Bayern vor der Wahl "Söder ist flexibel - sicher auch bei der Kanzlerkandidatur"
06.08.2023, 14:18 Uhr Artikel anhören
"Herr Söder ist flexibel darin, Stimmungen aufzugreifen und zu versuchen, sie für die CSU und für sich nutzbar zu machen", sagt die Politologin Jasmin Riedl.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zwar wird der neue Landtag in Bayern erst am 8. Oktober gewählt, aber der Wahlkampf im Freistaat hat längst angefangen. Dass die CSU vorn liegen wird, ist klar. Aber warum? Und versucht Markus Söder nach einem Wahlsieg noch einmal, Kanzlerkandidat der Union zu werden? Fragen an die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl.
ntv.de: Seit 1957 stellt die CSU ununterbrochen den Ministerpräsidenten in Bayern. Wie hat sie das geschafft?
Jasmin Riedl: Das hat verschiedene Gründe. Der eine ist, dass die CSU im Bund eine regionale Kraft ist. Sie kann mit der Verbindung, die sie mit der CDU eingegangen ist, glaubhaft typische bayerische Landespolitik vertreten und die bayerischen Landesinteressen als bayerische Partei in den Bund hineintragen. Diesen Vorteil haben alle anderen Parteien nicht. Das ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal für die CSU.

Jasmin Riedl ist Professorin für Politikwissenschaft und lehrt an der Universität der Bundeswehr in München.
(Foto: Universität der Bundeswehr)
Es gibt noch einen anderen wichtigen Punkt: In der Politikwissenschaft reden wir davon, dass es unterschiedliche Konfliktlinien in Gesellschaften gibt. Wir sprechen dabei von "Cleavages". Eines ist das klassische Stadt-versus-Land-Cleavage. Der CSU gelingt es, für die Interessen der Landbevölkerung zu stehen, sich aber zugleich für die Interessen der Metropolen einzusetzen. Zugegeben: Bei den Kommunalwahlen kommt das in den großen Städten nicht so zum Tragen, aber in der Landespolitik kann die CSU das sehr gut bespielen. Das ist in Bayern besonders wichtig, wo ein großer Teil der Fläche aus kleinen Städten und ländlichem Raum besteht.
Allerdings muss die CSU mittlerweile Koalitionen eingehen. Nach der ersten mit der FDP von 2008 bis 2013 fegte es die Liberalen anschließend aus dem Landtag. Die jetzige ist für den Partner, die Freien Wähler, laut Umfragen wesentlich erfolgreicher gelaufen. Worin liegt der Unterschied zwischen den beiden Koalitionen?
Ein wichtiger Punkt ist das unterschiedliche Profil der kleinen Koalitionsparteien. Die FDP hat ein völlig anderes Profil als die Freien Wähler, und das konnte sie nicht gegen die übermächtige CSU verteidigen. So stehen FDP und CSU beide für wirtschaftsliberale Themen. Wenn wir uns die Freien Wähler anschauen, sehen wir zwar auch Übereinstimmungen in der Wirtschaftspolitik. Was aber die Stadt-Land-Politik angeht, gelingt es den Freien Wählern sehr gut, sich für die Landbevölkerung und für den Blick vom Land in die Stadt hinein stark zu machen. Dass es der CSU diesmal nicht zu gelingen scheint, dem kleinen Koalitionspartner Stimmen wegzunehmen, liegt aber wohl auch an der Person Hubert Aiwanger, der die Freien Wähler repräsentiert. Ministerpräsident Söder neigt dazu, die Politik zu lenken und das Ruder in die Hand zu nehmen. Aiwanger lässt sich da aber nicht die Butter vom Brot nehmen. Söder und Aiwanger sind beide starke Charaktere.
Reden wir über die Politik von Markus Söder. Vor einigen Jahren hat er noch Bäume umarmt, jetzt bezeichnet er die Grünen als den größten Gegner der CSU. Wie glaubwürdig ist das?
