Politik

500 Euro pro Monat für unzulässig Sicherungsverwahrte BGH bestätigt Schadensersatz

Geklagt hatten vier Betroffene, das Urteil betrifft aber bis zu 100 ähnliche Fälle.

Geklagt hatten vier Betroffene, das Urteil betrifft aber bis zu 100 ähnliche Fälle.

(Foto: dpa)

Bis zu zwölf Jahre lang verbrachten in Baden-Württemberg vier Männer in Sicherungsverwahrung - obwohl sie die ursprünglich festgelegte Zeit schon abgesessen hatten. Dafür sollen sie nun eine Entschädigung erhalten, entschied der BGH. Zahlen muss das betroffene Bundesland.

Bundesländer müssen Straftäter, die wegen nachträglicher Sicherungsverwahrung rechtswidrig über Jahre eingesperrt waren, entschädigen. Der Anspruch folge aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Der BGH verhandelte über die Klagen von vier Sexualstraftätern, deren Sicherungsverwahrung nachträglich über zehn Jahre hinaus verlängert worden war. Die 1998 per Gesetz eingeführte Möglichkeit, Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen zu können, war vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) 2009 als menschenrechtswidrig verboten worden. Bis 1998 war die Sicherungsverwahrung auf maximal zehn Jahre begrenzt. Danach wurde diese Grenze per Gesetz aufgehoben und die Sicherungsverwahrung rückwirkend auch für all jene Täter verlängert, die nach Ablauf der Zehnjahresfrist als weiterhin gefährlich galten.

Die vier Kläger in den Ausgangsverfahren verbrachten deshalb über die ursprünglich angeordneten zehn Jahre hinaus weitere acht bis zwölf Jahre in der Verwahrung. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte deshalb das Land Baden-Württemberg zu Entschädigungszahlungen zwischen 49.000 und 73.000 Euro verurteilt. Der BGH bestätigte nun, dass das Land die Summe zu tragen hat.

Das Urteil betrifft 80 bis 100 ähnlich gelagerte Fälle. Auch diese Täter haben demnach Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von etwa 500 Euro für jeden Monat in unzulässiger Sicherungsverwahrung.

EGMR rügt deutsche Justiz

Indes warf der EGMR der deutschen Justiz Versäumnisse und Verzögerungen bei der Überprüfung einer Sicherungsverwahrung vor. Deutschland habe damit gegen das Grundrecht auf Freiheit verstoßen, befand das Straßburger Gericht. Dem Kläger - einem 54 Jahre alten Sexualstraftäter, der in Berlin in Sicherungsverwahrung einsitzt - muss Deutschland nun 5000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Der Mann war im November 1997 unter anderem wegen Vergewaltigung zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde er in Sicherungsverwahrung genommen, weil er Experten zufolge weiterhin eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellte. Diese Entscheidung hätte die Justiz innerhalb von zwei Jahren überprüfen müssen, also bis zum 24. Dezember 2009. Die Überprüfung erfolgte aber erst am 20. Januar des folgenden Jahres.

Damit sei der Mann 27 Tage lang willkürlich in Sicherungsverwahrung gehalten worden, rügte das Straßburger Gericht. Erschwerend wurde gewertet, dass die Justiz kein neues psychiatrisches Gutachten in Auftrag gab, sondern sich bei der Verlängerung der Sicherungsverwahrung auf eine mehr als zwölf Jahre alte Expertise stützte. Der Mann habe sich in dieser Hinsicht in einer "Sackgasse" befunden, heißt es in dem Urteil. Die Justiz hätte seine Gefährlichkeit neu überprüfen lassen müssen.

Das Urteil wurde von einer kleinen Kammer gefällt und ist noch nicht rechtskräftig. Deutschland kann binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann zur Überprüfung an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen, er muss dies aber nicht tun.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen