mannes, forderte den Rücktritt Aiwangers: "Als Wirtschaftsminister wird er seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werden können."
Aiwanger war bereits im Juni bundesweit in die Schlagzeilen geraten, wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung in Erding. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die "Demokratie zurückholen" müsse. Ihm wurde daraufhin - wie schon so oft - Populismus vorgehalten.
Aiwanger, der starke Mann der Freien Wähler bayern- und auch bundesweit, sieht sich gerne als Vertreter der von ihm so bezeichneten "normalen Bevölkerung", von Landwirten und Handwerkern. In Bierzelten und bei anderen Auftritten ledert er regelmäßig gegen die Grünen und die Ampel-Regierung. Vorwürfe, ein Populist zu sein, lässt er an sich abperlen. Er werde sich nicht mundtot machen lassen, sagt er dazu. Sein erklärtes Ziel ist es, potenzielle AfD-Wähler von Stimmen für die AfD abzuhalten und sie zu den Freien Wählern zu "locken".
Quelle: ntv.de, mpe/dpa