Politik

"Selenskyj mit Rücken zur Wand"Außenpolitik-Experte Ischinger fordert eigenen EU-Friedensplan für Ukraine

20.11.2025, 19:22 Uhr
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Wolfgang Ischinger war über 14 Jahre Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. (Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Eine neue Initiative der USA zur Beendigung des Ukraine-Kriegs scheint Russland zu begünstigen. Der Entwurf ist offenbar weder mit den Europäern noch mit Kiew vorher abgesprochen worden. Der erfahrene Diplomat Wolfgang Ischinger hält dies für einen Fehler und fordert nun mehr Engagement der Europäer.

Angesichts des neuen Anlaufs der US-Regierung für Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland fordert der ehemalige Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger einen eigenen Friedensplan der Europäer. "In der jetzigen Situation wäre es sinnvoll, einen europäischen Prinzipienkatalog zu erstellen und mit den Amerikanern zu teilen", sagt er dem "Stern". Bislang habe man das auch mit Rücksicht auf die Ukraine nicht gemacht, "weil man gesagt hat: Wir sind nicht der Vormund der Ukraine."

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die USA einen neuen Plan zur Beilegung des seit fast vier Jahren andauernden Konflikts in der Ukraine erarbeitet haben. Aus Kiew hieß es dazu, die Initiative sehe die Abtretung der von Russland kontrollierten Gebiete, einschließlich der Krim-Halbinsel, sowie eine deutliche Verkleinerung der ukrainischen Armee und den Verzicht der Ukraine auf jegliche Langstreckenwaffen vor.

Dass die USA offenbar einen erneuten bilateralen Versuch zur Beendigung des Ukrainekriegs mit Russland gestartet haben, habe bei dem Außenpolitik-Experten "ein Déjà-vu-Gefühl" erzeugt. "Diese bilateralen Versuche haben wir ja mehrfach erlebt, und sie haben zu keinem erkennbaren Ergebnis geführt", sagt er. Hinzu komme, dass die USA Überlegungen der Europäer zu einem möglichen Waffenstillstand nicht miteinbeziehen würden. Denn Europa sei nicht von vornherein in solche Gespräche involviert.

Ischinger hält dies für einen Fehler, "denn am Schluss des Tages wird es ohne die Mitwirkung der europäischen Partner nicht gehen." Die USA seien nicht mehr die Hauptlieferanten von Waffen für die Ukraine. Aus seiner Sicht sei es "unlogisch, wenn die USA immer deutlicher fordern: Ihr Europäer müsst euch selber um eure Verteidigung kümmern - aber uns zeitgleich sagen: Über die Beendigung des Ukrainekriegs entscheiden wir mit Russland über eure Köpfe hinweg", führt der erfahrene deutsche Diplomat im "Stern" weiter aus.

"Selenskyj steht mit dem Rücken zur Wand"

Ischinger schätzt nach dem neuen Anlauf der USA die Lage für die Ukraine schwierig ein. "Aus amerikanischer Sicht sieht es wohl so aus: Selenskyj steht militärisch und politisch mit dem Rücken zur Wand, also ist jetzt ein guter Moment, um ihm unseren Willen aufzuzwingen", so Ischinger. Doch dies mache es nicht zu einer klügeren Politik, sondern würde die Dinge nur verschlimmbessern, sagt er. Das Signal durch den US-Druck auf Selenskyj sei für Moskau nun, die Forderungen zu maximieren.

Die europäischen Verbündeten Kiews reagierten zurückhaltend auf die jüngste US-Initiative, die russische Interessen in hohem Maße zu begünstigen scheint. So bestanden Außenminister Johann Wadephul und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf einer Beteiligung der Ukraine und Europas an möglichen Verhandlungen. Kanzleramtschef Thorsten Frei nannte die Nachrichten zu dem US-Vorschlag "durchaus verstörend".

Inzwischen hat die Ukraine von der US-Regierung nach eigenen Angaben einen Entwurf für einen Plan zur Beendigung des Krieges mit Russland erhalten und ist bereit, darüber zu beraten. Die ukrainische Regierung sei bereit, konstruktiv mit der US-Regierung zusammenzuarbeiten, um ein "würdiges Ende des Krieges zu sichern", erklärte das Büro von Selenskyj. Der ukrainische Staatschef wolle "in den kommenden Tagen" mit US-Präsident Trump über den Vorschlag sprechen.

Quelle: ntv.de, gut/AFP

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