Ich denke, das wird Markus Söder nicht auf die Füße fallen. Ja, am Anfang der Legislaturperiode gab es das "große Ergrünen" bei Söder. Das war einerseits getrieben von den enorm guten Werten, die die Grünen bei der Landtagswahl 2018 hatten. Zudem gab es hier in Bayern ein Volksbegehren gegen das Artensterben. Damals gab es im Freistaat eine Stimmung, die eher in Richtung einer unterstützenden Haltung für die Themen ging, die wir mit den Grünen gleichsetzen: ökologischer Landanbau, Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien und dergleichen. Auf diesen Zug ist Markus Söder mit aufgesprungen. Als das wieder abflachte, konnte man an der Stelle auch wieder ein wenig loslassen - auch ganz konkret wurde dieser Themenaufschwung auf Landesebene von der Corona-Pandemie ausgebremst. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Söder verschiedene Klaviaturen zu bespielen versucht. So hat er zum Beispiel vor der letzten Landtagswahl mit deutlichen migrationspolitischen Aussagen die Stimmen der Unterstützerinnen und Unterstützer für die AfD zur CSU zu ziehen versucht, was definitiv nicht geklappt hat. Dann gab es das "Ergrünen", und das hat man jetzt wieder aufgegeben.
Warum?
Das hat was mit dem aktuellen Stimmungsbild zu tun. Seitens der Bevölkerung gibt es eine große Unsicherheit und auch ökonomische Sorgen, die durch die großen transformatorischen Fragen, die wir haben, verstärkt werden. Wir sehen das bei der Diskussion um das Heizungsgesetz. Das greift Söder auf. Und dann gibt es einen anderen Vorteil, den Söder für sich nutzt: Die Union ist im Bund aktuell nicht in der Regierung, also kann Söder quasi doppelte Opposition machen: territoriale Opposition - wir als Land Bayern gegen den Bund - und gleichzeitig die parteipolitische Opposition. Er kann die Grünen im Bund angreifen, aber eben auch in Bayern, wobei da die Sorge vielleicht auch ist, dass dort mögliche Wählerstimmen hingehen.
In der CDU scheint die Brandmauer gegen die AfD im kommunalen Bereich zu bröckeln. Wie sieht das in Bayern aus?
Dazu hat sich Markus Söder sehr deutlich positioniert. Nach den entsprechenden Aussagen von CDU-Chef Merz im ZDF-Sommerinterview gab es eine Vorstandssitzung der CSU. Da konnte man sehen, dass die CSU ein Aufweichen der Brandmauer gegen die AfD auf kommunaler Ebene völlig ablehnt. Aber der CSU-Vorstand ging ja noch weiter. Er nutzte die Gelegenheit, um seine eigene Position im Sinne von Migrations- und Integrationspolitik, aber auch die Frage von Law-und-Order-Politik, wofür ja die konservativen Parteien auch stehen, nochmal sehr deutlich zu machen. Für Söder und die CSU wäre eine Annäherung, selbst wenn es nur in der Sprache ist, in Richtung der AfD keine Option. Die CSU muss eher schauen, dass sie deutlich macht, warum die AfD nicht zu wählen ist, sondern stattdessen die CSU.
Unter Anhängern der Union ist Friedrich Merz als Kanzlerkandidat nicht sonderlich beliebt. Im RTL/ntv-Trendbarometer erreicht er, je nach Konstellation, nur noch 18 beziehungsweise 21 Prozent. Allerdings hat Söder ein ums andere Mal eine Kanzlerkandidatur abgelehnt. Glauben Sie ihm das?
Meine Glaskugel zeigt mir, dass das noch nicht in Stein gemeißelt ist. Herr Söder ist flexibel darin, Stimmungen aufzugreifen und zu versuchen, sie für die CSU und für sich nutzbar zu machen - wie bei der "Ergrünung". Und insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass mit Blick auf eine mögliche Kanzlerkandidatur diese Flexibilität plötzlich nicht mehr gegeben sein soll.
Mit Jasmin Riedl sprach Marko Schlichting
Quelle: ntv.de